Benedict Hollerbach hat glatt ein Geheimnis verraten. Zudem eines aus der Kabine. Eigentlich ein Sakrileg. Das, was bisher nur streng Eingeweihte wussten, plauderte er im Überschwang der Gefühle heraus. Renate Eichenberger, eine Sportpsychologin, habe ihm vorigen Sonntag in der Halbzeitpause, als im Spiel des 1. FC Union gegen Wolfsburg noch kein Tor gefallen war, die Gäste aber zumindest Gleichwertigkeit erlangt hatten und von einem Dreier für die Eisernen noch keine Rede sein konnte, den Rat zu Atemübungen gegeben. Hat mit dem goldenen Tor durch Hollerbach, seinem nunmehr achten Saisontreffer, glänzend geklappt. Auf das Sakrileg ist deshalb gepfiffen.
Momentum endlich auf Seiten des 1. FC Union
Das alles ist eine nette Geschichte. Für Hollerbach und noch mehr für Renate Eichenberger. Viel besser hätte es für beide an diesem Tag nicht laufen können, wobei es nicht neu ist, dass Frauen oder Männer, die sich mit Verknotungen in den Köpfen von Sportlern beschäftigen und diese lösen wollen, gefragt sind. Auch Frau Eichenberger ist nicht erst seit gestern oder vorgestern Teil des Union-Teams.
Jedermanns Sache indes ist es nicht. Für etliche ist das wie mit dem lieben Gott. Warum lässt er schreiende Ungerechtigkeiten zu? Warum tut er nichts dagegen, dass kleine Kinder unheilbar krank werden? Warum lässt er Kriege zu? So könnte man, natürlich mit ganz viel Augenzwinkern, fragen: Warum hat Frau Eichenberger zugelassen, dass das Team aus dem Stadion An der Alten Försterei überhaupt in diese Bredouille kommen konnte?
Details geben wieder Ausschlag für Union
Klar ist auch, dass mancher psychologische Hilfe braucht, ein anderer nicht. Einer, der vor Selbstvertrauen nur so strotzt und der mit einer Hoppla-jetzt-komm-ich-Stimmung in den Wettkampf geht, ist wahrscheinlich kein gutes Medium. Ein anderer fühlt sich erst dann stark, wenn er eine Hand aufgelegt bekommt. Wie heißt es oft: Man muss nur fest dran glauben. Oder: Wille kann Berge versetzen. Alles stimmt, muss aber nicht.
Was mich an dem Sieg gegen Wolfsburg viel mehr fasziniert, sind die Umstände, die dazu führten. Immer wieder ist in engen Spielen die Rede davon, dass Details – wahlweise winzige, als ob Details allein nicht schon winzig genug wären – den Ausschlag geben. Einen besseren Beleg als diese Partie kann es dafür kaum geben. Sie ist für diesen Fall eine aus dem Lehrbuch.
1. FC Union gewinnt „dreckig“ gegen Wolfsburg
Erstens: Manch anderer Videoassistent hätte bei der von Leopold Querfeld gegebenen Kopfballvorlage, die zum Tor führte, womöglich auf Foul entschieden. Zweitens: Ein anderer Torhüter als Kamil Grabara wäre in der entscheidenden Szene eventuell entschlossener zum Ball gegangen. Vor allem aber drittens: Dass Kevin Behrens in der 90. Minute die Kugel, obwohl er fast auf der Torlinie steht, nicht unterbringt, ist Glück und Dusel und Schwein und ein Sechser im Lotto und Ostern und Weihnachten in einer einzigen Sekunde. Besser hätte kein Eiserner die Situation bereinigen können.

Nur gut, dass der Ball auf den Ex-Unioner flach kam, mit seinem Kopf kann Behrens nämlich deutlich besser als mit seinem linken Fuß. Schon wäre es eine völlig andere Geschichte geworden. Eine, von der man gern sagt, dass nur der Fußball sie schreibt. So aber wird Behrens, der vor seinem Weggang aus Köpenick in seinen letzten 22 Pflichtspielen für die Eisernen nicht mehr und in 30 Bundesligapartien für seinen neuen Verein erst zweimal getroffen hat, in wachen Nächten auch am Ende seiner Karriere grübeln, wie er diesen Ball nur versemmeln konnte. Kein Psychologe wird helfen können, denn Tore müssen Stürmer schon allein schießen. Mögen sie nun Hollerbach oder Behrens heißen.
1. FC Union bleibt auf dem Teppich
Was den Ausgang der Partie gegen den VfL eher auf den Punkt bringt, wird in der Kabine oft lax so kommentiert: Geputzt ist geputzt. Es ist das, was Trainer Steffen Baumgart einen Arbeitssieg nannte. Gern wird in derlei Fällen auch vom dreckigen Sieg gesprochen. Weit weg von einem Schönheitspreis. Nur haben auch solche Erfolge ihren Glanz.
Der ist nicht so feurig wie ein 2:1 in Freiburg oder zuvor das 2:1 in Frankfurt, auch nicht wie das 1:1 gegen die Bayern. Das ist in diesem Fall sogar von Vorteil. Jeder behält, weil die Rettung trotz eines Elf-Punkte-Polsters auf den Relegationsrang nicht endgültig ist, Bodenhaftung. Die Sinne bleiben geschärft. Dafür wird der Trainer schon sorgen. Und für den, der sie braucht, bleibt Frau Eichenberger natürlich immer eine sehr gute Adresse. ■