Union-Kolumne

Dem Fan aufs Maul geschaut rückt den 1. FC Union in ein anderes Licht

Soll Holle doch jehn oder dit ist ja grottig: Die Anhänger des 1. FC Union sind sehr leidensfähig, alles lassen sie sich trotzdem nicht gefallen.

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Die Fans des 1. FC Union stimmten die Spieler vorm Heidenheimspiel mit dieser Choreo ein.
Die Fans des 1. FC Union stimmten die Spieler vorm Heidenheimspiel mit dieser Choreo ein.Andreas Gora/dpa

Manchmal ist es ganz gut, nicht erkannt zu werden. Noch besser ist es, im Gespräch dann so zu tun, als verstehe man von einer Sache, von der das Gegenüber bis in alle Tiefen alles zu wissen glaubt, nur Bahnhof. Oder wenn man, längst als Ahnungsloser abgetan, bei den unverblümten Fachgesprächen Mäuschen spielen darf.

So ähnlich passierte es mir nach dem hochnotpeinlichen 0:3 des 1. FC Union am vorigen Wochenende gegen Heidenheim auf dem Rückweg in der Straßenbahn 68 nach Alt-Schmöckwitz. Dass diese Fahrt nach dem Bahnhof Grünau entlang der Dahme, vorbei an der Regattastrecke und an der Bammelecke die vielleicht schönste Tramlinie der Hauptstadt ist, gehört längst zum Heimatgefühl eines aus dem Berliner Südosten. Dass dort eher per Zufall und ganz ohne eigenes Zutun erfrischende Gespräche geführt werden, macht die Sache nur noch heimeliger.

Ungefilterte Meinungen über den 1. FC Union

Jedenfalls fühlte ich mich wie der König im Märchen, der, um ungefiltert zu erfahren, wie das Volk über ihn und seine Herrschaft denke, inkognito an die Haustüren klopfte und die Leute ausfragte. Es ist, wie auch weltliche Herrscher in längst zurückliegenden Zeiten erkannt haben, erfrischend, dem Volk aufs Maul zu schauen. Einige der Dialoge: „Ey, der Hollerbach will jehn. Haste davon wat jehört?“ „Holle? Soll er doch. Wir ham jenug andere Spieler. Wat hat er heute denn jezeigt?“ „Nüscht. Aber sonst is er janz jut.“ „Wat hat er denn jekostet? Wenn er siebne bis zehne bringt, ist doch allet roger. Dann lass ihn jehn.“ Damit hat die Kurve die Schmerzgrenze für den mit neun Saisontoren besten Torschützen der Eisernen schon mal in Millionen Euro festgelegt.

Das nächste Zwiegespräch hat es schon mehr in sich. Da schwingt eine Portion Sportpolitik mit und das Gefühl von Häme. „Gegen Heidenheim 0:3, wat soll dit? Dit is ja grottig.“ „Nüscht is grottig. Dit war mit Ansage. Weest de doch: Es ging nur um Bochum.“ „Hör uff mit Bochum. Die sind doch ooch so abjestiejen.“ „Naja, weeß man vorher doch nich.“ „Jefallen hat’s mir aber jar nich. Dit könn se viel besser. Drei Dinger kassieren, nee, nee, nee.“

Benedict Hollerbach bleibt zwischen den Heidenheimern Benedikt Gimber (l.) und Patrick Mainka hängen.
Benedict Hollerbach bleibt zwischen den Heidenheimern Benedikt Gimber (l.) und Patrick Mainka hängen.www.imago-images.de

Eine Fahrt mit Fans des 1. FC Union in der Straßenbahn

Als sich die Gespräche, auch des Promillegehalts an Alkohol geschuldet, mit dem nicht einer mehr hätte ungestraft ein Auto fahren dürfen, im Kreis drehen, werde ich, wahrscheinlich der einzige Fahrgast ohne ein Union-Accessoire am Körper, aber das Stadionheft in der Jackentasche, in die Diskussion einbezogen. „Du hast mit Fußball wohl nüscht am Hut, oder?“ „Noch nie gehabt“, lüge ich. „Siehst auch nich danach aus.“ Ich: „Tut mir leid.“ Er, fast verschwörerisch: „Dit mit Bochum hat mit nem Feuerzeug zu tun, musste wissen.“ Ein klein wenig wage ich mich aus der Deckung: „Davon habe sogar ich gehört. Kam ja in den Nachrichten.“ Mein Nachbar, nahezu entschuldigend: „Vergiss es. Is jetzt ja sowieso erledigt. Die sind ja jetzt raus. Und du, fahr ruhig weiter und lass dich von uns bloß nich mehr bequatschen.“ Lächeln in beiden Gesichtern. Er, weil er mir auf die Sprünge half. Ich, weil ich beim Flunkern nicht erwischt wurde.

Einst wurde danach die nicht ganz deutsch-konforme, von allen aber in diesem Duktus bevorzugte Frage gestellt: Was lernt uns das? Es lernt (lehrt, schon klar) uns, den möglichst unverstellten Blick zu bewahren. Auch als glühender Fan mal unangenehme Wahrheiten auszusprechen und die sonst in allerhöchsten Ehren gehaltenen Fußball-Götter für eine Nicht-Leistung volley zu nehmen. Sich zugleich den Blick nicht verstellen zu lassen und deutlich zu machen, dass das mit der Partie beim FC Augsburg am Sonnabend zu Ende gehende Spieljahr eines nicht nur mit zwei Trainern, sondern ebenso mit zwei Gesichtern war.

Der 1. FC Union zeigte in dieser Saison zwei Gesichter

Da waren im Frühjahr tolle Punktgewinne gegen die Bayern (1:1) und in Leverkusen (0:0), grandiose Siege in Frankfurt und in Freiburg (jeweils 2:1 nach 0:1), aber auch schlappe Auftritte in Hamburg gegen St. Pauli (0:3), zu Hause gegen Kiel (0:1), dazu das nicht gerade glänzende 1:1 in Bochum und nun dieses ganz und gar willenlose 0:3 gegen Heidenheim. Das eine sind die vier führenden Teams, von denen, wenn nicht alle, dann mindestens drei in der kommenden Saison in der Champions League starten. Andererseits sind da aber jene, von denen zwei (Bochum, Kiel) abgestiegen sind und ein drittes (Heidenheim?) in die Relegation muss.

Zu erklären ist das nur schwer. Um schlauer zu werden, sollte ich nach Union-Spielen vielleicht doch öfter in die Straßenbahn steigen.