Lola-Star im KURIER-Interview

Alexander Scheer über Berlins Spar-Politiker: „Man sollte sie teeren und federn!“

Er ist zweimal für den Deutschen Filmpreis nominiert. Im Kino feiert Scheer Erfolge über Erfolge, doch am Theater macht er sich rar. Dem KURIER erzählt er, warum.

Author - Karim Mahmoud
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Der Schauspieler und Musiker Alexander Scheer ist für zwei Deutsche Filmpreise nominiert und trotzdem sauer – auf die Politik.
Der Schauspieler und Musiker Alexander Scheer ist für zwei Deutsche Filmpreise nominiert und trotzdem sauer – auf die Politik.Funke Foto Services/imago

Alexander Scheer zu interviewen, ist wie in einen engen, stylischen Anzug zu steigen: Du weißt nie, ob er zwickt. Das lässt sich kaum verhindern. Vor allem, wenn man sich vorgenommen hat, Scheer selbst ein bisschen zu zwicken. Der 48-jährige Schauspieler und Musiker ist in diesem Jahr für zwei Deutsche Filmpreise nominiert. In der Kategorie „Beste männliche Nebenrolle“ (siehe Kasten). Mit seinen Rollen im Kino räumt der „Gundermann“-Star zu Recht regelmäßig Preise ab. Aber im Theater, da macht sich der Ex-Volksbühnen-Rebell immer rarer. Als Berliner kann man das kaum ertragen, geschweige denn hinnehmen. Denn die kriselnden Bühnen der Stadt brauchen den früheren Castorf-Schauspieler – jetzt vielleicht so dringend wie nie. Und Scheer? Der liefert exzellente Solo-Nummern ab – auf eigene Rechnung. Zuletzt den gefeierten David-Bowie-Abend „Heroes“ am Berliner Ensemble. Nur reicht das auch? Oder verheizt er so sein Riesentalent? Wir treffen Alexander Scheer zum Interview am Kurfürstendamm in Berlin.

Glückwunsch zur Doppel-Nominierung, Herr Scheer. Man sieht Ihnen wirklich extrem gern zu, auch in diesen kleineren Rollen, wo Sie Ihre Energien zurückfahren und trotzdem in jeder Sekunde intensiv sind. Auch die Männer, die Sie in den Filmen „Köln 75“ und „In Liebe, Eure Hilde“ verkörpern …

… setzen ihre Energien effizient ein.

Richtig. Sowohl der Musikproduzent Manfred Eicher als auch der Gefängnispfarrer Harald Poelchau. Wie halten Sie das aus? Sonst sind Sie bis unter die Decke voll mit Power und fackeln alles ab.

Erst mal vielen Dank. Es ist tatsächlich schwer, es wird mit zunehmender Erfahrung aber leichter. Und Sie haben schon recht, normalerweise sagst du: Hauptrolle, das muss zwei Stunden tragen – also wenig machen. Du führst durch den ganzen Film, hast also viel Zeit, eine Entwicklung zu zeigen und musst nicht in jeder Szene die volle Palette spielen.

Und in Nebenrollen?

Bei Nebenrollen, da kann man dann gern ein bisschen dicker auftragen. Du hast ja nur drei, vier Auftritte. Ja … so ist das normalerweise. Ich mach’s andersrum (lacht)! Und das funktioniert offensichtlich doch ganz gut.

In „Köln 75“ und in „Hilde“ auf jeden Fall.

Man nahm wohl lange an, das wäre nicht meine Sache und ich bekam hauptsächlich laute Rollen angeboten. Hier aber müssen beide Figuren extrem zurückgenommen gespielt werden. Es geht schließlich um Teamwork.

Sie stehlen den Hauptdarstellerinnen nicht die Show.

Richtig. Wenn die Kollegin gerade zum Tode verurteilt worden ist, dann liegt das Spiel natürlich bei ihr.

Das ist kollegial. Inwiefern sind Nebenrollen für Sie Verschnaufpausen?

Hauptrolle, Nebenrolle – das sind sicher Kategorien, aber in der Arbeit mache ich da keinen Unterschied. Ich gebe immer 100 Prozent. In Nebenrollen genauso wie in Hauptrollen geht es ja darum, der Geschichte dienlich zu sein. Und weil Sie gesagt haben „kollegial“: Natürlich, das ist der Beruf. Die Show stehlen, darum geht’s nicht. Es ist ein Gemeinschaftssport!

Was heißt das?

Wir sind aufeinander angewiesen, deshalb ziehen wir uns gegenseitig hoch und nicht runter. Auch wenn Figuren gegeneinander antreten, spielen wir das gemeinsam und sehen zu, dass der Ball in der Luft bleibt. Es ist wie im Jazz: die Töne, die du spielst, sind wichtig. Noch wichtiger aber sind die Töne, die du weglässt.

Ein schöner Satz. Welche der beiden Nebenrollen hat den Filmpreis eher verdient?

Lieber oder besser … Die berühmte Frage: Welches von deinen Kindern ist dir das Liebste? Die Frage stellt sich nicht. Für mich waren beide Arbeiten sehr wichtig, beide waren in ihrer Unterschiedlichkeit spannend und beide waren Herzensprojekte. Es sind zwei sehr gute Filme geworden, die man nicht vergleichen muss. Ich find’s aber auch toll, wenn sich die Dinge mischen, wie in diesem Interview. Man hat den doppelten Spaß. Wahrscheinlich auch an so einem Preisabend, wenn man gegen sich selbst antritt.

Alexander Scheer mit dem Ensemble des Films „In Liebe, Eure Hilde“. 3. v. l.: Liv Lisa Fries.
Alexander Scheer mit dem Ensemble des Films „In Liebe, Eure Hilde“. 3. v. l.: Liv Lisa Fries.Future Image/imago

Rein rechnerisch erhöht das die Chancen.

Einerseits ja. Andererseits können sich meine Stimmen aber auch auf zwei Filme verteilen und damit eventuell halbieren. Dann bekommt mein geschätzter Kollege Godehard Giese die Lola. Und das wäre auch in Ordnung, denn vor drei Jahren waren wir schon mal zusammen nominiert und da hab‘ ich das Rennen gemacht. Warum sollen immer dieselben die Preise abräumen? Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die diesen Beruf schon sehr lange ausüben, immer tolle Arbeit machen, aber noch nie nominiert waren. Das finde ich ein bisschen ungerecht. Also, ich werde zwei Reden vorbereitet haben, aber ich bin auch nicht traurig, wenn ich keine halten muss.

Alexander Scheer sagt: Es gibt immer noch viel zu wenig Hauptrollen für Frauen

Warum sind diese Filme gedreht worden, „Hilde“ und „Köln 75“? Brauchen wir wieder diesen Typus der starken jungen Frau: Hilde, die Widerstandskämpferin, und Vera, die Macherin?

Es gibt immer noch viel zu wenig Hauptrollen für Frauen. Nicht nur im Film. Unsere gesamte Gesellschaftsstruktur ist männlich aufgebaut. Überlegen Sie, wie viele Chefredakteurinnen es zum Beispiel bei Zeitungen gibt. Chefärztinnen, Intendantinnen, Filmproduzentinnen. Wir brauchen mehr Frauen! Und es ist egal, ob sie stark oder jung sind.

Und warum sind diese Geschichten, die sich bereits vor 50 beziehungsweise 80 Jahren abgespielt haben, gerade jetzt so relevant?

Die Gesellschaft verändert sich gerade und Kino spiegelt das wider. Es gibt ein großes Interesse an Frauenfiguren und auch ein Bedürfnis nach Identifikation. Die Geschichte von Hilde Coppi war beispielsweise kaum bekannt. Uns war es aber wichtig, keinen historisierenden, heldenverehrenden Film zu machen, voll von Widerstandskämpfern mit der Pistole unterm Kopfkissen. Das sind normale Jugendliche.

Und die haben halt auch ein normales Leben.

Eben. Man wird wahrscheinlich auch in 100 Jahren über unsere Zeit mal sagen: Mein Gott, wie habt ihr das mit dem Trump, mit der AfD, mit dem Klimawandel und dem radikalen Islam ausgehalten und wie habt ihr euch da politisch positioniert? Aber es ist doch so: Man hat eine Familie, man hat Freunde, man trinkt ein Bier und man guckt Fußball. Wir führen ein gewöhnliches Leben und sind nicht die ganze Zeit über mit Politik aufgeladen. Das war uns wichtig zu zeigen.

Warum?

Man führt eben kein Heldenleben. Wir wollten kein Heldenepos inszenieren, sondern zeigen: Mensch, das sind junge Leute, die zum ersten Mal das Leben feiern wollen. Und das in einer Zeit, in der es wenig zu feiern gab, die aber den Mut aufgebracht haben und gesagt haben, was gesagt werden muss.

Ist das die Parallele zu unserer heutigen Zeit?

Wir haben versucht, dass man sich identifiziert und nah bei den Figuren ist. Ob damals in der Nazizeit oder heute, man muss immer was tun. Auch heute sollte man seine Augen und Ohren aufmachen und manchmal eben auch den Mund.

Der Schauspieler Alexander Scheer mit Filmkollegin Mala Emde („Köln 75“) neben einer Riesen-Filmpreis-Lola.
Der Schauspieler Alexander Scheer mit Filmkollegin Mala Emde („Köln 75“) neben einer Riesen-Filmpreis-Lola.Eventpress/imago

Viele haben den Eindruck, sie dürften nicht mehr alles sagen. Und diese beiden Frauen, über die wir hier reden, sind dann natürlich Vorbilder.

Klar. Wenn man sich jetzt mal in „Köln 75“ die junge Vera Brandes vor Augen führt. Eine selbstbewusste, moderne Frau, die damals zwei Männern gesagt hat, wie der Hase läuft. Das hat denen vor 50 Jahren schon nicht gefallen. Heute sind wir etwas weiter, aber es ist noch reichlich Luft nach oben.

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Christophe Gateau/dpa
Alexander Scheer: Geboren in Ost-Berlin
Alexander Scheer, geboren 1976 in Ost-Berlin, brach die Schule nach der 11. Klasse ab und sammelte erste Bühnenerfahrungen als Musiker und Schauspieler. Sein Vater war Abteilungsleiter im Ost-Berliner Rechenzentrum, seine Mutter verkaufte Strickwaren. Schon früh spielte Scheer Klavier und Schlagzeug und drehte Amateurfilme. Sein Durchbruch gelang ihm 1999 mit dem Film „Sonnenallee“ von Leander Haußmann. Es folgte eine Theaterkarriere, vor allem an der Berliner Volksbühne unter Frank Castorf. Für seinen Auftritt als Edmund Kean (2009) wurde er zum Schauspieler des Jahres gewählt. Auch im Kino feierte Scheer weiter Erfolge, etwa als Keith Richards in „Das wilde Leben“ oder in „Gundermann“, wo er die Hauptrolle spielte und selbst sang – dafür bekam er 2019 den Deutschen Filmpreis. 2022 gewann er erneut, diesmal für „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ (Nebenrolle). Musikalisch war er in mehreren Bands aktiv, darunter The Rockboys und The Whitest Boy Alive.

Und der Keith-Jarrett-Produzent Manfred Eicher kam ja aus der E-Musik. Der war sowieso hart zu knacken für eine in dieser Branche unerfahrene junge Frau.

Wussten Sie, das „Köln Concert“ von Keith Jarrett ist die meistverkaufte Jazz-Soloscheibe aller Zeiten? Und die hat das Label ECM und auch den Künstler Keith Jarrett überhaupt erst mal auf die Weltkarte gebracht.

Und Vera Brandes hat das angeschoben?

Um es klar zu sagen: Das Konzert hätte nicht stattgefunden. Es gäbe diese Schallplatte nicht ohne sie. Ihr Leben hing buchstäblich davon ab: Sie hätte sonst Zahnärztin werden müssen, wie ihr Vater. Vera Brandes hat den Lauf der Musikgeschichte verändert und nie einen Credit dafür bekommen.

Bis jetzt.

Genau. Wir erzählen ihre Geschichte zum ersten Mal. Die Musik kennen ja alle. Ich verstehe zum Teil auch, wenn Keith Jarrett heute sagt, er will mit der Platte nichts mehr zu tun haben.

Wirklich?

Naja, der macht das mit Ende 20 und wird sein Leben lang daran gemessen. Auch wenn er musikalisch vielleicht noch ganz andere Höhen erklommen hat. Er sagt tatsächlich, das „Köln Concert“ wäre seine schlechteste Platte.

Alexander Scheer singt David Bowie am Berliner Ensemble.
Alexander Scheer singt David Bowie am Berliner Ensemble.Luna Zscharnt

Welche Konsequenzen hatte das?

Wir hatten nicht allzu viel Unterstützung, um nicht zu sagen gar keine.

Der Film „Gundermann“ war Scheers Triumph

Gab’s vorab Gespräche?

Sie haben sich beide nicht zum Drehbuch geäußert. Wir hatten keinerlei Support. Weder von ECM-Seite noch von Jarrett selbst.

Sie konnten aber mit Eicher reden?

No. Die blockieren ein bisschen. Nicht zu verstehen. Dabei ist der Film eine Verneigung vor der Musik und den Künstlern. Ein Film aus Liebe sozusagen. Ich glaube aber auch, wenn sich die beiden den Film angucken, und davon gehe ich aus – bei Eicher bin ich mir ziemlich sicher, dass er ihn schon gesehen hat – dann hoffe ich, sie schämen sich auch ein bisschen.

Der Satz von Vera Brandes, ihr müsst das mit mir machen, sonst werde ich Zahnarzt: Kennen Sie den als Künstler, oder haben Sie den zu Beginn Ihrer Karriere nie angebracht?

Es gibt manchmal Momente, in denen sich die Karriere entscheidet, das hat nicht unbedingt nur mit den Anfängen zu tun. Nachdem mein guter Freund August Diehl den Film „Gundermann“ gesehen hat, sagte er: „Mensch, das hat aber gedauert bei dir!“ Ja, manchmal dauert es eben ein bisschen länger, aber es kommt auch immer drauf an, was als nächstes für ein Projekt um die Ecke kommt. Ich wusste, „Gundermann“ wird mein Leben verändern. Ich habe also darum gekämpft: Das ist meine Figur und die schnapp’ ich mir jetzt.

Ich finde interessant, dass Sie dem Kino dieses unbedingte Zugeständnis machen, das Sie dem Theater nicht mehr machen möchten.

Wie meinen Sie das?

Die letzte große Ensemble-Leistung von Ihnen am Theater war der „Faust“ unter Frank Castorf, und das war im Jahr 2017.

Vielleicht auch schon 2016, ich weiß es nicht mehr genau. Und dann gab es aber noch das Bowie-Musical „Lazarus“ 2018 in Hamburg. Aber was meinen Sie mit Zugeständnis?

Wenn Andreas Dresen für eine Nebenrolle anruft, sagen Sie zu. Wenn Oliver Reese vom Berliner Ensemble für eine Hauptrolle anruft, sagen Sie: Nee, mach’ ich nicht! Ich kann verstehen, wenn man nach „Kean“ unter Castorf kein normales Stadttheater mehr machen möchte, aber ist das auch klug?

Das wollte ich nie! Wenn ich eine Sache nicht wollte, dann war es, bei Castorf an der Volksbühne zu spielen. Das war nicht mein Ziel.

Haben Sie aber. Viele Jahre. Sie machen jetzt Solo-Geschichten, gerade den grandiosen David-Bowie-Abend am Berliner Ensemble. Sie machen Ihr Ding und sagen: Lasst mich in Ruhe mit der klassischen Ensemble-Kiste am Stadttheater, selbst wenn es Castorf-Niveau hat. Warum eigentlich?

Ich bin ein Freund von Kontinuität, und ich habe 16 Jahre am gefährlichsten Theater der Welt gearbeitet, das ist schwer zu toppen. Deswegen versuch‘ ich’s gar nicht erst. Aber auf der anderen Seite, ich habe auch keinen Karriereplan – weil Sie vorhin sagten, mein Leben hängt davon ab, ich muss jetzt verbissen dies und das tun, damit ich das oder jenes erreiche. Karriereleiter, ich habe dieses Prinzip nie verstanden …

Jetzt haben Sie sich den Bowie rausgepickt, und die Leute lieben Sie dafür, schon klar. Sie haben auch andere große Musiker gespielt …

Ich pick mir die gar nicht raus, die kommen zu mir!

Trotzdem, ich bekomme jedes Mal das Gefühl, der Scheer verabschiedet sich immer ein Stück mehr vom klassischen Theater, das er kann und das man auch von ihm erwartet.

Was Leute von mir erwarten … selbst, wenn ich das wüsste, würde ich wahrscheinlich das Gegenteil davon machen. Ich habe keinerlei Ambitionen, Erwartungen zu entsprechen. Aber das klassische Theater in all seinen Hierarchien hat mich auch nie interessiert.

Was war wichtiger?

Ich bin bei Castorf gelandet, denn da war das viel Entscheidendere die große künstlerische Freiheit, die man hat, auch über die Länge, bei einem Marathon von bis zu sieben Stunden was abzufackeln. In dieser Zumutung lag eine Freiheit und auch eine Schönheit, weil alle Verantwortung übernommen haben, für das, was sie da spielen. Das war auch eine Form von Jazz. Das versuche ich immer zu finden: die Freiheit im Spiel. Und im Team. Es ist Gemeinschaftssport, ob ich das jetzt im Theater im Ensemble mache oder bei einer Film- oder Serienproduktion im Ensemble – da mache ich keinen Unterschied.

Aber Sie machen es ja nicht im Theater – zumindest nicht mehr.

Haben Sie die Kulturszene in Berlin ein bisschen verfolgt?

Mehr als genug. Sie arbeiten am Theater wie ein Söldner, und das finde ich problematisch.

Die Freiheit, die wir 16 Jahre an der Volksbühne verteidigt haben, von der habe ich gelebt! Dieses Theater war mein Zuhause! Unser Ensemble war so legendär wie die Fassbinder-Truppe. Wo, an welcher Bude geht’s gerade so rund, dass ich da unbedingt hinwill?

Ich glaube, Ihr Talent reicht weit über einen David-Bowie-Abend am BE hinaus.

Woran machen Sie das fest?

Scheer arbeitete 16 Jahre „am gefährlichsten Theater der Welt“

Ich will auf was anderes hinaus: Wenn man wirklich immer nur das macht, was sich für einen kulturell oder wirtschaftlich lohnt, dann wird man in Berlin einen Kultursenator bekommen, wie wir ihn jetzt haben. Der so angespitzt ist, dass er die Theater zwar nicht zumachen, aber privatisieren will, was für manchen Künstler aufs Gleiche hinausläuft. Und das Ende vom Lied ist, dass an solchen Bühnen dann nur noch Söldner spielen. Und das machen Sie gerade.

Erst mal muss man sagen, dass so ein Abend wie „Heroes“ mit dem jetzigen Berliner Kulturetat überhaupt nicht mehr zu machen wäre. Aber wir machen ihn trotzdem. Das kommt noch aus einer Zeit, als ein Kultursenator namens Klaus Lederer nicht nur den Sparauftrag des Senats in Grenzen gehalten, sondern seinen Etat auch verteidigt hat. Die Idee hatten wir bereits, am Tag als Bowie starb. Das ist über neun Jahre her. Wir sprechen hier also wirklich nicht über kurzfristige Schnellschüsse, für diesen Abend haben wir hart gearbeitet.

Das muss vorbereitet werden, sicher. Ich glaube, dass Sie aber auch die Aufgabe haben, aus Ihrem Talent mehr zu machen als es nur in so einen Bowie-Abend zu werfen.

Die Leute rennen uns die Bude ein!

Alexander Scheer etwas verträumt als David Bowie im Berliner Ensemble.
Alexander Scheer etwas verträumt als David Bowie im Berliner Ensemble.Luna Zscharnt

Ich behaupte ja nicht, dass das Mist ist. Es ist geil, und die Leute sind aus dem Häuschen. Aber ich wiederhole es gern noch mal, Sie arbeiten im Theater nur noch wie ein Söldner. Machen Sie sich da nicht ein bisschen mitschuldig, indem Sie sich aus der Verantwortung stehlen und auf die klassischen Berliner Bühnen pfeifen? Sie könnten mit Ihrem Talent die Stadt anzünden und ihr geben, was sie zum Überleben braucht.

Moment, ich finde das so interessant, wenn Sie sagen, ich müsse jetzt an Berlin denken: Ich habe mich 16 Jahre lang für eine wirklich lächerliche Abendgage an der Volksbühne bei jeder Vorstellung abgefackelt, ist Ihnen das nicht genug?

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Pandora Filmverleih
Zwei Klasse-Rollen für Alexander Scheer
Der Deutsche Filmpreis 2025 wird am 9. Mai in Berlin vergeben. Alexander Scheer ist gleich zweimal in der Kategorie „Beste männliche Nebenrolle“ nominiert: Im gefeierten Berlinale-Film „In Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen über Hilde Coppi (Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus) spielt er den Hinrichtungspfarrer Harald Poelchau (Foto). „Köln 75“ von Ido Fluk erzählt aus dem Leben der Kölner Gymnasiastin und Konzertveranstalterin Vera Brandes. Sie organisierte in den 70er-Jahren gegen alle Widerstände das legendäre „Köln Concert“ von Keith Jarrett. Hier hat Alexander Scheer den Musik- und Jarrett-Produzenten Manfred Eicher verkörpert. Das ZDF überträgt die von Christian Friedel moderierte Verleihung der Lolas am 9. Mai live um 19 Uhr in der Mediathek, außerdem zeitversetzt um 23.30 Uhr im linearen Fernsehen.

Seit Castorf weg ist von der Volksbühne, seit dem Tod von Schlingensief sind Sie in diesem Berliner Orbit vielleicht die letzte Lichtgestalt.

Ich nehme das jetzt mal so an …

Ich sage ja nicht, Sie sollen auf den Bowie verzichten, um eine Intendanz zu übernehmen.

Das könnte ich auch nicht.

Aber könnten Sie sich vielleicht so einbringen, dass man in dieser Stadt mal wieder geiles Theater erlebt – unabhängig von diesen Ego-Solo-Auftritten, die sicher großartig sind, der Stadt Berlin aber nichts geben?

Ich möchte widersprechen. In „Heroes“ geht es neben seinen Songs um Bowie in Berlin, es geht um seine Bücher, es geht um Brecht. Wir spielen deswegen am Berliner Ensemble. Ich lese Christa Wolf und Alfred Döblin. Wir geben Berlin momentan sehr viel zurück. „Heroes“ ist eine Show, wie sie die Hauptstadt jetzt braucht. Denn ich finde, dieser Satz von Kultursenator Joe Chialo, Kultur sei in Berlin immer viel zu gut gebettet gewesen, zeugt nicht nur von völliger Inkompetenz …

Kultur hat hier funktioniert, weil die Leute sich selbst ausgebeutet haben.

Alexander Scheer

Sondern?

… er ist eine Frechheit! Ich könnte kotzen. Kultur hat hier funktioniert, weil die Leute sich selbst ausgebeutet haben. Weil sie lange Jahre unter Mindestlohn gearbeitet haben. Weil sie gar nicht anders konnten, als in den eh schon immer weniger werdenden Freiräumen hier was hochzuziehen, was anderswo nicht mal im Ansatz denkbar wäre. Weil wir hier verdammt noch mal in Berlin sind. Es ging hier nie ums Geldverdienen. Es ging immer nur darum, was Geiles zu machen. Bowie ist in den 70ern hierhergekommen, weil in den 20er-Jahren alle, die was draufhatten, in dieser Stadt gewesen sind, um ein Ding namens Moderne anzuschieben. Kultur ist die DNA dieser Stadt. Deswegen kommen die Leute her. Und der Gedanke ist absurd, dass man sagt, wir ziehen jetzt die Preise hoch und gleichzeitig kürzen wir die Subventionen. Damit kannibalisieren wir uns selbst. Und dann zu fragen, warum die Stadt nicht mehr so geil ist, sondern nur noch die Mieten teuer, da hat man irgendwas nicht verstanden.

Unter welchen Umständen könnten Sie sich denn vorstellen, noch mal in so einem ausbeuterischen, aber hochkünstlerischen Kulturbetrieb die Lunte anzuzünden? Vorausgesetzt, es ist was Neues.

Ich bin an allem interessiert, was ich nicht kenne. Das Theater kenne ich nun schon sehr lange, und ich war am spannendsten Haus der jüngsten Theatergeschichte. Wenn ein Senat sagt, man muss dem Brecht das Theater wegnehmen oder dem Max Reinhardt oder dem Castorf, dann hat er was nicht verstanden. Wenn die uns nicht mehr haben wollen, warum soll ich mich dann hinstellen und weitermachen? Dann sage ich: Okay, Baby, dann kriegt ihr mich auch nicht mehr!

Alexander Scheer ist auch auf der Berlinale Dauergast und gern gesehen.
Alexander Scheer ist auch auf der Berlinale Dauergast und gern gesehen.Pacific Press Agency/imago

Einzelne kriegen es aber dicke. Es gab die legendäre Bierdusche von Ihnen für den Ex-Kulturstaatssekretär Tim Renner wegen der Dercon-Berufung zum Castorf-Nachfolger

Ach, da ist ein Bier über den Kopf noch viel zu wenig. Die Volksbühne hat hier 25 Jahre die Avantgarde angeführt, der Typ war nicht mal drei Jahre im Amt. Und wenn man die Bude jetzt privatisiert, dann bricht man den kulturellen Nenner dieser Stadt auf das runter, was du sowieso schon überall hast: granitharten Markt. Da kannst du dann Musicals spielen in diesem Haus, das ursprünglich gebaut wurde, um Kultur unters Volk im Viertel zu bringen. Aber nun, der Prenzlauer Berg ist schon lange kein Arbeiterbezirk mehr und ich mache ja auch grade eine Art Musical. Wissen Sie was, Sie haben recht – die Stadt hat Söldner aus uns gemacht.

Berlin wird vom Senat gerade totgespart!

Alexander Scheer

Es ist also so schlimm bei uns in Berlin?

Es ist schlimmer. Berlin wird vom Senat gerade totgespart! Diese Taschenrechner sollte man teeren und federn. Alles, was diese Stadt besonders gemacht hat, wird kaputtgehen. Übrigbleiben werden Luxuswohnungen und Marketingidioten, die sich die Scheiße leisten können. Berlin wird reich und unsexy. Besten Dank, Joe!

Alexander Scheer und KURIER-Reporter Karim Mahmoud im Dorint Hotel Kurfürstendamm, wo das Interview stattfand.
Alexander Scheer und KURIER-Reporter Karim Mahmoud im Dorint Hotel Kurfürstendamm, wo das Interview stattfand.Privat

Ist Berlin noch Ihre Stadt?

Berlin ist meine Stadt und wird es immer sein. Aber ich muss auch Geld verdienen. Nehmen Sie es mir also nicht krumm, wenn ich vor ausverkauftem Haus spiele oder für Streamer drehe. Die Alternative wäre „Tatort“-Kommissar zu werden, und so weit bin ich noch nicht. Und was das Theater angeht: Großes Theater findet in Wellenbewegungen statt. Wir befinden uns gerade in der Talsohle. Ich sage niemals nie. Und vielleicht komme ich ja auch zurück. Vielleicht. Bei mir weiß man nie … ■

Das Interview führte Karim Mahmoud