Schockierende Berichte

Horror-Knast Saidnaja: Hier quälte das Assad-Regime die Syrer

Mit dem Sturz der brutalen Diktatur werden dessen Verbrechen bekannt. Im berüchtigten Foltergefängnis bei Damaskus tauchen Menschen nach Jahrzehnten wieder auf.

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Blick auf das berüchtigte Foltergefängnis Saidnaja: Hier ließ das Assad-Regime zehntausende Menschen massakrieren.
Blick auf das berüchtigte Foltergefängnis Saidnaja: Hier ließ das Assad-Regime zehntausende Menschen massakrieren.Abdulaziz Ketaz/AFP

In Videos, die die Befreiung von Gefangenen zeigen sollen, lässt sich der Horror, den sie in Syriens berühmtesten Foltergefängnis Saidnaja erlebt haben, nur erahnen. „Habt keine Angst. Baschar Assad wurde gestürzt“, ruft einer der Männer, die die Zellentüren öffnen. Hinter ihnen stehen zum Teil Dutzende Frauen, schreien und weinen. Auf dem Video ist auch zu erkennen, dass sie kleine Kinder in den Armen halten, die allem Anschein nach mit ihnen eingesperrt waren. Viele können ihr Glück gar nicht fassen.

Mehrere zehntausend politische Gefangene sollen bereits aus den Gefängnissen der Assad-Diktatur entlassen worden sein, wie Rami Abdurrahman von der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilt.

Allein im Saidnaja-Gefängnis zehntausende Syrer exekutiert

Laut der Organisation Amnesty International, die sich für die Rechte politischer Gefangener einsetzt, sollen in dem berüchtigten Folterknast jede Woche Dutzende Exekutionen stattgefunden haben. Die Experten der Organisationen schätzen, dass 13.000 Menschen allein in den ersten fünf Jahren des Syrischen Bürgerkriegs zwischen 2011 und 2016 exekutiert wurden. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte geht von 30.000 Toten in dem Gefängnis im Syrischen Bürgerkrieg aus. Das Gefängnis existiert bereits seit den 1980er Jahren.

Menschenrechtler hatten vor dem Sturz der Diktatur bereits 27 solcher Foltergefängnisse im ganzen Land lokalisiert. Nach dem Ende Assads gibt es erste Berichte über die Entdeckung bisher unbekannter Foltergefängnisse.

Menschen suchen im Saidnaja-Gefängnis nach ihren vermissten Angehörigen.
Menschen suchen im Saidnaja-Gefängnis nach ihren vermissten Angehörigen.Hussein Malla/AP

Saidnaja-Gefangene können sich nicht an Name oder Alter erinnern

Unterdessen ist die Situation in und um die Gefängnisse unübersichtlich, auch weil viele Syrer nach ihren vermissten Angehörigen suchen. Dr. Sharvan Ibesh, Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Bahar, die in Syrien humanitäre Arbeit leistet, berichtete der BBC über die Zustände vor Ort. Als er im Gefängnis ankam, habe dort „Chaos“ geherrscht, sagt er. „Hunderte von Menschen kamen aus dem Gefängnis heraus, und uns wurde gesagt, dass wir nicht hineingehen könnten, weil so viele Menschen den Rettern in die Quere kämen“.

In einer nahen Moschee habe er mit Opfern gesprochen, die lange in dem Foltergefängnis einsaßen. „Sie waren desorientiert. Sie kannten nicht einmal die Zeitzone“, berichtet er. „Die Leute um sie herum fragten ‚Wie heißt du?‘ und ‚Wie alt bist du?‘, aber sie konnten nicht einmal diese Fragen beantworten“, so der Helfer. Es sei schwer zu sagen gewesen, wie alt die Männer in etwa waren. „Die Männer waren völlig verstört, sie starrten nur vor sich hin“, sagt Ibesh.

In Onlinemedien teilten Syrer Fotos von angeblich aus den Verliesen befreiten Gefangenen, um Familien auf diese Weise bei ihrer Suche nach ihren teilweise jahrelang vermissten Angehörigen zu unterstützen. Fadwa Mahmud schrieb dort an ihren vermissten Mann und Sohn: „Wo seid ihr, Maher und Abdel Asis? (...) Bitte kommt zurück, lasst meine Freude vollkommen sein.“

Als al-Tatari festgenommen wurde, war er noch ein junger Mann.
Als al-Tatari festgenommen wurde, war er noch ein junger Mann.The Syria Campaign

Gefangener nach 43 Jahren freigelassen

Unterdessen gibt es auch immer mehr Neuigkeiten von lange vermissten Personen, die nun endlich gefunden wurden. Wie die Vereinigung der Gefangenen und Vermissten des Saidnaja-Gefängnisses mitteilte, gehörte auch Ragheed Ahmad al-Tatari zu den Eingekerkerten. Er könnte einer der am längsten inhaftierten Gefangenen in Syrien sein und soll 43 Jahre in verschiedenen Gefängnissen verbracht haben, wie die Organisation berichtet. Befreit wurde er in einem weiteren Horrorknast: dem Zentralgefängnis Adra in Damaskus.

Tatari soll laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation „The Syria Campaign“ 1980 erstmals verhaftet worden sein. Er weigerte sich damals, als Pilot der syrischen Luftwaffe Angriffe auf die Stadt Hama zu fliegen. Dort hatte es einen Aufstand gegen die Assad-Diktatur gegeben, der blutig niedergeschlagen wurde. Bis zu 30.000 Tote hatte es damals gegeben. Zunächst wurde Tatari dann freigelassen, 1981 aber erneut inhaftiert und durchwanderte mehrere der schlimmsten Gefängnisse in Syrien. Nun wurde er lebend gefunden.

Berüchtigtes Foltergefängnis Saidnaja: In dem Riesenknast wurden ganze Familien eingesperrt.
Berüchtigtes Foltergefängnis Saidnaja: In dem Riesenknast wurden ganze Familien eingesperrt.abdulaziz Ketaz/AFP

Auch einen Tag nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad hatten Rettungskräfte das berüchtigte Saidnaja-Gefängnis noch nach unterirdischen Zellen durchsucht. Die Hilfsorganisation Weißhelme entsandte am Montag zunächst Teams, um nach möglicherweise noch eingeschlossenen Gefangenen zu suchen.

Später teilte die Organisation  mit, dass vorherige Berichte, dass vor Ort mehrere unterirdische Stockwerke mit Gefangenen entdeckt worden seien, nicht korrekt wären. „Es ist nicht wahr, dass Häftlinge unter der Erde eingeschlossen sind, und die in einigen Presseberichten enthaltenen Informationen sind ungenau“, so die Vereinigung für Häftlinge und Vermisste im Saidnaja-Gefängnis in einer Mitteilung. „Die Vereinigung und ihr Team, das sich im Saidnaja-Gefängnis aufhält, bestätigen, dass es in allen Gebäuden keine Gefangenen mehr gibt.“ Der letzte Gefangene sei am Sonntag aus dem Gefängnis gerettet worden.

Auch die Weißhelme teilen mit: „Bis zum 9. Dezember um 16.45 Uhr Damaskus-Zeit wurden keine Beweise für die Anwesenheit von Häftlingen gefunden, die nicht bereits freigelassen wurden.“ Dennoch werde man weiter suchen, um sicherzustellen, dass niemand vergessen wurde.

Ein Mann hält zwei Schlingen in der Hand, die im Gefängnis von Saidnaja gefunden wurden.
Ein Mann hält zwei Schlingen in der Hand, die im Gefängnis von Saidnaja gefunden wurden.Hussein Malla/AP

Vereinte Nationen fordern Untersuchung der Verbrechen der Assad-Diktatur

Die Vereinten Nationen forderten derweil, die Verantwortlichen für die unter der Assad-Herrschaft begangenen Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Dies müsse ein „Schlüsselelement“ eines politischen Übergangs in Syrien sein, sagte UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk am Montag. Sämtliche Beweise für Verbrechen während dieser Zeit müssten sorgfältig gesichert werden.

Das Saidnaja-Gefängnis steht symbolhaft für die Brutalität der jahrzehntelangen Assad-Regierung. Der syrische Staatschef hatte von seinem verstorbenen Vater Hafis al-Assad einen Apparat von Gefängnissen und Haftanstalten übernommen, um gegen Andersdenkende vorzugehen. Eine syrische Organisation hat indes Belohnungen von 3000 Euro für Hinweise ausgerufen, die zur Aufdeckung weiterer versteckter Haftanstalten führt.

Der Assad-Clan regierte das Land seit mehr als 50 Jahren mit eiserner Hand. Baschar al-Assad hatte die Macht im Land im Jahr 2000 von seinem verstorbenen Vater übernommen. Mit seiner gewaltsamen Niederschlagung pro-demokratischer Proteste im Jahr 2011 begann ein Bürgerkrieg, dem eine halbe Million Menschen zum Opfer fiel und der Millionen in die Flucht trieb.