Regime besiegt

Nach Sturz Assads: Wird Syrien unter diesem Rebellenchef islamistisch?

Damaskus ist in der Hand der Rebellen, Präsident Assad geflohen. Die Islamisten kündigten an, die Macht friedlich übernehmen zu wollen. Stimmt das?

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Der islamistische Rebellenführer Abu Mohammed al-Dscholani ist am Ziel. Das Regime des syrischen Machthabers Assad ist am Ende.
Der islamistische Rebellenführer Abu Mohammed al-Dscholani ist am Ziel. Das Regime des syrischen Machthabers Assad ist am Ende.Omar Haj Kadour/AFP

Seit mehr als 13 Jahren dauert der Bürgerkrieg in Syrien an, Millionen Menschen starben bei den blutigen Kämpfen oder flohen ins Ausland. Nun ging es rasend schnell. Erst vor anderthalb Wochen starteten die Rebellen ihre Offensive – und erreichten schon ihr Ziel. Der Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad war der große Traum vieler Syrer, darunter auch der des islamistischen Rebellenführers Abu Mohammed al-Dscholani.

Am Sonntag sind unter anderem auch al-Dscholanis islamistische Kämpfer in Syriens Machtzentrum, die Hauptstadt Damaskus, eingedrungen und haben die Stadt „für frei“ erklärt. Und das 13 Jahre nachdem Präsident Baschar al-Assad Proteste gegen die Regierung im Land mit Gewalt hatte niederschlagen lassen.

Al-Dscholani ist der heutige Chef der Hajat Tahrir al-Scham (HTS), eines früheren Zweigs des Terrornetzwerks Al-Kaida in Syrien. Die HTS-Kämpfer und verbündete Gruppen hatten nach Jahren des weitgehenden Stillstands im syrischen Bürgerkrieg am 27. November überraschend eine Großoffensive gegen die Regierungstruppen gestartet.

Jahrelang hatte al-Dscholani im Verborgenen agiert. Heute steht er im Rampenlicht, gibt Erklärungen ab und spricht mit internationalen Medien. Den Turban der Dschihadisten, den er noch zu Beginn des syrischen Krieges im Jahr 2011 trug, legte er nach und nach ab – zugunsten einer Militäruniform.

Seit seinem Bruch mit Al-Kaida im Jahr 2016 versucht al-Dscholani, sein Image zu glätten und sich moderater zu zeigen. Experten und westliche Regierungen überzeugte das bisher nicht. Sie stufen die HTS derzeit noch als Terrorgruppe ein. Der Wissenschaftler Thomas Pierret von Frankreichs nationalem Forschungsinstitut CNRS nennt ihn einen „pragmatischen Radikalen“.

2014 sei al-Dscholani auf dem Höhepunkt seiner Radikalität gewesen, sagt der Experte und verweist darauf, dass er sich damals gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) habe durchsetzen wollen. Seitdem habe er „seine Rhetorik gemildert“.

Rebellenchef stammt aus wohlhabender Familie

Der 1982 geborene al-Dscholani wuchs in Masseh auf, einem gutbetuchten Stadtteil von Damaskus. Er stammt aus einer wohlhabenden Familie und war ein guter Schüler. Während der jüngsten Offensive fing er an, seinen bürgerlichen Namen zu nutzen: Ahmed al-Scharaa.

2021 sagte er dem amerikanischen Fernsehnetzwerk PBS, dass sein Kampfname Bezug nehme auf die Wurzeln seiner Familie auf den Golanhöhen. Seinen Angaben zufolge war sein Großvater nach der israelischen Annexion der Gegend im Jahr 1967 zur Flucht gezwungen worden.

In Damaskus wird die Einnahme der Hauptstadt durch die islamistischen Rebellen gefeiert.
In Damaskus wird die Einnahme der Hauptstadt durch die islamistischen Rebellen gefeiert.Louai Beshara/AFP

Angezogen vom Gedankengut der Dschihadisten nach den Anschlägen vom 11. September 2001, hatte al-Dscholani nach der von den USA geführten Invasion im Irak seine Heimat Syrien verlassen, um im Nachbarland zu kämpfen. Dort schloss sich der heutige HTS-Chef Al-Kaida an und wurde anschließend fünf Jahre inhaftiert.

Im März 2011, als die Revolte gegen Assads Regierung in Syrien begann, kehrte er in sein Heimatland zurück und gründete die Al-Nusra-Front – den syrischen Ableger von Al-Kaida, aus dem später die HTS hervorging.

Im Mai 2015 gab al-Dscholani an, dass er im Gegensatz zum IS nicht die Absicht habe, Anschläge gegen den Westen auszuführen. Auch erklärte er, dass es im Fall einer Niederlage Assads keine Angriffe aus Rache gegen die alevitische Minderheit geben werde, der Assads Familie entstammt. Insgesamt versucht er, den Weg zu einem „aufstrebenden Staatsmann“ einzuschlagen.

Brutales Vorgehen gegen Andersdenkende

Im Nordwesten Syriens zwang al-Dscholani rivalisierenden islamistischen Gruppen im Januar 2017 einen Zusammenschluss mit der HTS auf und beanspruchte damit die Kontrolle über weite Teile der nordwestsyrischen Provinz Idlib. Der HTS wurde in dieser Zeit von Bewohnern und Menschenrechtsgruppen brutales Vorgehen gegen Andersdenkende vorgeworfen – die Vereinten Nationen stufen dies als Kriegsverbrechen ein.

Wird Syrien ein islamistischer Staat?

Womöglich im Wissen um die Angst und den Hass, den seine Miliz hervorrief, rief al-Dscholani seine Kämpfer dazu auf, die Sicherheit in den nun eingenommenen Gebieten zu gewährleisten. Der Chefrebell behauptet: „Unsere Organisation ist nicht das Ziel, sondern das Mittel, um Syrien neu aufzubauen.“

Ob Syrien ein islamistischer Staat werde, ließ al-Dscholani im Interview mit dem amerikanischen Sender CNN offen: „Leute, die eine islamische Regierung fürchten, haben entweder nur falsche Anwendungen davon erlebt oder ihre Natur nicht richtig verstanden“, wiegelt al-Dscholani ab. „Wir sprechen hier von etwas, was im Einklang ist mit den Traditionen und Gegebenheiten der Region.“

Syriens Ministerpräsident Mohammed al-Dschalali blieb eigener Darstellung zufolge im Land und will bei einem Machtwechsel kooperieren. „Wir sind bereit, (die Macht) an die gewählte Führung zu übergeben“, sagte al-Dschalali in einer Videobotschaft, die er laut eigener Aussage in seinem Zuhause aufzeichnete. Über diese Führung müsse das Volk entscheiden. „Wir sind bereit, sogar mit der Opposition zusammenzuarbeiten.“

Das Weiße Haus teilte mit, der amerikanische Präsident Joe Biden und sein Team beobachteten die außergewöhnlichen Ereignisse in Syrien genau und stünden in ständigem Kontakt mit den regionalen Partnern. Zuvor hatte der designierte Präsident der USA, Donald Trump, klargemacht, er wolle nicht, dass sich die USA in irgendeiner Form in die Krise in Syrien einmischen. ■