74 Prozent für die Rechten

HIER erklärt ein Bürgermeister, warum der Osten AfD wählt

Nur 200 Einwohner: Aber im Dorf Groß Luckow in Mecklenburg-Vorpommern gab es mit 74 Prozent einen der höchsten Gewinne für die in Teilen rechtsradikalen Partei.

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Eines der vielen AfD-Wahlplakate in Mecklenburg-Vorpommern: Alice Weidcel konnte vor allem im Osten Deutschlands punkten.
Eines der vielen AfD-Wahlplakate in Mecklenburg-Vorpommern: Alice Weidcel konnte vor allem im Osten Deutschlands punkten.Marc Stinger/imago

Der Osten in Deutschland ist AfD-blau! Die teilweise rechtsextreme Partei verdankt vor allem den dortigen Wählern, dass sie bei der Bundestagsneuwahl zweitstärkste Partei wurde. Im Osten wurde die AfD sogar Wahlsieger. Einen der höchsten Gewinne mit 74 Prozent holten Alice Weidel und Co. in Groß Luckow in Mecklenburg-Vorpommern.  Den Bürgermeister überrascht es nicht und erklärt, warum der Osten AfD wählt

Eine gotische Kirche mit Wandmalereien, ein saniertes Gutshaus und das Gemeinde- und Feuerwehrzentrum – darauf ist die 200-Seelen-Gemeinde Groß Luckow direkt an der brandenburgischen Grenze stolz. Drei Wahlplakate von CDU, SPD und BSW sind zu sehen, doch triumphiert hat hier bei der Bundestagswahl eine andere Partei: Dreiviertel der gültigen Zweitstimmen entfielen auf die AfD. Rekord in Mecklenburg-Vorpommern!

„Das überrascht mich nicht wirklich“, sagt Bürgermeister Robert Belz (parteilos). Schon bei vorhergehenden Wahlen habe die AfD Ergebnisse über 60 Prozent erreicht.

Das Ortsschild von Groß Luckow: 78 Prozent der Zweitstimmen gab es in dem Ort für die AfD – Rekord in Mecklenburg-Vorpommern.
Das Ortsschild von Groß Luckow: 78 Prozent der Zweitstimmen gab es in dem Ort für die AfD – Rekord in Mecklenburg-Vorpommern.Stefan Sauer/dpa

74,7 Prozent sind es jetzt geworden. Demnach haben 71 Menschen in der Gemeinde ihr Kreuz bei der Rechtsaußen-Partei gemacht. Weit abgeschlagen kommt die CDU mit 10,5 Prozent auf den zweiten Platz.

In ganz MV kam die AfD dem vorläufigen Endergebnis zufolge auf 35,0 Prozent der Stimmen, deutschlandweit laut vorläufigem Ergebnis auf 20,8. Den AfD-Rekord für Brandenburg holt das Dorf Jämlitz-Klein Düben in der Lausitz: Dort an der Grenze zu Sachsen bekam die Partei 69,2 Prozent der Zweitstimmen.

In Groß Luckow erklärt Bürgermeister Belz den AfD-Rekord teilweise mit jungen Wählen. Es handele sich um eine sehr junge Bevölkerung. Jugendliche seien an der Wahlurne möglicherweise etwas sprunghafter und eher bereit, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Doch angesichts einer Wahlbeteiligung von 74,2 Prozent im Ort (95 gültige Stimmen) dürfte auch der eine oder andere ältere AfD-Wähler dabei gewesen sein.

Hohe AfD-Gewinne im Osten: Es sind nicht nur Nazis, die diese Partei wählen

„Wir haben immer noch die zwei großen Gruppen, die die AfD wählen“, sagt der Rostocker Politikwissenschaftler Wolfgang Muno. „Das sind einmal die überzeugten Rechtsextremisten, die das gut finden, dass die Partei am äußersten rechten Rand des Spektrums steht.“ Dieses Potenzial sei in Ostdeutschland größer als in Westdeutschland.

„Die zweite Wählergruppe, das sind die chronisch Enttäuschten, die sich abgehängt fühlen, benachteiligt fühlen, schlecht behandelt fühlen, die unzufrieden sind mit Parteien.“ Diesen Menschen mangele es an Vertrauen in den Staat und die Demokratie. Auch dieses Potenzial sei in Ostdeutschland größer als im Westen. Ein Blick auf den am Sonntag blau gefärbten Osten, der sich vom Rest der Bundesrepublik abhebt, scheint dies zu stützen.

Das Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr, dahinter die Kirche - der Dorfkern von Groß Luckow.
Das Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr, dahinter die Kirche - der Dorfkern von Groß Luckow.Stefan Sauer/dpa

In Groß Luckow spielen nach Einschätzung des ehrenamtlichen Bürgermeisters bei der Entscheidung für die AfD Themen eine Rolle, die typisch für den ländlichen Raum sind. So komme etwa das Deutschlandticket städtischen Regionen zugute. Auf dem Dorf könne „man mit dem Ticket auf den Bus warten, der nicht kommt“.

AfD im Osten – DARUM ist sie auf dem Land so stark

Ein anderes Thema seien die erneuerbaren Energien. „Da kann ich mir zum Beispiel auch vorstellen, dass auch ältere Leute gesagt haben: ,Früher, wenn ich in diese Richtung geguckt habe, da konnte ich bis zum Horizont gucken.‘“ Jetzt sehe man rings herum in fast allen Richtungen Windkraftanlagen.

Den Menschen sei versprochen worden, der Strom werde günstiger. Im Vergleich zu anderen Regionen sei mitunter das Gegenteil der Fall. Gleichzeitig stiegen die Spritkosten. „Man ist aber definitiv auf ein Auto angewiesen.“

In Groß Luckow gebe es keine Einkaufsmöglichkeiten, sagt der 37 Jahre alte Inhaber eines Computergeschäfts in Pasewalk. „Ich kenne keinen aus dem Dorf, der jemals ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt, weil das einfach nicht möglich ist.“ Eine Ausnahme sei der Schülerverkehr.

Die Menschen wünschten sich mehr Politik im Sinne des ländlichen Raums. Das passierte nicht. Die Quittung dafür gab es an der Wahlurne. Von den Parteien der ehemaligen Berliner Ampel-Koalition erhielt nur die SPD in Groß Luckow überhaupt Stimmen, nämlich fünf (5,3 Prozent). FDP und Grüne erhielten keine Stimmen. ■