Nehmen wir an, das Kind, welches seinen schneeweißen Teddybären Ende September 1989 in der bundesdeutschen Botschaft in Prag im Palais Lobkowicz verloren hat, war sieben Jahre alt. Sieben ist schließlich eine Glückszahl. Heute wäre er oder sie, 35 Jahre später, mit 42 Jahren vielleicht selbst schon Vater oder Mutter. Keiner weiß besser als Eltern kleiner Kinder, wie wichtig Kuscheltiere sein können.
Bei uns in der Familien heißen die geliebten Begleiter Pingu und Karlchen. Sie müssen immer mit, stecken auf jeder Reise im Rucksack. Karlchens Fell ist schütter, Pingus Schlafanzug schon fadenscheinig. Der großen Liebe der Kinder zu ihren Kuscheltieren tut das keinen Abbruch.
Zeuge der Genscher-Rede in der Prager Botschaft
Ich stelle mir vor, wie ein Kind diesen weißen Teddybären im Arm hält. Ihn durch den Matsch im Botschaftsgarten trägt, ihn sauber hält. Der Teddy riecht sicher nach Vertrauten, in den diesen Tagen voller Ungewissheit.
Er, der Zeuge eines historischen Moments war, sieht auch nach 35 Jahren noch gut gepflegt aus, abgeliebt, mit kahlen Stellen ist der Knopfäugige nicht. Und doch wurde er ausgewählt, im Spätsommer 1989 auf eine wohl lebensverändernde Reise mitzukommen.

„Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise...“ so lautet der wohl berühmteste unvollendete Satz im Vorfeld des Mauerfalls am 9. November 1989. Die übrigen Worte des damaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher gingen im Jubelsturmin der Prager Botschaft unter. Mehr als 4.000 DDR-Flüchtlinge lagen sich vor Freude in den Armen. Einige von ihnen hatten dort seit Wochen ausgeharrt, um nach Westdeutschland auszureisen.
„Der Teddybär war der letzte Anwesende in der Botschaft, nachdem die DDR-Bürger mit Sonderzügen in die Bundesrepublik ausgereist waren. In der Eile des nächtlichen Aufbruchs war er einem Kind abhandengekommen“, erinnert sich Christian Seebode, der den Teddy in einem der Zelte findet, die im Garten der Botschaft für die Flüchtlinge errichtet worden waren.
Christian und Christine Seebode waren in den historischen Septembertagen im Jahr 1989 als Diplomaten an der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag mit der Aufnahme, Betreuung und schließlich mit der Begleitung der Zuflucht suchenden Menschen aus der DDR in den Westen betraut.
In der Hektik der Flucht nach Westdeutschland liegen gelassen
„Wir brachten es nicht übers Herz, den sicher heiß geliebten Bären einfach liegenzulassen“, erinnern sie sich später, als sie auch Jahrzehnte nach dem Mauerfall noch den Besitzer suchen. „Ein Kind hatte den Teddy in der Hektik des nächtlichen Aufbruchs zurückgelassen. Ein lieber Zeuge der deutschen Einheit. Wir wären sehr glücklich, wenn wir ihn zurückgeben könnten.“
Wir wissen nicht, ob die Trauer über den Verlust des Plüsch-Freundes groß war, oder ob der Taumel, der auf die Flucht folgen musste, ihn schnell vergessen ließ. Nach vorn blicken, nicht zurück, galt es in diesen aufregenden Tagen.

Doch als sich auch später niemand auf die Versuche, einen Besitzer zu finden, meldete, entschieden die Diplomaten, den Bären nun dem DDR-Museum zu schenken. Der Sammlungsleiter des DDR-Museums, Eric Strohmeier Wimmer, freut sich über den Neuzugang. Anhand des Teddybären kann man einen historischen Moment emotional erzählen. „Das Objekt und seine Geschichte sind zusammen einzigartig“, so Eric Strohmeier Wimmer. Der Bär trägt seit dem September 1989 seine Geschichte.
Die Kinder der Seebodes durften nicht mit dem weißen Bären spielen. Zu besonders seine Geschichte. Eines Tages wird sie in einer Ausstellung im DDR-Museum erzählt werden. Wenn nicht doch noch der oder die Besitzerin von damals auftaucht und den Teddy endlich mit nach Hause nimmt. Wo immer im vereinten Deutschland das sein mag.
Stefanie Hildebrandt schreibt regelmäßig im KURIER über Geschichten aus dem Osten und aus den Berliner Kiezen. Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com ■