Vom gefeierten Helden zum unglücklichen Reservisten – solch tiefer Fall passiert im schnelllebigen Profifußball immer wieder. Haris Tabakovic, ein Mittelstürmer par excellence, erlebt derzeit solch einen unangenehmen Karriereabschnitt. Im August 2023 war Herthas Sportdirektor Benjamin Weber ein Coup gelungen, als er den 1,94-Meter-Riesen von Austria Wien nach Berlin lockte. Der wuchtige Athlet avancierte zum kongenialen Partner von Flügelstürmer Fabian Reese, wurde bei Hertha BSC zum Nationalspieler von Bosnien-Herzegowina und stieg mit 22 Treffern zum überhaupt ersten Torschützenkönig der Berliner in der Zweiten Liga auf.
Hertha BSC hat kein Geld für Haris Tabakovic
Hertha erfüllte dem 30-Jährigen im Sommer 2024 seinen Wunsch nach einem „vielleicht letzten großen Vertrag“ (so Tabakovic) in der Ersten Bundesliga. Doch bei der TSG 1899 Hoffenheim fristet er das Dasein eines Bankdrückers, allenfalls eines Jokers. Zwei Startelf-Einsätze und ein Treffer stehen zu Buche. Weil Tabakovic in Berlin nie auch nur annähernd ersetzt werden konnte, wurde der Ruf nach dessen Rückkehr immer lauter. Doch solch eine Aktion wird ein Wunschtraum bleiben, weil Herthas finanzielle Lage das nicht zulässt.
Als ich Karl-Heinz Granitza, einst in den 1970er Jahren einer der besten Mittelstürmer in Herthas Liga-Historie, mit der aktuellen Sturmmisere konfrontierte, lobte er überschwänglich: „Tabakovic war ein absoluter Volltreffer“. Die Kritik folgte auf dem Fuße: „Diejenigen, die ihn in der Hinrunde ersetzen sollten, haben alle mehr oder weniger versagt.“
Hertha fehlt nach Tabakovic-Verkauf ein Knipser
Cheftrainer Cristian Fiel hatte die Wahl auf der Position des zentralen Angreifers zwischen Luca Schuler (25), dem Zugang vom 1. FC Magdeburg, dem Haudegen Florian Niederlechner (34) und dem umtriebigen Flügelstürmer Derry Scherhant (22). Letzterer war auf der linken Außenbahn allerdings viel effektiver und dort ein Unruheherd für die Gegner. Niederlechner gab dem Team mit seiner Erfahrung Halt, ist aber längst kein „Knipser“ mehr und Schuler erinnert bisher lediglich mit seiner Körpergröße von 1,90-Meter an Tabakovic. Mittelstürmer Nummer vier, Smail Prevljak (29) wurde vom Trainer meist links liegengelassen und ist ein Verkaufskandidat.
Scherhant und Niederlechner kamen auf je fünf Saisontreffer, Schuler auf drei. „Das ist für Mittelstürmer eine viel zu schwache Bilanz nach einer Hinrunde“, urteilte Granitza, „Hertha braucht einen Mann, der für zehn, zwölf Tore in der Rückrunde gut ist.“

Der heute 73-Jährige, ehemalige Scout für Chelsea London, weiß, wovon er spricht. Von 1976 bis 1979 schoss er in 73 Bundesligaduellen 34 Tore für Hertha und stieg später in den 1980er Jahren in der National American Soccer League (NASL) in den USA zu den Top-Stars auf, kam für Meister Chicago Sting in 225 Spielen auf sagenhafte 141 Treffer! Hertha müsse den Blick erweitern, auch in Südamerika oder in Skandinavien nach einem Mittelstürmer fahnden, sagte Granitza, „das Team braucht im Idealfall einen gestandenen Mittelstürmer, groß, kopfballstark, eine Anspielstation, die mit dem Rücken zum Tor die Bälle festmachen kann und dann selbst die Netze zerschießt.“
Stürmersuche: Hertha BSC hat viele Konkurrenten
Sportdirektor Weber hat bei der Fahndung nach einem „Knipser“ enorme Konkurrenz, weil dieser Typ Stürmer aktuell sehr gefragt ist. Von den Top 10 der Torjägerliste der Zweiten Liga hat sich die Nummer eins, Budu Zivzivadse (12 Treffer) vom Karlsruher SC inzwischen zum Erstligisten 1. FC Heidenheim verabschiedet, angeblich für eine moderate Ablöse von rund 1,5 Millionen Euro. Und die Hertha? Der Klub kann in seiner Geschichte auf viele erfolgreiche zentrale Angreifer verweisen, was im Moment aber leider lediglich nostalgische Gefühle hervorrufen kann. Der illustre Kreis reicht von Lorenz Horr, der zugleich Spielmacher war, über Karl-Heinz Granitza, Theo Gries bis zu Marko Pantelic, Vedad Ibisevic und zu Rekordschütze Michael Preetz.
Könnte Kritiker Granitza die Zeit sehr weit zurückdrehen, würde er sich selbst am liebsten einwechseln. Doch das ist genauso utopisch wie die Rückkehr von Haris Tabakovic. ■