Hertha-Kolumne

Kiek ma eena an! Hertha BSC ist für viele Spieler ein Sprungbrett

Früher tappten viele blau-weiße in die Wechselfalle. Doch derzeit glänzen ehemalige Hertha-Stars auch bei anderen Klubs.

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Lazar Samardzic (22) verließ Hertha BSC als Mega-Talent und fand in Italien sein Glück. Der Serbe jubelt regelmäßig für Atalanta Bergamo.
Lazar Samardzic (22) verließ Hertha BSC als Mega-Talent und fand in Italien sein Glück. Der Serbe jubelt regelmäßig für Atalanta Bergamo.NurPhoto/imago

Der eine oder andere wird sich gern daran erinnern, dass es durchaus lange Perioden gab, in denen die Mannschaft von Hertha BSC deutlich mehr Siege feiern konnte, als nach Niederlagen zu trauern. Der damalige Manager Dieter Hoeneß ließ sich immer etwas einfallen, um spielstarke Profis zum Verein zu locken und Leistungsträger länger zu halten. Er setzte auf Berlin. Hoeneß legte während der Verhandlungen nicht nur Wert auf die entscheidende Frage – die Höhe des Gehalts – sondern auch auf den Wohlfühlfaktor. Und so chauffierte er gern höchstselbst bekannte Profis durch die schöne Umgebung Berlins. Seine Route führte oft über den Grunewald zum Wannsee und zur Havelchaussee, später zum Kudamm und zum Potsdamer Platz.

Hertha BSC: Mit Geld kann Benjamin Weber nicht locken

Wie derzeit Sportdirektor Benjamin Weber potentiellen Neuzugängen einen Wechsel schmackhaft macht oder andere zum Bleiben animiert, ist nicht publik geworden. Das Geld kann es nicht sein. Vielleicht die Größe und Wucht des Vereins, seine großartigen Fans, seine Tradition und die noch immer vorhandene Vielfalt der Stadt Berlin.

Fakt ist, einen solch starken Abwehrspieler wie den Engländer Jonjoe Kenny (27) kann Weber wohl nicht mehr halten. Der exzellente Rechtsverteidiger will unbedingt sofort zu Sheffield United wechseln, dem Tabellenzweiten der Championship, also der Zweiten Liga in England. Der 1889 gegründete Traditionsverein strebt zurück in die Premier League. Noch läuft das Hickhack rund um diesen Transfer, der jeden Tag über die Bühne gehen kann – auch, wenn diese Kolumne gerade druckt. Im Dezember hatte ich Kenny zu meinem „Herthaner der Hinrunde“ gekürt, was ein positives Echo fand. Offenbar scheint für Kenny die Aussicht, mit Sheffield bald in die Premier League zu gelangen, viel größer zu sein, als mit Hertha im Mai aufzusteigen.

Nur wenige Stars finden nach Hertha-Abschied ihr Glück

Nicht immer sind es für Profis, die Hertha wegen vermutlich besserer Perspektiven verlassen haben, beim neuen Arbeitgeber gut gegangen. Ein Wechsel birgt nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. Einige wie etwa die ehemaligen Stars Josip Simunic, Marko Pantelic oder Andrej Woronin, die Hertha 2009 unter Trainer Lucien Favre beinahe zum Meister gemacht hätten, danach den Klub aus finanziellen Gründen verlassen haben oder sogar verlassen mussten, wurden bei ihren folgenden Klubs nicht glücklich. Sie erlebten ihren Karriere-Höhepunkt in Berlin.  Aktuell erwiesen sich vor allem die Wechsel von Haris Tabakovic (1899 Hoffenheim) oder von Keeper Oliver Christensen, den Florenz lockte, als unglückliche Entscheidungen. Die Liste ließe sich locker fortsetzen.

Ex-Hertha-Star Matheus Cunha (25) verzückt die Premier League mit seinen Leistungen für die Wolverhampton Wanderers.
Ex-Hertha-Star Matheus Cunha (25) verzückt die Premier League mit seinen Leistungen für die Wolverhampton Wanderers.News Images/imago

Doch zur Wahrheit gehört, dass andere Profis, die Hertha den Rücken kehrten, in neuer Umgebung aufblühten. Sie sind sogar in der Mehrheit. Ehrgeizige Talente, die zuerst die Ausbildung in der Akademie genossen, später nicht sofort einen Platz bei den Profis fanden, nahmen Hertha als Sprungbrett. Arne Maier (FC Augsburg), Lukas Ullrich und Luca Netz (beide Mönchengladbach) sind Stammkräfte in der Ersten Liga. Und das Paradebeispiel, wie ein Verlassen der jahrelangen Komfortzone guttun kann, ist Maximilian Mittelstädt. Vom Bankdrücker und Einwechselspieler in Berlin entwickelte er sich im Eiltempo zur Stammkraft beim VfB Stuttgart, wurde Nationalspieler und EM-Teilnehmer. Unglaublich!

Samardzic, Lukebakio und Cunha glänzen auch woanders

Das gilt auch für Lazar Samardzic, einst eines der größten Talente der Hertha. Der gehört inzwischen zu den begehrtesten Profis in Italiens Serie A, verzaubert die Fans von Europa-League-Sieger Atalanta Bergamo. Und zwei Top-Leute, die einst für Hertha Tore schossen, gehören inzwischen zu den umworbenen Stars in den besten Ligen: Dodi Lukebakio beim FC Sevilla und Matheus Cunha bei Wolverhampton Wanderers.

Zurück zu Jonjoe Kenny. Sein Wechsel würde einen herben sportlichen Verlust bedeuten. Und das zur Unzeit. Dennoch werde ich im Rückblick zuerst an seinen „Treffer des Willens“ in der 120. Minute des Pokaldramas gegen den Hamburger SV im Dezember 2023 denken. Ein Moment, der bleibt.