Am 14. Juni 1975 stürmten zahlreiche Fans von Hertha BSC auf den Rasen des Olympiastadions und feierten ihr Team, dass nach einem 4:2-Sieg gegen den VfL Bochum gerade Vizemeister geworden war. Libero Uwe Kliemann trug Kapitän „Luggi“ Müller, der sein letztes Spiel im Hertha-Trikot absolviert hatte, auf den Schultern vom Platz. Das ist nun 50 Jahre her und viele der längst ergrauten Recken hatten sich lange Zeit nicht mehr gesehen.
Zum Zweitligaduell der Hertha gegen die SpVgg Greuther Fürth (1:0), dem vorletzten Heimspiel der zurückliegenden Saison, lud der Verein die ehemaligen Profis ein. Rang 2 in der Spielzeit 1974/75 hinter Borussia Mönchengladbach ist die bis heute beste Platzierung in der Liga-Historie der Blau-Weißen. Davon kann die Hertha im Jahr 2025 nur träumen. Besonders bemerkenswert: Die Truppe um Erich Beer und Lorenz Horr machte damals aus dem Olympiastadion eine Festung und blieb ungeschlagen (15 Siege, 2 Remis). Gegen Fürth ging der Auftritt der Klub-Legenden, die alle meist Mitte oder gar Ende 70 sind, leider ein wenig unter, weil an jenem Tag auch der einstige Superstar Marcelinho von Hertha zum „Fahnenträger“ ernannt wurde.
Teamgeist und Heimstärke sorgen für beste Hertha-Saison aller Zeiten

Deshalb an dieser Stelle noch einige Erinnerungen an Zeiten, in denen Hertha zur Ligaspitze zählte. Vereinslegende Erich Beer (78) sagte mir: „Unsere größte Stärke war unser Teamgeist. Egoismus kannten wir nicht. Trainer Georg Kessler hat uns vor jedem Spiel stark geredet.“ Insgesamt kamen damals 15 Spieler zum Einsatz, von denen sechs Profis sämtliche 34 Spiele bestritten. „Das tat der Harmonie gut, wir verstanden uns oft blind“, erinnert sich Beer, der mit 11 Toren bester Schütze wurde.
Dabei begann die Spielzeit mit heftigen Turbulenzen. Der bekannte Trainer Dettmar Cramer, der die Mannschaft übernahm, bat bereits nach seiner ersten Trainingseinheit um Auflösung seines Dreijahres-Vertrages – aus „persönlichen Gründen“. Offiziell hieß es, Cramer habe die versprochenen namhaften Zugänge Uli Hoeneß, Paul Breitner und Berti Vogts nicht bekommen.
Doch das stimmte nicht. Erst nach dem Tod von Cramer 2015 – er wurde 90 Jahre alt – gab der ehemalige Hertha-Präsident Heinz Warneke das Geheimnis preis. Cramer, ein überkorrekter Mann, konnte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, mit Hertha-Manager Wolfgang Holst zusammenzuarbeiten, der nach dem Bundesligaskandal 1971 noch vom DFB gesperrt war, aber im Hintergrund längst wieder als Strippenzieher agierte.
Selbst Berti Vogts sah gegen Hertha BSC keinen Stich
Cramers Nachfolger Kessler, zuerst beinahe widerwillig von den Spielern empfangen, führte das Team schnell nach oben. Besonders in Erinnerung blieben die ersten Bundesliga-Stadtderbys gegen Tennis Borussia (3:0 und 2:1) und vor allem der 4:1-Sieg gegen Bayern München mit einem Eigentor durch Franz Beckenbauer. Die Bayern reisten ausgerechnet mit Cramer als neuen Trainer an. Der wurde von den 81.000 Zuschauern ausgepfiffen und brauchte sogar Polizeischutz.
Noch einmal strömten über 81.000 Fans beim 2:1-Sieg gegen den späteren Meister Borussia Mönchengladbach ins Olympiastadion. Der im Team beliebte Schweizer Kurt „Kudi“ Müller schoss beide Tore für Hertha und sein Bewacher Berti Vogts sah keinen Stich.
Hertha BSC mit Gute-Nacht-Bier und eine Käsestulle so gut wie nie
Detlev Szymanek (71), damals mit Wolfgang Sidka der jüngste Profi im Aufgebot, hat die Abläufe vor den Spielen noch immer gespeichert. „Am Tag vor einem Heimspiel trainierten wir auf dem Maifeld, fuhren ins Quartier in die Sportschule am Kleinen Wannsee. Nach dem Kaffee ging es in den Zoopalast einen Film anschauen und zurück zum Wannsee. Am Spieltag selbst stimmte Kultmoderator „Lord Knut“ im Rias auf unsere Duelle ein.“ Und noch ein Detail verriet Szymanek, damals „der Joker“ getauft (nach Einwechslungen schaffte er oft blitzschnell ein Tor): „Meist trafen wir uns am Abend vor Spielen gegen 22 Uhr kurz am Kamin. Es gab ein Gute-Nacht-Bier und eine Käsestulle!“
Solch Ritual führte gar zur Vize-Meisterschaft. Irgendwie sympathisch.