Vor 43 Jahren

Letzte Maul- und Klauenseuche in der DDR: Auch da spionierte die Stasi

Mielkes Leute deckten Schlamperei auf: Aus einem Forschungs-Labor war 1982 offenbar ein Virus entwichen – dem Friedrich-Loeffler-Institut, das aktuell wieder gegen die Seuche kämpft.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Solche ähnlichen Schilder standen noch vor über 40 Jahren in Deutschland – auch in der DDR. Dort war in einem Fall von Maul- und Klauenseuche sogar die Stasi im Einsatz.
Solche ähnlichen Schilder standen noch vor über 40 Jahren in Deutschland – auch in der DDR. Dort war in einem Fall von Maul- und Klauenseuche sogar die Stasi im Einsatz.Horst Rudel/imago

Ein Gespenst ist zurück: Die gefährliche Maul- und Klauenseuche (MKS), die vor Tagen am Berliner Stadtrand ausbrach. Vor über vier Jahrzehnten wütete sie letztmalig in Deutschland – auch in der DDR. Um zu verhindern, dass ein MKS-Virus Hunderte von Rindern und Schweinen hinwegrafft, wurde bei einem Seuchenfall vor 43 Jahren sogar die Stasi eingesetzt. Mielkes Spione hatten bei ihren „Forschungen“ Erfolg.

1982 war kein gutes Jahr für die Bauern auf Rügen und im Umland des Greifswalder Boddens. Die Maul- und Klauenseuche war damals im März in den damaligen DDR-Bezirken Rostock und Neubrandenburg bei den Rinder-Beständen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) ausgebrochen.

Zeitzeugen erinnern sich, welche drastischen Maßnahmen in den Orten ergriffen wurden, in denen die gefährliche Tierseuche ausgebrochen war. Da das Virus vor allem durch Kontakt mit infizierten Tieren und fast allem, was damit zu tun hatte, übertragen werden konnte, wurden Kontaktbeschränkungen (so wie später bei der Corona-Pandemie) erlassen.

Berufspendler durften nicht aus den Orten. Der Kontakt zu ihren Familien geschah oft mittels Telegrammen, da Telefonanschlüsse in der DDR nicht gerade in jedem Haushalt zum Standard zählten. Nur in „dringenden Familienangelegenheiten“ durfte man raus. Wie bei einer Reise in den Westen musste man einen entsprechenden Antrag stellen – in diesen Fällen beim Volkspolizeikreisamt.

In der Zwischenzeit arbeiteten Veterinäre mit Hochdruck daran, dass die Seuche eingedämmt und beendet wurde. Es gibt Berichte über flächendeckende Impfungen der Rinder- und Schweinebestände, die in der Tat dafür sorgten, dass die Maul- und Klauenseuche schnell ihr Ende fand.

Blick auf den Stasi-Bericht über die Maul- und Klauenseuche von 1982 im Norden der DDR
Blick auf den Stasi-Bericht über die Maul- und Klauenseuche von 1982 im Norden der DDRStefan Sauer/dpa

Dafür sorgte ein Serum. So paradox wie es klingt: Der Impfstoff gegen den MKS-Virus stammte ausgerechnet aus einem Forschungslabor, das 1982 für den Ausbruch der letzten Maul- und Klauenseuche auf dem Gebiet der DDR verantwortlich gewesen sein könnte. Und noch verrückter ist, dass vom heutigen „Nachfolger“ dieses  Instituts ein Impfstoff stammt, der die aktuelle Seuche bekämpfen soll. Die Rede ist vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Ostseeinsel Riems.

Seit Jahren ist die Einrichtung eine Art Hochsicherheitstrakt, in dem mit hochgefährlichen Krankheitserregern geforscht wird, um etwa Impfstoffe oder Mittel gegen die Vogelgrippe, der Schweinepest oder der Maul- und Klauenseuche herzustellen. Forschen im Kampf gegen Tierseuchen: Das tat das FLI auch schon zu DDR-Zeiten.

Maul- und Klauenseuche in der DDR: Bewohner durften Orte nicht verlassen

Allerdings war das Institut damals noch nicht so modern ausgerüstet. Es hatte vor allem eine „unzureichende veterinärhygienische Absicherung“, die offenbar dafür sorgte, dass ein gefährlicher Virus aus dem Institut „frei kam“ und im März 1982 die Maul- und Klauenseuche im Norden der DDR auslöste.

Das alles steht in einem Untersuchungsbericht der Stasi, der 1983 verfasst wurde. Dieser ging unter anderem an Werner Felfe und Werner Krolikowski, die zu jener Zeit im SED-Zentralkomitee für die Landwirtschaft in der DDR verantwortlich waren.

Doch warum wurde die Stasi im Fall der Maul- und Klauenseuche damals aktiv? Zu einem, weil die ersten Untersuchungen des Staatlichen Veterinärwesens nicht die eindeutige Herkunft des Erregers und dessen Übertragungsweg klären konnten. Zum anderen wurde ein Virus vom Typ „Cloppenburg“ bei toten Rindern festgestellt, der offenbar vom Klassenfeind stammte – der BRD.

Das FLI geriet schnell ins Visier der Stasi. Laut Bericht lagen die sechs Orte, in der die Seuche ausgebrochen war, „halbkreisförmig in etwa 20 bis 40 km Entfernung um die Insel Riems (Greifswalder Bodden), auf der sich das Friedrich-Loeffler-Institut für Tierseuchenforschung der DDR  befindet.“

Das Hauptgebäude des Friedrich-Loeffler-Instituts auf der Ostseeinsel Riems
Das Hauptgebäude des Friedrich-Loeffler-Instituts auf der Ostseeinsel RiemsSteinach/imago

Die Stasi-Schnüffler nahmen daraufhin das Institut genauer unter die Lupe. Sie stellten fest, dass im FLI Ende Februar 1982 Tests an 150 Schweinen vorgenommen wurden, die eine Schutzimpfung gegen die Maul- und Klauenseuche erhielten. Tage später wurden diese Tiere mit MKS-Erregern infiziert – darunter war auch der Erreger-Typ „Cloppenburg“, den man aufgrund von Versuchszwecken aus der Bundesrepublik erhalten hatte.

Das Drama: Alle 150 Schweine erkrankten an der Seuche. Eine so hohe Zahl sei für das Institut ungewöhnlich. Was noch ungewöhnlicher ist: Zehn Tage nach dem Versuch bricht in der nahen Umgebung des Institutes die Maul- und Klauenseuche bei Rindern aus.

Maul- und Klauenseuche in der DDR: Sicherheitslücken im Test-Labor setzten Virus frei

Der Virus kann sich über die Luft, aber auch über alle möglichen Wege ausbreiten – so stand am Ende des Berichtes für die Stasi fest, dass Ausbruch der Seuche „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ durch die Impfstoff-Tests des Instituts „verursacht wurde“. Sie wurden „ohne ausreichende seuchenhygienische Sicherheit“ durchgeführt – unter anderem wegen „fehlender Keimfreiheit und nicht vorhandenen Filteranlagen“ in den Versuchsställen.

Die Insel Riems mit dem Friedrich-Loeffler-Institut: Von dort aus brach 1982 die letzte Maul- und Klauenseuche in der DDR aus.
Die Insel Riems mit dem Friedrich-Loeffler-Institut: Von dort aus brach 1982 die letzte Maul- und Klauenseuche in der DDR aus.Pop-Eye/imago

Die Stasi-Ermittler stellten außerdem fest, dass der Erreger nicht nur infolge einer fehlenden Luftfilteranlage nach draußen geriet. Auch durch die Exkremente der erkrankten Tiere wurde der Erreger freigesetzt, „die in das instabile Abwassersystem“ des Institutes gelangt waren.

Die Untersuchung der Stasi sorgte dafür, dass das Institut für sieben Millionen DDR-Mark saniert werden sollte. Vor allem, um ein zentrales Labor mit moderneren Schutzvorrichtungen zu errichten. Später wurde geplant, dass die Impfstoffproduktion erhöht wird. Dafür sollten 72 Millionen DDR-Mark in neue Anlagen investiert werden.

Das Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems: Dort ist in den vergangenen eine moderne Tiergesundheitsforschungseinrichtung mit Hochsicherheitslaboren entstanden.