Unser Sandmännchen ist als liebevoller Kerl bekannt, der jeden Abend sanft die Kinder in den Schlaf schickt. Doch die Zeiten waren unruhig, in denen er vor 65 Jahren hineingeboren wurde. Es herrschte der Kalte Krieg zwischen Ost und West, den man damals in den beiden deutschen Staaten auch über die Medien austrug. Und so wurde das Sandmännchen zum Spielball im Klassenkampf. Denn ausgerechnet das Westfernsehen sorgte dafür, dass er am 22. November 1959 das erste Mal im Ostfernsehen lief.
Der Grund war Radiomoderatorin und Kinderbuchautorin Ilse Obrig (1908-1978), die einst beim Berliner Rundfunk gearbeitet hatte. 1950 wechselte sie die Fronten und ging nach West-Berlin. Zuerst zum RIAS, dann zum SFB, wo sie leitende Redakteurin des Kinderfunks und Kinderfernsehens wurde.

1958 kam Obrig auf die Idee, die Figur des Sandmännchens für das Westfernsehen zu erschaffen. Gemeinsam mit Autorin Johanna Schüppel entwarf sie eine Handpuppe, die einem Wichtelmännchen ähnelte. Kurz bevor der SFB mit diesem Sandmann am 1. Dezember 1959 auf Sendung gehen konnte, erfuhr der Deutsche Fernsehfunk der DDR von diesen Plänen.
In Windeseile wurde nun an einem Ost-Sandmännchen gearbeitet. Der jüngst verstorbene Dokumentarfilmmacher Walter Heynowski, der damals Vize-Chef des Deutschen Fernsehfunks war, wollte dem Westfernsehen unbedingt zuvorkommen.
Das DDR-Fernsehen schnappte West-Sender die Sandmann-Idee vor der Nase weg
„Er gab dem Bühnenbildner Gerhardt Behrendt den Auftrag, einen Sandmann zu entwerfen, der im Vor- und Abspann des seit 1958 existierenden ,Abendgrußes’ auftreten sollte“, erinnert sich der Historiker Volker Petzold, Autor von zwei Sandmann-Büchern. Innerhalb von zwei Wochen war die Figur fertig, die erste Folge produziert.

Auch das Sandmannlied entstand in Windeseile. Wolfgang Richter komponierte es in nur drei Stunden am Klavier, Walter Krumbach schrieb rasch den Text dazu.
Und so ging das DDR-Sandmännchen am 22. November 1959 erstmals auf Sendung – neun Tage eher als der West-Sandmann. Der Knirps aus dem Osten wurde sofort zum Star.
Sein West-Kollege hatte weniger Erfolg. Die Handpuppe von Ilse Obrig verschwand. Eine neue Figur wurde erschaffen, die nun auch wie der DDR-Sandmann beweglich war. Auch trug der West-Knirps einen Bart, sah aber eher wie ein Käpt‘n Iglo aus der Fischstäbchen-Werbung aus. 1989, weit vor dem Mauerfall, wurde der West-Sandmann eingestellt.
DDR-Sandmann wurde zum Exportschlager
Der DDR-Sandmann wurde dagegen zum Exportschlager: Er war und ist in Skandinavien, Jemen, Angola, Sri-Lanka, Mongolei, Vietnam oder auf Mauritius zu sehen. Sogar das Westfernsehen wollte ihn. Der WDR bot 1966 stolze 60.000 D-Mark für 50 Folgen. Doch die DDR lehnte ab.

Damit blieb für unser Sandmännchen der Westen Deutschlands tabu, obwohl er, im Gegensatz zu den DDR-Bürgern, in alle Erdteile reisen durfte. Selbst ein West-Berlin-Besuch des DDR-Traumsandstreuers nach dem Mauerfall scheiterte.
„Nach dem 9. November 1989 war geplant, dass der Sandmann über das Brandenburger Tor in die Kinderabteilung des KaDeWe fliegen sollte“, sagt der damalige Szenenbildner Gerald Narr. „Die Folge wurde leider nie zu Ende gedreht.“