Es gibt viele Märchenfilme der DEFA, die den Film-Fans und Kinobesuchern der DDR in schöner Erinnerung geblieben sind. Doch es gibt einen Streifen, der als einer der wichtigsten in die Geschichte der DEFA-Märchen eingegangen ist – obwohl es für viele ein eher unscheinbarer Film gewesen sein dürfte. Die Rede ist von „Das tapfere Schneiderlein“. Der Grund: Der Streifen war zwar nicht das erste Märchen, das von der DEFA-Verfilmt wurde – aber das erste nach den Geschichten der Gebrüder Grimm. Es bildete den Startschuss für insgesamt 19 Verfilmungen, die über die Jahrzehnte kommen sollten. Und hat zugleich eine bewegte Geschichte, wie sie kaum ein anderes Märchen erlebte. Denn zuerst verbot der Westen den Kult-Film – und dann auch die DDR!
„Das tapfere Schneiderlein“ war das erste DDR-Märchen nach den Gebrüdern Grimm
Wer weit zurück in die Geschichte der DEFA-Märchen blickt und sich an die Anfänge der märchenhaften Filmgeschichte der DDR erinnern will, der kommt an diesem Film nicht vorbei: „Das tapfere Schneiderlein“ feierte schon am 28. September 1956 seine Premiere im Berliner Kino Babylon. Es ist einer der Filme, die vollständig in den Studios in Babelsberg entstanden – und es handelte sich bei „Das tapfere Schneiderlein“ um den insgesamt vierten Märchenfilm der DEFA. Nach „Das kalte Herz“, „Die Geschichte vom kleinen Muck“ und „Der Teufel vom Mühlenberg“ war es außerdem der erste, der nach einer Vorlage der Gebrüder Grimm entstand.
Das gleichnamige Märchen „Das tapfere Schneiderlein“ dürfte jedes Kind kennen – zumindest war es noch vor Jahren so. In der Geschichte geht es um das Schneiderlein, das sieben Fliegen mit einem Mal erschlägt – und sich daraufhin eine Schärpe mit der Aufschrift „Sieben auf einen Streich“ näht. Dann begibt sich das Schneiderlein auf eine Reise durch die weite Welt – und trifft einen Riesen, gegen den das Schneiderlein in mehreren Aufgaben besteht. Unter anderem quetscht der Riese zum Beweis für seine Stärke Wasser aus einem Stein. Das Schneiderlein soll es nachmachen, nutzt aber ein altes Stück Käse und besteht den Test. Als das tapfere Schneiderlein einen Stein so hoch wie möglich werfen soll, nutzt es dafür einen kleinen Vogel.
Zwei Verbote für „Das tapfere Schneiderlein“: Erst blockte der Westen, dann der Osten
Im Verlauf des Märchens kommt das tapfere Schneiderlein am Schloss von König Griesgram und dessen Tochter vorbei. Prinzessin liebreich soll Prinz Eitel ehelichen. Das Schneiderlein soll die Riesen im Wald töten, es später mit einem Einhorn und einem Wildschwein aufnehmen – und schafft es stets mit Klugheit und List, die Aufgaben zu erfüllen. Wird am Ende Prinz Eitel die Prinzessin bekommen oder geht doch das tapfere Schneiderlein als Held aus der Geschichte hervor?

So schön und lehrreich das Märchen auch ist, so sehr eckte der Film an. Und zwar gleich doppelt. Denn: „Das tapfere Schneiderlein“ eroberte nicht, wie andere Filme, auch den Westen – im Gegenteil: Der Westen verbot den Streifen im Jahr 1957 sogar! Der sogenannte Interministerielle Ausschuss für Ost-West-Filmfragen befasste sich vor der Uraufführung in der BRD mit dem Streifen – und entschied, dass „Das tapfere Schneiderlein“ nicht für das West-Publikum geeignet war.
Darum verbot der Westen das DDR-Märchen „Das tapfere Schneiderlein“
Der Grund: Der Film weicht an einigen Stellen vom Märchen der Gebrüder Grimm ab, unter anderem am Ende. In der DEFA-Version wird der König aus dem Königreich vertrieben, das Schneiderlein erobert den Thron. Das Schneiderlein heiratet außerdem nicht die Prinzessin, sondern die Magd, die zur neuen Königin wird. Diese „propagandistische Verfremdung“ reichte, dass der Film keine Einfuhrgenehmigung für die BRD bekam. Im Jahr 1958 fand dann aber eine weitere Prüfung statt, das Verbot wurde aufgehoben. Erst am 15. März 1959 durfte auch das Publikum im Westen den Film bestaunen.

Es war aber nicht das einzige Verbot, mit dem der Film belegt wurde. Kein Witz: Ein paar Jahre später zog die DDR selbst „Das tapfere Schneiderlein“ aus dem Verkehr. Denn die Hauptrolle des Schneiderleins wurde im Film von Schauspieler Kurt Schmidtchen übernommen, der der DDR ein paar Jahre nach der Veröffentlichung des Films den Rücken kehrte. Der Schauspieler wuchs in Berlin auf, nahm privaten Schauspielunterricht, arbeitete im Osten Berlins an verschiedenen Theatern.
DDR-Legende: Kurt Schmidtchen spielte das tapfere Schneiderlein der DEFA
Für den Film wurde er im Rahmen von „Das tapfere Schneiderlein“ entdeckt, bekam in dem DEFA-Streifen auch tatsächlich seine erste Filmrolle. In den darauffolgenden Jahren übernahm er mehrere Rollen in anderen Filmen, unter anderem in „Alter Kahn und junge Liebe“, „Meine Frau macht Musik“ und „Der Zinker“. Doch dann folgte der Bruch: Kurz vor dem Bau der Mauer im Jahr 1961 siedelte Kurt Schmidtchen nach Westberlin über. Das passte der DDR-Führung gar nicht, weshalb der Film in der DDR nicht mehr im Kino gezeigt wurde.
Heute kann man den Streifen aber wieder bedenkenlos schauen – ob in Ost oder West. Kostenlos können Fans der alten DDR-Märchen ihn unter anderem auf dem Youtube-Portal der DEFA gucken. Dabei erleben sie übrigens nicht nur Kurt Schmidtchen, sondern auch eine besondere Schauspielerin in der Rolle von Prinzessin Liebreich. Ihr Auftritt in dem Märchen war eine echte Besonderheit: Gisela Kretzschmar hieß die Frau, die nach ihrer Schauspielausbildung zuerst in „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ mitspielte, dann als Prinzessin in „Das tapfere Schneiderlein“ zu sehen war. Allerdings brach sie schon nach dem DEFA-Märchen, das ihr zweiter Film war, die Filmkarriere ab, stand danach nur noch auf der Bühne, zog sich später ins Privatleben zurück.