Eingemauert im Schacht

Bergwerksdrama in der DDR: vor 70 Jahren starben 33 Kumpel

Der 15. Juli 1955 ist ein schwarzer Tag für den Bergbau in der DDR. Infolge eines Grubenbrandes sterben 33 Menschen im Erzgebirge. Doch mitten in der Katastrophe gibt es ein Wunder.

Author - Berliner KURIER
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In Bad Schlema können heute eindrucksvolle Zeugnisse aus der Zeit des Silber- und Kobaltbergbaus sowie des Uranabbaus in der DDR-Zeit besichtigt werden.
In Bad Schlema können heute eindrucksvolle Zeugnisse aus der Zeit des Silber- und Kobaltbergbaus sowie des Uranabbaus in der DDR-Zeit besichtigt werden.imago/Rainer Weisflog

Die Verzweiflung der fünf Bergmänner muss ungeheuerlich gewesen sein. Durch dichten Rauch von der Außenwelt abgeschnitten setzen sie alles auf eine Karte und mauern sich in einem Schacht Hunderte Meter unter Tage ein. Kommt Rettung oder haben sie sich ihr eigenes Grab gebaut? Mehr als zwei Tage lang bleibt das für sie ungewiss.

Am 15. Juli jährt sich das schwerste Grubenunglück im Uranbergbau der DDR zum 70. Mal. Ihren Anfang nahm die Katastrophe während der Nachtschicht mit einem Kurzschluss im Schacht 250 in Niederschlema. 33 Tote und mehr als 100 Verletzte sind am Ende zu beklagen - darunter etliche Rettungskräfte. Denn während sich der Brand und giftige Gase unter Tage ausbreiten, herrschen über Tage Chaos und Kompetenzgerangel. So fahren Helfer ohne Atemschutzgeräte in das Unglücksbergwerk ein und sterben dort an tödlichem Kohlenmonoxid.

DDR größter Uran-Produzent der Welt

Das Erzgebirge verdankt seinen Namen den reichen Bodenschätzen. Mit dem Kalten Krieg rückt die Region in den Fokus der Weltpolitik. Denn hier gibt es Uran, das die damalige Sowjetunion dringend braucht, um wie die USA atomar aufzurüsten. Die Suche wird mit immensem Aufwand unter dem Decknamen „Wismut“ forciert. Der Bergbaubetrieb wird die DDR später zu einem der größten Uranproduzenten der Welt machen - mit enormen Schäden an Umwelt und Gesundheit vieler Menschen.

„Es gibt ein Sprichwort: Bäcker, Schneider und Friseure waren bei der Wismut Ingenieure“, erzählt der Leiter des Museums Uranbergbau in Aue-Bad Schlema, Hermann Meinel. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es an Bergleuten und Bergbauingenieuren gefehlt. Kurzerhand seien viele Menschen aus anderen Berufen unter Tage geschickt und nach Kurzlehrgängen mit entsprechenden Aufgaben betraut worden. Das rächte sich, wenn Havarien auftreten, so Meinel.

Tödliche Risiken unter Tage

Der Historiker Rainer Karlsch spricht in seinem Buch „Uran für Moskau“ von fast 42.000 Unfällen bei der Wismut bis 1990. Darunter seien 916 Unfälle mit 772 Toten. „Unter Berücksichtigung der Dunkelziffern für die Jahre 1946 bis 1953 muss man wohl von mehr als 1.000 Toten durch Unfälle ausgehen.“

Ein besonders schwarzer Tag war jener Freitag im Juli 1955, als es kurz vor Mitternacht zu einem Grubenbrand kommt. In so einem Fall brauche es ein rasches und konzertiertes Vorgehen, erklärt Andy Tauber, heutiger Leiter der Wismut-Grubenwehr. „Ich brauche eine schnelle Übersicht darüber, was wo passiert ist, wer betroffen ist und wo die Betroffenen sind. Daraus leite ich dann ab, was zu tun ist.“ Doch daran habe es damals gefehlt. Vielmehr sei aufgrund unklarer Zuständigkeiten und Kompetenzgerangel wertvolle Zeit verstrichen.

Das Feuer selbst sei im Erzbergbau nicht das größte Problem, erklärt Tauber. Denn die Lagerstätte sei anders als im Kohlebergbau nicht brennbar. Dafür aber all die Dinge, die Bergleute ins Bergwerk bringen. Damals sei das vor allem der Holzausbau gewesen, aber auch Kraftstoffe und Elektroanlagen. Viel gefährlicher für die Menschen sei der Rauch und das bei unvollständiger Verbrennung entstehende Kohlenmonoxid.

Das Klopfen, das fünf Leben rettete

Bei der Wismut sei erschwerend hinzugekommen, dass es sich um einen Rüstungsbetrieb mit besonderer Geheimhaltung gehandelt habe, ergänzt Museumsleiter Meinel. Sie galt als „Staat im Staat“. So scheuten sich die Verantwortlichen offenbar zunächst, externe Rettungskräfte hinzuzuziehen.

„Nach der Aktenlage zu urteilen, wollte man das Ganze erst einmal selbst lösen und hat relativ lange gebraucht zu erkennen, dass das nicht reicht“, erläutert Tauber. Dabei habe es im nahegelegenen Steinkohlebergbau in Oelsnitz und Zwickau gut ausgerüstete und erfahrene Grubenwehren gegeben. All das habe letztlich dazu geführt, dass es so viele Tote und Verletzte gegeben habe.

Andy Tauber, Bereichsleiter der Wismut GmbH, steht neben einer Gedenktafel mit der Aufschrift „Ehrendes Gedenken den 33 Wismutbergleuten die tödlich verunglückten im Juli 1955“ am Ehrenhain in Bad Schlema. Die Gedenkstätte wurde 1996 am früheren Schacht 250 eingerichtet.
Andy Tauber, Bereichsleiter der Wismut GmbH, steht neben einer Gedenktafel mit der Aufschrift „Ehrendes Gedenken den 33 Wismutbergleuten die tödlich verunglückten im Juli 1955“ am Ehrenhain in Bad Schlema. Die Gedenkstätte wurde 1996 am früheren Schacht 250 eingerichtet.Hendrik Schmidt/dpa

Ohne Lebensmittel und Wasser eingemauert

Dass die ohne Essen und Trinken eingemauerten Bergleute entdeckt wurden, war wohl eher Zufall. „Erzählt wird, dass Grubenwehrleute versehentlich an eine Rohrleitung gekommen sind, vielleicht mit einem Atemschutzgerät“, erzählt Tauber. Durch das unbekannte Geräusch Hoffnung geschöpft, hätten die eingeschlossenen Männer Klopfzeichen gegen die Stahlrohrleitung gegeben und so den Rettungstrupp auf sich aufmerksam gemacht. Nach mehr als 50 Stunden Bangen wurden sie gerettet und aus dem Bergwerk gebracht.

Das Grubenunglück war das schwerste in der Geschichte der Wismut, nicht aber im DDR-Bergbau insgesamt. Die größte Katastrophe datiert auf das Jahr 1960: Bei einer Explosion im VEB Steinkohlenwerk „Karl Marx“ kamen damals 123 Menschen ums Leben. Und solche Unfälle gab es auch auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. 1946 starben bei einer Explosion auf einer Zeche im westfälischen Bergkamen 405 Menschen; 1962 kamen ebenfalls infolge einer Schlagwetterexplosion in der Steinkohlegrube „Luisenthal“ im Saarland 299 Menschen ums Leben.

Alljährliches Toten-Gedenken in Bad Schlema

Das schwere Unglück in Niederschlema sei eine Zäsur gewesen, betont Meinel. In der Folge seien bei der Wismut die Vorkehrungen deutlich erhöht worden. Dazu gehörte, dass auf allen Schächten freiwillige Grubenwehren aufgebaut wurden und jeder Bergmann einen sogenannten Selbstretter - ein spezielles Atemschutzgerät für den Notfall - erhalten habe. Auch habe sich das Bergbau-Unternehmen in den Jahren danach konsolidiert und die Fachkunde und das Sicherheitsniveau in allen Bereichen sei deutlich gestiegen, ergänzt Tauber. „So ein Ereignis wäre in den 1960er und 1970er Jahren völlig anders gelaufen.“

An die Katastrophe mit 33 Toten erinnert heute in Bad Schlema ein Gedenkstein auf dem Gelände des früheren Schachts 250. Alljährlich wird dort zum Bergmannstag Anfang Juli der Verstorbenen gedacht. (dpa)