Anwohner übergangen?

Wegen schicker Flüchtlingsunterkünfte: Aufruhr im Familienkiez!

Am 2. September ziehen 320 Flüchtlinge ins beschauliche Berlin-Pankow. Die Anwohner sind gespalten – viele fühlen sich übergangen.

Teilen
Robert R. steht vor seinem Ferienhaus neben der neuen Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Pankow.
Robert R. steht vor seinem Ferienhaus neben der neuen Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Pankow.Emmanuele Contini

Die Kirchstraße im beschaulichen Pankow-Rosenthal, bisher eine grüne Oase inmitten der Berliner Großstadt. Sie gerät zunehmend in den Fokus besorgter Anwohner. Einst reihte sich hier ein schmuckes Einfamilienhaus an das nächste, flankiert von dem traditionsreichen Kleingartenverein „Windige Ecke“. Doch die Idylle bröckelt, seit die Preise für Grundstücke in die Höhe geschossen sind. Ganze 800.000 Euro sollte kürzlich ein winziges Stückchen Land kosten – eine Summe, die selbst hartgesottene Berliner schockiert. Und es gibt noch ein weiteres Problem, das den Anwohnern auf den Nägeln brennt.

Während sich Robert R., ein Anwohner, in seinem Planschbecken Abkühlung verschafft und seine Frau den Schatten der Terrasse genießt, wächst in der Nachbarschaft die Unruhe. Grund dafür sind sieben dreistöckige Neubauten, die plötzlich aus dem Boden gestampft wurden, schreibt die „Berliner Zeitung“. Monatelang wurde hier auf einer ehemaligen Gärtnerei-Brachfläche gebohrt und gehämmert – so heftig, dass bei den Nachbarn das Geschirr in der Vitrine schepperte. Für viele Anwohner war das ein unerwarteter Lärm in dieser sonst so ruhigen Ecke von Pankow. Nur gut, dass sie nicht in Friedrichshain-Kreuzberg leben, dort hätten sie den Lärmterror jeden Tag um sich.

Und doch:  Der Lärm der Baustelle war vielleicht nur der Anfang. Am 2. September ziehen hier 320 Migranten ein – Menschen aus Syrien, der Türkei und der Ukraine, die einen langen Weg hinter sich haben. Die neuen Unterkünfte, errichtet von der landeseigenen Gesobau, bieten modernen Standard: Einbauküchen, Fußbodenheizung und Balkone. Und genau das sorgt bizarrerweise für Gesprächsstoff unter den Alteingesessenen.

Mit den Flüchtlingen werde es lauter

Der Nachbar mit den klirrenden Gläsern ist hin- und hergerissen. Zwar hofft er auf eine gute Nachbarschaft, doch die Zweifel überwiegen. Wie sollen sich die Flüchtlinge in dieser abgeschiedenen Lage integrieren, fragt er sich. Kaum öffentliche Verkehrsmittel, die Supermärkte weit entfernt – hier sei man am Rand der Stadt, wortwörtlich an den Rand gedrängt. Er sagt das, obwohl er sich selbst natürlich nicht an den Rand gedrängt fühlt.

So sehen sie aus, die fertiggestellten Häuser der neuen Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Pankow.
So sehen sie aus, die fertiggestellten Häuser der neuen Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Pankow.Emmanuele Contini

Auch unter anderen Anwohnern macht sich Skepsis breit, berichtet die „Berliner Zeitung“. Viele befürchten, dass es mit dem Einzug der Familien lauter wird. Andere haben Angst vor Einbrüchen in ihre Schrebergärten. Was natürlich Quark ist. Sind etwa alle Migranten Diebe?

Besonders bitter stößt auf, dass der neue Spielplatz auf dem Gelände der Flüchtlingsunterkunft größer und schöner ist als der im angrenzenden Haus der Gesobau. So was ist natürlich immer Geschmacksache. Trotzdem: Von Gleichbehandlung könne hier keine Rede sein, sagen die Anwohner, die auch schon unter hohen Mieten leiden. Eine Wohnung unter 700 Euro ist hier nicht mehr zu haben, während die Flüchtlinge alles kostenlos bekämen. Oft hört man so was auch von Rechtspopulisten. Hier scheint das der Ton der „guten Nachbarschaft“ zu sein.

Ein Anwohner fordert: „Ich hätte es besser gefunden, wenn 25 Prozent des neuen Wohnraums Obdachlosen oder Bürgergeldempfängern zur Verfügung gestellt worden wären.“ Das größte Problem aber sei der Mangel an Parkplätzen. Die neuen Bewohner hätten doch auch Autos. Wo sollen die alle parken?, fragt man frustriert. Woher die Leute wissen, dass die neuen Bewohner alle Autos hätten – unklar.

Debatte um Flüchtlingsunterkünfte in Berlin eskaliert

Während die Debatte um Flüchtlingsunterkünfte in Berlin weiter eskaliert, fühlen sich viele als Verlierer. Die Inflation und steigende Preise setzen manchen Bürgern zu, während andere weich fallen. Es werde überall gebaut, aber nicht für uns, bringt es eine Nachbarin etwas unausgewogen auf den Punkt.

Inzwischen ist klar: Die Politik muss handeln. Berlin braucht dringend neue Unterkünfte, denn täglich kommen neue Migranten in die Stadt. Bis zu 10.000 sollen es in diesem Jahr werden, so die Prognose des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU). Der Bezirk Pankow führt bereits die Liste mit den meisten Unterkünften an – und ein Ende ist nicht in Sicht. Schon jetzt sind weitere 60 Unterkünfte für Berlin in Planung.

Künftige Bewohner der neuen Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Pankow schauen sich das Gelände an.
Künftige Bewohner der neuen Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Pankow schauen sich das Gelände an.Emmanuele Contini

Währenddessen stehen Robert R. und seine Frau am Zaun ihrer Ferienwohnung in Berlin-Pankow und beobachten das Geschehen. Mehrere Männer haben sich vor den neuen Flüchtlingsunterkünften versammelt, um ihre zukünftigen Wohnungen zu besichtigen. Robert R. hat das bisher nie wahrgenommen, doch nun wird ihm bewusst: Es wird immer mehr. Für ihn steht fest, dass die Politik hier einen schwierigen Balanceakt meistern muss – Schutz für die einen, ohne die eigenen Bürger im Stich zu lassen. Doch so einfach ist das nicht.

Flüchtlinge bekommen Neubauten zur Verfügung gestellt

Auch seine Frau ist besorgt. „Anderen fehlt es an Wohnraum, und Flüchtlinge bekommen Neubauten zur Verfügung gestellt“, sagt sie nachdenklich. Trotz allem möchte sie den Menschen nichts Schlechtes wünschen, doch die Frage bleibt: Wo bleibt das Gleichgewicht? Sie erinnert sich an die hohen Mieten in Hellersdorf, wo sie eigentlich wohnt. „Bei uns kostet eine Drei- bis Vierraumwohnung inzwischen zwischen 1400 und 1600 Euro. Das kann doch niemand mehr bezahlen“, klagt sie und denkt an die Zukunft ihrer Tochter. „Das wird ein Problem werden.“

Die Unzufriedenheit wächst, während die Politik weiter nach Lösungen sucht. Doch eine Antwort, wie es weitergehen soll, scheint auch in der Kirchstraße in Pankow-Rosenthal niemand zu haben. Bisher jedenfalls. ■