Drama in Friedrichsfelde

Pflege-Notstand! Polizei rückt nachts in Berliner Seniorenheim an

Um 22.30 Uhr wählte die Pflegefachkraft den Notruf. Sie hatte Feierabend – aber keine Ablösung war in Sicht. Jetzt erklärt sich der Heimbetreiber. 

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Vier von fünf Pflegeeinrichtungen mussten 2023 ihr Angebot einschränken, weil Personal fehlte.
Vier von fünf Pflegeeinrichtungen mussten 2023 ihr Angebot einschränken, weil Personal fehlte.Dietmar Gabbert/dpa

Drama in einem Berliner Senioren-Pflegeheim: Um 22.30 Uhr mussten Polizei und Katastrophenschutz anrücken. Der erschreckende Grund: Es fehlte an Personal. 142 alte Menschen leben im Domicil Friedrichsfelde, müssen rund um die Uhr gepflegt und im Notfall mit Medikamenten versorgt werden. Dafür war aber in der Nacht auf Dienstag niemand mehr eingeteilt. In ihrer Not wusste eine Pflegerin nur noch einen Rat. Sie alarmierte die Polizei.

Pflege-Notstand! Davor haben nicht nur ältere Menschen Angst. Vier von fünf Pflegeeinrichtungen mussten 2023 ihr Angebot einschränken, weil Personal fehlte. Eine Befragung des Evangelischen Verbands für Altenpflege (DEVAP) unter Anbietern verschiedener Träger ergab, dass 72 Prozent der Pflegeheime nicht mehr alle Leistungen erbringen konnten, 89 Prozent der ambulanten Dienste Neukunden ablehnten.

Pflegeheim in Friedrichsfelde: Die letzte Pflegefachkraft wollte nach Dienstende nach Hause gehen

Jetzt nimmt der Pflege-Notstand immer dramatischere Züge an – und das mitten in Berlin! Als eine Pflegerin in dem Heim in der Alfred-Kowalke-Straße am Dienstagabend ihre Schicht beenden wollte, stellte sie fest, dass die folgende Nachtschicht personell nicht ausreichend besetzt war, wie eine Polizeisprecherin sagt. Gefehlt habe eine examinierte Pflegekraft mit einer Qualifikation für die Verabreichung bestimmter Medikamente. In dem Plan für die Nachtschicht standen demnach wohl nur zwei Pflegeassistenten.

In der Nacht müssen hier aber 142 alte Menschen mit allen Pflegestufen versorgt werden. Doch nur Pflegefachkräfte können eigenverantwortlich pflegerische Maßnahmen durchführen, medizinische Behandlungen überwachen und Medikamente verabreichen. Pflegeassistenten sind in der Regel für unterstützende Tätigkeiten da.

Doch die letzte verbliebende Pflegefachkraft an diesem Abend wollte nach ihrem Dienstende nach Hause gehen, eine Ablösung gab es aber nicht. „Die Altenpflegerin versuchte dann, den Bereitschaftsdienst anzurufen und in der Folge auch die Heimleitung, war aber nicht erfolgreich“, erklärt die Polizeisprecherin. „In dieser Notsituation wandte sie sich dann an die Polizei und die Feuerwehr.“ Gegen 22.30 Uhr sei der Anruf bei der Polizei eingegangen, daraufhin sei ein Streifenwagen mit drei Polizisten zu dem Pflegeheim im Stadtteil Friedrichsfelde nahe dem dortigen Schloss gefahren. Die Feuerwehr schickte Rettungswagen mit mehreren Sanitätern.

Das Domicil-Seniorenpflegeheim in Friedrichsfelde: Hier kam es nachts zu dem Polizeieinsatz.
Das Domicil-Seniorenpflegeheim in Friedrichsfelde: Hier kam es nachts zu dem Polizeieinsatz.Berliner KURIER

Polizisten und Feuerwehr-Sanitäter mussten aber nicht die Nachtschicht in dem Heim übernehmen. Zunächst konnten das zuständige Bezirksamt Lichtenberg und der Katastrophenschutz-Beauftragte erreicht werden. „Es wurde Abhilfe geschaffen und eine Lösung gefunden“, so die Polizeisprecherin. Es sei dann doch gelungen, die Heimleitung ans Telefon zu bekommen. Anschließend sei auch jemand von der Leitung vor Ort erschienen und habe einen Nachtdienst organisiert. Gegen 0.10 Uhr habe die Polizei den Einsatz beendet.

Die Vorgesetzten waren per Handy nicht erreichbar

Die Domicil-Unternehmensgruppe, die das Heim betreibt, äußerte in einer Mitteilung ihr großes Bedauern. Sie sprach von 142  Bewohnern und betont, die Pflegerin habe richtig gehandelt und einen Notruf abgesetzt. Die Planung habe für die Nacht vier Personen vorgesehen: eine Fachkraft und drei Hilfskräfte. Wegen eines EDV-Problems sei die Buchung einer Zeitarbeitskraft mit entsprechender Qualifikation nicht wie üblich per Mail verschickt worden. „Dieser Fehler hätte bemerkt werden müssen, ebenso wie das Ausbleiben einer Rückbestätigung.“

Weiter hieß es: „Zusätzlich waren an diesem Abend beide Vorgesetzte nicht erreichbar, entweder weil das Diensttelefon nicht mitgeführt wurde oder weil der Akku des Telefons zu dieser späten Stunde entladen war und sich das Telefon abgeschaltet hatte.“ Es habe aber zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung der Bewohner bestanden. Man werde nun die EDV-Planungssysteme und Notfallketten kritisch überprüfen, um sicherzustellen, dass jederzeit und von jedem Dienstzimmer aus eine Notfall-Erreichbarkeit gewährleistet sei.

Was bleibt, ist eine Szene, die alarmierend ist. Die das Drama des Pflege-Notstandes noch mehr ins Rampenlicht rückt. In kaum einer Branche ist der Fachkräftemangel so gravierend wie in der Pflege. Laut der Bundesanstalt für Arbeit dauert es bereits jetzt 230 Tage, bis eine Stelle einer Krankenpflegefachkraft besetzt werden kann, und 210 Tage bei einer Altenpflegekraft.

Laut dem Statistischen Bundesamt werden wegen der Alterung der Gesellschaft in Deutschland bis zum Jahr 2049 voraussichtlich zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen. Derzeit gebe es fünf Millionen pflegebedürftige Menschen. Dafür stünden rund 16.000 Pflegeheime und etwa ebenso viele Pflegedienste bereit. Im Jahr 2019, also vor der Corona-Pandemie, gab es 1,62 Millionen Pflegekräfte. In Heimen arbeiteten im Jahr 2021 814.000 Frauen und Männer als Pfleger.