Einmal dürfen sie noch ran, dann ist Schluss für Carlo Chatrian (52) und Mariette Rissenbeek (67), das bisherige Führungsduo der Berlinale. Die neue Intendantin heißt Tricia Tuttle. Sie soll der Berlinale zu neuem Glanz verhelfen. Die frühere Chefin des London Film Festivals wurde jetzt in Berlin vorgestellt und soll im April 2024 ihre Arbeit aufnehmen.
Hinter den Kulissen gab es Knatsch, und auch international waren die Reaktionen gemischt. Aber es führt kein Weg daran vorbei: Kulturstaatsministerin Claudia Roth (68, Grüne) will unbedingt eine neue Intendanz für die Internationalen Filmfestspiele Berlin. Am Dienstagmittag lieferte die Politikerin: Neue Intendantin der Berlinale wird die Amerikanerin Tricia Tuttle.
Roth hatte bereits vor Monaten angekündigt, die Berlinale solle künftig nur noch von einer Person geleitet werden. Chatrian, der seine Felle davonschwimmen sah, fühlte sich vor den Kopf gestoßen und zog die Reißleine. Er kündigte an, das Festival nach der Februar-Ausgabe 2024 zu verlassen. Mariette Rissenbeek hatte schon vorher mitgeteilt, sie höre auf. In beiden Fällen klang viel Resignation durch.
Roths Umgang mit dem bisherigen künstlerischen Leiter Carlo Chatrian sei „schädlich und unprofessionell“, hieß es in einem offenen Brief, den das amerikanische Fachblatt „Variety“ im September veröffentlichte. Unterzeichnet hatten den Brief auch die Regisseure Margarethe von Trotta und Martin Scorsese (beide 81).

Tricia Tuttle ersetzt Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek
Ob die Berlinale mit der neuen Intendanz ihre alte Strahlkraft zurückgewinnt, ist fraglich. Dieter Kosslick, Festival-Direktor von 2001 bis 2019, war nicht nur bestens vernetzt und ein begnadeter Menschenfänger und Entertainer, ihm standen auch üppige Budgets und wirtschaftlich potente Sponsoren zur Verfügung.
Inzwischen dümpeln die Internationalen Filmfestspiele Berlin, was Geld und Sponsoren anlangt, doch eher vor sich hin. Voriges Mal musste der Bund etliche Millionen zuschießen, dieses Mal beteiligt sich auch das Land Berlin noch einmal mit einer Finanzspritze. Damit die abgespeckte Berlinale überleben kann, schießt Berlin zwei Millionen Euro jährlich aus Landesmitteln in den Etat. Ob das hilft, bleibt abzuwarten. Der Start für die neue Intendantin Tricia Tuttle könnte schwieriger nicht sein.
Aufgabe von Tuttle, die laut Roth seit 25 Jahren im Filmfestival-Geschäft ist, werde sein, die Internationalen Filmfestspiele Berlin zu modernisieren, die Zukunft der Berlinale zu sichern und ihre Rolle in der Liga der internationalen A-Filmfestivals zu stärken, sagte Roth am Dienstagmittag in Berlin.
Tricia Tuttle war früher Gitarristin
Unter ihrer Leitung habe das London Film Festival nicht nur einen Publikumszuwachs zu verzeichnen gehabt, sondern auch international an Profil und Bedeutung gewonnen. „Sie hat den Herausforderungen der Digitalisierung kreative Strategien entgegengesetzt und das Festival bunter, vielfältiger und zugänglicher gemacht“, würdigte Roth die künftige Intendantin. Tuttle sei „die richtige Wahl“, um die Berlinale in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.
Weiter sagte Roth: „Ich bin überzeugt, dass Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian den Übergang mit ihr gut gestalten werden. Ich freue mich auch darauf, die beiden jetzt dabei zu unterstützen, die anstehende Berlinale 2024 noch zu einem glänzenden Erfolg zu machen.“
Tuttle zeigte am Dienstag in Berlin, dass sie durchaus Respekt vor ihrer künftigen Aufgabe hat. Sie sieht die Berlinale als einen Vorreiter unter den ersten Filmfestivals. Die Berlinale sei einladend und inklusiv und vollgepackt mit einer atemberaubenden Vielfalt an Filmen. „Viele Jahre habe ich die Berlinale beruflich kennen- und dabei sehr schätzen gelernt“, sagte Tuttle.
In London machte sich die neue Berliner Festivalchefin mit Genderpolitik einen Namen. Tuttle hält Männer in der Filmbranche für über- und Frauen für unterbezahlt und will das künftig ändern.
Tricia Tuttle stammt aus North Carolina im Osten der USA. Vor ihrer Karriere als Festival-Managerin war sie Gitarristin einer Band namens June. Bands mit diesem Namen gibt es in den USA allerdings einige.
Die Berlinale zählt neben Cannes und Venedig zu den großen und wichtigsten Filmfestivals. Bei der kommenden Ausgabe vom 15. bis zum 25. Februar wird die kenianische Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o die internationale Jury leiten. ■