Therapeutin schlägt Alarm

TikTok, Instagram und Co.: Soziale Medien zerstören unsere Kinder

Anna Heike Grüneke beobachtet eine dramatische Zunahme psychischer Probleme bei Heranwachsenden. Anderswo gibt es bereits Zugangsbeschränkungen für soziale Medien für Jugendliche.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Schon früh erleben Kinder und Jugendliche, welche Trends auf den sozialen Plattformen gefragt sind.
Schon früh erleben Kinder und Jugendliche, welche Trends auf den sozialen Plattformen gefragt sind.imago images/Panthermedia

Die Zeit nach Corona hatte ein erstes Schlaglicht auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen geworfen. Junge und jugendliche Patienten leiden seitdem vermehrt an Depressionen, Ängsten und Rückzugstendenzen, weiß man seit den Befragungen. Doch auch nach dem Ende der Pandemie geht das Leiden weiter.

Die analytische Kinder- und Jugendtherapeutin Anna Heike Grüneke mit Praxis in Prenzlauer Berg nimmt sogar eine Verschärfung der Situation wahr und macht dafür auch den Umgang mit sozialen Medien verantwortlich. In einem Bericht der Berliner Zeitung schildert sie, dass Störungen, wie etwa Vereinsamung, Mobbing und der Verlust von sozialen Kompetenten mit dem Zugriff auf Social-Media-Plattformen korrelieren.

In Australien will man nach einer Häufung von Selbstmorden bei Kindern zwischen elf und 15 Jahren die Reißleine ziehen, und den Zugang für unter 16-Jährige zu Social-Media-Plattformen verbieten. Vorreiter beim Einsatz digitaler Techniken in der Schule wie Dänemark und Schweden rudern längst wieder zurück und reduzieren den Gebrauch von Smartphones und Tablets in den Klassenzimmern. Auch wenn das Phänomen inzwischen auch wissenschaftlich gut dokumentiert, ist, ist man in Deutschland von einem besseren Schutz Kinder und Jugendlicher weit entfernt.

Dabei liegen harte Fakten auf dem Tisch: Eine Langzeitstudie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf namens „Corona und Psyche“, kurz Copsy, bilanziert: „Hatte sich das psychische Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen direkt nach der Pandemie zunächst verbessert, setzte sich dieser Trend im Herbst 2024 nicht weiter fort.“

Negative Erfahrungen im Internet und in sozialen Medien

Die während der Pandemie erzwungene Verlagerung sozialer Kontakte ins Internet ist längst Gewohnheit geworden und sie zeigt Folgen: Der Studie zufolge hat ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in den sozialen Medien Kontakt mit belastenden Inhalten. Ein Fünftel fühlt sich durch Ausgrenzung und Abwertung in sozialen Medien zusätzlich belastet. Das Problem: Im Internet greifen Schutzmechanismen für Kinder nicht. Gewalt, Fake News, Pornografie - alles ist immer nur wenige Klicks entfernt.

„Auch in Deutschland hat die Politik das Problem registriert, wobei wir in Berlin auf gewisse Widerstände gestoßen sind“, sagt Anna Heike Grüneke der Berliner Zeitung. Die Psychotherapeutin gehört zum Vorstand der Berliner Psychotherapeutenkammer und ist in politischen Gremien der Stadt wie dem Runden Tisch Kindergesundheit aktiv. Sie hat die Erfahrung gemacht: „Es wurde erst einmal abgewiegelt. Noch immer werden psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen auf die Corona-Pandemie zurückgeführt.“

Dass da mehr ist, wird der Psychotherapeutin täglich in ihrer Praxis bewusst. „Ich bin auch Gruppenpsychotherapeutin“, sagt sie dem Blatt. „Die Probleme kommen interessanterweise besonders deutlich in Gruppen zum Ausdruck.“ Die heranwachsenden Patienten berichteten, was der TikTok- und Instagram-Konsum mit ihnen macht.

Suchterscheinungen und gestörtes Körperbild

Angefangen von einem veränderten Körperbild, reichen die geschilderten Probleme bis hin zu Suchterscheinungen, wenn die Jugendlichen keinen Zugang zu den Plattformen haben.

Dabei kennen Jungen wie Mädchen oft die Ursache ihrer Probleme. „Sie sind teilweise sehr selbstkritisch und sagen, sie hätten TikTok jetzt mal wieder auf ihrem Smartphone gelöscht, weil es ihnen nicht guttat“, so Grüneke. Andere berichten, dass sie ohne die Portale nicht sein könnten, weil sie ihre eigenen Videos darauf posten. Die sozialen Medien nehmen einen so großen Raum im Alltag ein, dass sie sich wie ein Lebenselixier anfühlen, von dem man nicht loskommt.

Der Blick auf das Smartphone gehört für  viele Kinder und Jugendliche zum Alltag.
Der Blick auf das Smartphone gehört für viele Kinder und Jugendliche zum Alltag.imago images/Cavan Images

Auch Eltern stehen in der Wahrnehmung der Therapeutin oft zwischen den Stühlen. „Selbst wenn sie sehr reflektiert im Umgang mit digitaler Technik sind, sind sie überfordert.“ Weniger reflektierte nähmen das Problem gar nicht erst wahr, weil sie soziale Medien auf die gleiche Weise nutzen wie ihre Kinder.

Eltern hätten oft Angst, ihre Kinder könnten ohne Smartphone zu digitalen Außenseitern werden und stellten ihnen daher häufig viel zu früh Handys zur Verfügung, warnt auch die klinische Psychologin Ira-Katharina Petras von der Uniklinik Aachen.

Petras betont, um Risiken digitaler Medien zu verstehen, sei es wichtig, den Blick über die reine Mediennutzung hinaus zu weiten und das soziale Umfeld in den Blick zu nehmen. Viele Kinder wüchsen heute in einem schwierigen sozialen Umfeld auf, in dem ihre Grundbedürfnisse vernachlässigt würden und sie nicht die nötige Unterstützung für eine gesunde Entwicklung erhielten. „Kinder und Jugendliche mit schädlichem oder pathologischem Internetgebrauch erfüllen oft online diese Grundbedürfnisse, die offline vernachlässigt werden.“

Krankhafter Mediennutzung begegnen

Um Risiken krankhafter Mediennutzung vorzubeugen, müssten grundlegende Fähigkeiten bei Kindern gestärkt werden, wie Emotionsregulation, soziale Kompetenz, Selbstwert, Selbstwirksamkeitsempfinden und Reflexionskompetenz. Ein wichtiger Schutzfaktor sei zudem eine positive Eltern-Kind-Beziehung, „die durch eine vertrauensvolle, offene Kommunikation sowie eine aktive Medienerziehung geprägt ist“.

Denn der richtige Umgang mit den Angeboten der Konzerne will gelernt sein. Denn das Suchtpotenzial ist in ihnen stets angelegt. Kein Wunder, dass Tech-Milliardär Elon Musk die australischen Pläne, den Zugang besser zu regulieren, scharf kritisierte.  Auch Meta mit der Plattform Facebook äußerte sich „sehr besorgt.” Allerdings nicht um Kinder und Jugendliche.

Dass laut Berliner Zeitung sogar das Kinderhilfswerk der Uno (Unicef)davor warnte, Kinder könnten mit besserer Kontrolle in „verdeckte und nicht regulierte Online-Räume“ gedrängt werden, wenn sie keinen Zugang mehr zu TikTok, Instagram, Snapchat oder X hätte, verwundert.

Kritischer Umgang mit sozialen Medien muss gelernt werden

Therapeutin Anna Heike Grüneke ist sich ohnehin sicher, dass sich ein generelles Verbot nach dem Vorbild Australiens in Deutschland nicht durchsetzen ließe. Für sie ist daher die Frage umso dringlicher, wie ein kritischer Umgang mit digitalen Medien erreicht werden kann. „Dazu muss die Politik in Berlin allerdings erst einmal das Problem und die Risiken in ihrer ganzen Tragweite erkennen.“

Jede Minute weniger am Bildschirm, am Computer, Tablet, Smartphone verringert bei einem Gehirn in der Reifung das Risiko einer Aufmerksamkeitsstörung und erhöht das Wohlbefinden. Das beobachtet Anna Heike Grüneke in ihrer täglichen Praxis. Und das bestätigt auch die Forschung.

Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer etwa findet, dass digitale Medien Schulkindern mehr schaden als nutzen. Unter 14 Jahren sollten sie am besten gar keinen Zugang haben. Und auch die Dortmunder Psychologin Julia Brailovskaia fand in einer Studie mit 600 Probanden heraus, dass nur 30 Minuten täglich ohne Smartphone die psychische Verfassung deutlich verbessern, wenn stattdessen Sport getrieben wird. „Lebenszufriedenheit, Glücksempfinden, rückläufige Depressions- und Angstsymptome werden dadurch begünstigt“, sagt Grüneke. Offensichtlich ließe sich dem Social-Media-Stress mit relativ einfachen Mitteln vorbeugen. „Doch die Prävention in Berlin ist gleich null.“ ■