Wie einst in den 90ern: Sie sind wieder da – Jungnazis wie damals, die mit Baseballschlägern auf alles, was links und nicht deutsch aussah, losgingen. Mit Glatze und Bomberjacke: Der Verfassungsschutz warnt jetzt vor neuen, gewaltbereiten Neonazi-Jugendgruppen. Viele der Mitglieder sind in den Fankurven deutscher Fußballvereine zu finden, auch beim 1. FC Union und Hertha BSC. Einer der Anführer wurde am Mittwoch zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Sie sind auffallend jung und gewaltbereit: Der brandenburgische Verfassungsschutz beobachtet eine neue Entwicklung in der Neonazi-Szene. „Seit 2024 sehen wir ein neues Phänomen, denn die Anhänger sind sehr jung“, sagt Verfassungsschutzchef Jörg Müller. „Sie erinnern sehr stark an die Szene Anfang der 90er-Jahre, die Skinhead-Bewegung.“
Sie haben Glatzen, tragen wieder Bomberjacken und Schnürstiefel
Im vergangenen Jahr demonstrierten in deutschen Städten solche sehr jungen Neonazis, um die 14 und 15 Jahre alt, gegen Christopher Street Days (CSD). Nach Angriffen auch gegen Jugendclubs im südbrandenburgischen Spremberg und Senftenberg sowie eine schwere Brandstiftung in Altdöbern (Oberspreewald-Lausitz) sprach die Beratungsstelle Opferperspektive davon, dass sich eine neue rechte Jugendkultur mit hohem Gewaltpotenzial verfestige.
Ein Massenphänomen sei dies bislang nicht, es handele sich um Gruppen in zweistelliger Größe, sagt Verfassungsschützer Müller. „Wir nennen es gewaltbereite, subkulturelle Neonationalsozialisten.“ Dazu gehörten Gruppen wie „Jung und stark“, „Deutsche Jugend Voran“, „Letzte Verteidigungswelle“, „Störtrupp“ und auch die Jugendbewegung der Partei Der Dritte Weg. Ihre Feindbilder seien Homosexuelle, Migranten, linke Gruppen und Pädophile. Zudem gebe es eine antisemitische Ausrichtung.
Die jungen Neonazis fielen durch ein gewisses militantes Auftreten und schwarze Kleidung auf: Sie haben Glatzen, tragen wieder Bomberjacken und Schnürstiefel, wie Müller schildert. „Von der Ideologie sehen wir da ganz starke Anleihen an den Neonationalsozialismus.“ Sie seien stark in sozialen Netzwerken organisiert und schafften es auch, bundesweit um die hundert Anhänger und weit mehr zu einzelnen Demonstrationen zu mobilisieren.
Neben Hitlergrüßen und Schmierereien werden Anhängern auch Sachbeschädigung und Brandstiftung zugeordnet. In Sachsen kam ein 21-Jähriger im Februar in Untersuchungshaft, weil er mit Sprengstoff einen Anschlag auf eine Asylunterkunft in Senftenberg geplant haben soll.
Viele Mitglieder haben Verbindungen in die Fankurven der Fußballvereine
Dem ZDF ist es gelungen, mehr als ein halbes Jahr lang in geschlossenen Chat-Gruppen neu entstandener Neonazi-Organisationen mitzulesen. Immer wieder werden auch Fotos von Waffen, wie Messer und Schusswaffen, in den Chat geschickt.
30. Juli 2024: Ein anderes Mitglied fotografiert einen Arbeitskollegen mit Migrationshintergrund von hinten. Er richtet eine Schusswaffe auf ihn. „Scheiß Kanacke haha“, ist darunter zu lesen.
4. August 2024: Ein Mitglied schickt ein Foto von Adolf Hitler in den Chat. „Jude Nacht“, steht darunter.

Viele Mitglieder haben nach ZDF-Recherchen Verbindungen in die Fankurven der Fußballvereine. Beim „Störtrupp“ sind es Alemannia Aachen oder der MSV Duisburg. Bei „Deutsche Jugend Voran“ und „Jung und Stark“ gehören dazu der 1. FC Union und Hertha BSC.
Im Oktober vergangenen Jahres kam es zu einer Großrazzia der Berliner Polizei gegen Mitglieder beider Gruppen. Einer der Anführer der Gruppierung „Deutsche Jugend Voran“, Julian M. (24), saß seitdem in Untersuchungshaft und wurde am Mittwoch in Berlin zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt – unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Nötigung.
Sohn eines Bundespolizisten zu mehr als 3 Jahren Haft verurteilt
Der Sohn eines Bundespolizisten bedrohte seine damalige Partnerin mit dem Tod, als sie aus der Gruppe austrat. In drei Fällen habe der Angeklagte mit weiteren Personen Männer „aus rechtsstaatsfeindlicher Gesinnung“ angegriffen, wie für das Gericht feststand. Politisch andersdenkende Leute seien attackiert worden. Der Mann, der keinen Beruf erlernt hat und zuletzt Bürgergeld bezog, habe aus einer politischen Gesinnung heraus gehandelt und sich „ganz klar außerhalb der Verfassung bewegt“, sagte die Richterin.
Am 19. Oktober vergangenen Jahres etwa habe der 24-Jährige aus einer Gruppe heraus in der S-Bahnlinie S7 einen Fahrgast mit Schlägen und Tritten traktiert, weil er eine Jacke mit Antifa-Emblem trug. Wie auch die anderen Opfer erlitt der Angegriffene unter anderem zahlreiche Hämatome.
Im Prozess gestand der 24-Jährige und sagte, seine politische Einstellung sei „relativ eindeutig“. In Zukunft wolle er allerdings ein straffreies Leben führen und seinen Alkoholkonsum einschränken. Was geschehen sei, bereue er.
Von der Razzia im Oktober nicht betroffene Mitglieder von „Jung und Stark“ schrieben im Anschluss an den Polizeieinsatz hektische Nachrichten in ihren Chats. „Sollten die meine Bude stürmen, geht meine Bude hoch. Hier liegen jetzt Bomben“, sagte laut ZDF ein Jung-Nazi in einer Sprachnachricht.
Die Sicherheitsbehörden kümmern sich um diese Entwicklung im Rechtsextremismus, um früh eingreifen zu können, sagt der brandenburgische Verfassungsschutzchef Jörg Müller. „Was ist mit einem Straftäter, der mit 15 eine Scheibe eines Flüchtlingsheims einwirft? Was macht der dann mit 18?“
Der Verfassungsschutz habe auch sein Informationsangebot an Schulen verstärkt und biete nach wie vor konkrete Hilfe zum Ausstieg aus der rechten Szene an. Die Zahl der Beratungen an Schulen habe sich deutlich erhöht. 2021 waren es laut Behörde 150 Schulleiter, Lehrkräfte und Schüler, die daran teilgenommen haben. 2024 seien es mehr als 600 gewesen (mit dpa).