Hier sprießt die Wut

In Berlin-Wedding: Eine Fahrradstraße macht das Idyll dieser Kleingärtner kaputt

Aufruhr im Charles-Corcelle-Ring: Der Bezirk erklärt die einzige Straße, die zu den Lauben führt, zur Fahrradstraße. Knapp 300 Parkplätze verschwinden.

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Diese Kleingärtner protestieren dagegen, dass der Charles-Corcelle-Ring, die einzige Zufahrtsstraße zu vier Kleingartenanlagen, in eine Fahrradstraße umgewandelt werden soll. 282 Parkplätze fallen so weg.
Diese Kleingärtner protestieren dagegen, dass der Charles-Corcelle-Ring, die einzige Zufahrtsstraße zu vier Kleingartenanlagen, in eine Fahrradstraße umgewandelt werden soll. 282 Parkplätze fallen so weg.Stefan Henseke

Ostermontag, kurz vor Mittag: Da hat man als Kleingärtner mitten im Frühling eigentlich viel zu tun. Doch am Charles-Corcelle-Ring im Wedding sprießt nicht nur das frische Grün, sondern auch die Empörung. Für eine neue Fahrradstraße sollen knapp 300 der hier dringend benötigen Parkplätze für gleich vier Kleingartenanlagen (KGA) plattgemacht werden. KURIER fragte an, ob vielleicht ein paar der Kleingärtner Zeit hätten, von ihren Sorgen zu erzählen. Gleich 40 kamen zum Vereinsheim der KGA „Quartier Napoleon“.

Eine Familie mit zwei erwachsenen, schwerbehinderten Kindern hat am Charles-Corcelle-Ring ihr grünes Idyll, auch viele Ältere, die nicht mehr so gut auf den Beinen sind. „Seit fast zehn Jahren haben mein Mann und ich hier unser Gärtchen“, erzählt Maybritt Kirchbaum (65). „Ich habe fünf Schrauben in der Wirbelsäule, bin zu 50 Prozent schwerbehindert. Ohne Auto schaffe ich es nicht mehr hierher.“

800 Kleingärten liegen am Charles-Corcelle-Ring

Die nächste Bushaltestelle ist zehn Minuten Fußweg entfernt – vorausgesetzt, man ist noch gut zu Fuß. Auch Einkäufe breiten ihrem r Ehemann Ralf Kirchbaum (80) Sorgen. „Es geht nicht nur um den Sack Erde, es geht auch um Kartoffeln, Getränke, Fleisch. Wie sollen wir die ohne Auto hierherschleppen?“ Mit Lieferdiensten funktioniere es auch nicht richtig, da es die Adressen der Kleingärten offiziell gar nicht geben würde.

Vier Kleingartenanlagen mit rund 800 Parzellen reihen sich entlang des 2,4 Kilometer langen Charles-Corcelle-Rings neben der Julius-Leber-Kaserne auf – die Anlagen Quartier Napoleon, Plötzensee, Steinwinkel und Rehberge. Der Charles-Corcelle-Ring soll nach Willen des grünen Stadtrats Christopher Schriner Teil des Radvorrangnetzes Berlins werden und als Fahrradstraße den geplanten Urban Tech Park auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel besser an den Verkehr anbinden. Mit dem Ergebnis, dass 282 Parkplätze für die Kleingärtner entlang der Fahrradstraße entfallen werden.

Der Haken: Der Baubeginn des Urban Tech Parks in Tegel wurde und wird immer wieder verschoben, es sieht nicht so aus, als ob da in absehbarer Zeit etwas fertig wird. „Das dauert bestimmt noch 10 bis 15 Jahre“, sagt Alexandra Quetting (54), Sprecherin der KGA Quartier Napoleon. „Wer braucht diese Fahrradstraße jetzt?“ Der Charles-Corcelle-Ring beginnt am Kurt-Schumacher-Damm und endet am Kurt-Schumacher-Damm. Solange der Urban Tech Park nicht fertig ist, werden die Radfahrer, die die Fahrradstraße nutzen werden, quasi einmal im Halbkreis fahren.

Was viele der Kleingärtner nicht verstehen: Direkt hinter ihrer Anlage, nur 100 Meter vom Charles-Corcelle-Ring entfernt, verläuft parallel zur Straße schon der Radfernweg Berlin-Kopenhagen. Zum Teil schon sehr gut ausgebaut. „Warum hat man die 130.000 Euro, die die Radstraße kostet, nicht in den weiteren Ausbau des Radfernweges gesteckt?“, fragt verständnislos einer der anwesenden Kleingärtner.

Maybrit Kirchbaum (65) ist auf ihre Krücken angewiesen: Ohne Auto kommen sie und ihr Mann Ralf Kirchbaum (80) nicht zu ihrem grünen Paradies.
Maybrit Kirchbaum (65) ist auf ihre Krücken angewiesen: Ohne Auto kommen sie und ihr Mann Ralf Kirchbaum (80) nicht zu ihrem grünen Paradies.Stefan Henseke

Ein anderer erzählt, dass sie gemessen hätten, wie viele Radfahrer die beiden Wege wirklich nutzen. 120 sind es auf dem Charles-Corcelle-Ring in acht Stunden, 1200 auf dem idyllisch im Grünen gelegenen, glatt asphaltierten Radfernweg. Die Kleingärtner bemängeln auch, dass es keine Bürgerbeteiligung gab: „Uns hat keiner gefragt!“

Die Fahrradstraße wird ein merkwürdiges Flickwerk

Stadtrat Christopher Schriner verteidigt im Internet, auf der Plattform X von Elon Musk, die Pläne des Bezirks Mitte gegen Kritik. Man vergesse, dass das Straßen- und Grünflächenamt „auf Basis der Gesetze und Planungen Berlins und des Bundes handelt – der Radverkehrsplan, das Mobilitätsgesetz, der Leitfaden für die Errichtung von Fahrradstraßen, den Förderrichtlinien des Programms von Stadt und Land.“ Schriner sagt: „Die vorgeschlagene Alternative der CDU-Fraktion, den Radverkehr durch die Grünanlage zu ziehen – an dieser ein Hundeauslaufgebiet – würde zu Lasten von Spaziergängern sein.“

Charles-Corcelle-Ring: Die Autos dürfen hier bald nicht mehr parken, da alles zu einer Fahrradstraße umgewandelt wird. Das zeigen die grünen Fahrbahnmarkierungen schon an.
Charles-Corcelle-Ring: Die Autos dürfen hier bald nicht mehr parken, da alles zu einer Fahrradstraße umgewandelt wird. Das zeigen die grünen Fahrbahnmarkierungen schon an.Stefan Henseke

Doch die ganze Fahrradstraße ist sowieso ein merkwürdiges Flickwerk. Nach Protesten von Anwohnern, die in ehemaligen Gebäuden der französischen Allierten wohnen, wird der vordere Teil des Charles-Corcelle-Rings, ein 270 Meter langes Teilstück zwischen der Hausnummer 10 und dem Wendehammer, keine Fahrradstraße – doch das ist genau der Teil der Straße, der dem Urban Tech Park am nächsten liegen wird.

Direkt hinter den Kleingartenanlagen gibt es schon den gut genutzten Radfernweg Berlin-Kopenhagen.
Direkt hinter den Kleingartenanlagen gibt es schon den gut genutzten Radfernweg Berlin-Kopenhagen.Stefan Henseke

Auf Pressemitteilungen im Internet lobt sich das Bezirksamt Mitte. Da die Fahrradstraße mit Kraftfahrzeugen ausschließlich zum Erreichen der anliegenden Grundstücke befahren werden darf, werde sich damit auch die Belastungen durch Parksuchverkehr im Umfeld des nahe gelegenen Zentralen Festplatzes reduzieren und den Forderungen der Anwohnenden diesbezüglich Rechnung tragen, heißt es.

Christine Holm und Michael Wilke, beide Anwohner und Kleingärtner, stehen dort, wo die Straße geteilt wird: Das Ende des grünen Streifens zeigt das Ende der Fahrradstraße, dahinter werden Autos ganz normal fahren und parken dürfen.
Christine Holm und Michael Wilke, beide Anwohner und Kleingärtner, stehen dort, wo die Straße geteilt wird: Das Ende des grünen Streifens zeigt das Ende der Fahrradstraße, dahinter werden Autos ganz normal fahren und parken dürfen.Stefan Henseke
Alexandra (54) und Thomas (59) Quetting sind beides: Anwohner und Kleingärtner: Sie wohnen im vorderen Teil des Charles-Corcelle-Rings und haben seit 2018 in der KGA Quartier Napoleon ihren Kleingarten. Sie kämpfen dafür, dass die Parkplätze für alle erhalten bleiben.
Alexandra (54) und Thomas (59) Quetting sind beides: Anwohner und Kleingärtner: Sie wohnen im vorderen Teil des Charles-Corcelle-Rings und haben seit 2018 in der KGA Quartier Napoleon ihren Kleingarten. Sie kämpfen dafür, dass die Parkplätze für alle erhalten bleiben.Stefan Henseke

Der Bezirk vergisst dabei aber zu erwähnen, dass genau der Teil des Charles-Corcelle-Rings, der nicht zur Fahrradstraße wird, dem Zentralen Festplatz am nächsten liegen wird. Also werden hier weiterhin Festplatzbesucher nach Parkplätzen suchen – und, wenn sie hier keine finden, mit den Kleingärtnern um die dann kaum noch vorhandenen öffentlichen Parkplätze konkurrieren. Auch wenn sie das eigentlich nicht dürften.

130.000 Euro kostet der Ausbau des Charles-Corcelle-Rings. Für Fahrbahnmarkierungen und Verkehrsschilder. Markierungen, die gerade zum zweiten Mal aufgetragen werden mussten, weil die ersten aus dem November schon wieder verblasst waren. Noch dürfen die Kleingärtner hier parken, kaum ein Parkplatz war am Montagmittag frei: Doch Kleingärtner haben Angst vor dem nahen Tag, an dem es heißt, ihr müsst draußen bleiben ... ■