Alt noch besser

Erzgebirgische Volkskunst: Warum Secondhand-Pyramiden boomen

Bei Günter Münzberg gibt es Erzgebirgs-Pyramiden aus den 1950er und 1940er Jahren. Die antiken Schätze sind begehrt, denn echte Kunst gewinnt mit der Zeit.

Author - Stefanie Hildebrandt
Teilen
Günter Münzberg in seinem Laden mit Erzgebirgischem Kunsthandwerk in Spandau.
Günter Münzberg in seinem Laden mit Erzgebirgischem Kunsthandwerk in Spandau.Emmanuele Contini/Berliner Kurier

Pünktlich zum ersten Advent werden die Holz-Schätze in den Kisten wieder herausgeholt. All die Engelfiguren, die Räuchermänner, Nussknacker und Schwibbögen aus dem Erzgebirge. Jetzt ist die Zeit, um sich an der kunstvollen Handarbeit zu erfreuen, die schon seit Jahrzehnten im Erzgebirge hergestellt wird. Wer als Kind in der DDR schon mit den weihnachtlichen Figuren aufgewachsen ist, der sehnt sich irgendwann wieder nach ihrem Anblick, wetten?

Doch eine neue Pyramide aus dem Erzgebirge ist teuer, schnell ist man beim Kauf ein paar hundert Euro los. Liebhaber kaufen deshalb Schätze aus dem Erzgebirge auch gern aus zweiter Hand. Vintage Nussknacker, Engel und Winterkinder boomen.  Denn die Patina, die die handgeschnitzten und bemalten Figuren haben, trägt nur noch mehr zum Zauber bei.

Auch bei Günter Münzberg, dem Fachmann für Erzgebirgisches Kunsthandwerk in Berlin, tauchen immer wieder Kunden auf, die das Besondere suchen.

Vintage-Schätze aus dem Erzgebirge

„Ein Kunde wollte eine Glöckchenpyramide der Firma Blank, die er bei einem Freund gesehen hatte“, erinnert sich Günter Münzberg. Seit eh und je wird sie auf dieselbe Art und Weise hergestellt. Doch als Münzberg das eigens bestellte Stück in seinem Laden präsentierte, war der Kunde enttäuscht. „Es fehlte die Patina“, sagt Günter Münzberg. „Der Kunde kaufte die Pyramide nicht.“

Erzgebirgisches Kunsthandwerk überdauert die Zeiten, es ist auf Langlebigkeit angelegt, sagt Günter Münzberg. Kein Wunder, dass auch gebrauchte Schätze wieder voll im Trend liegen.

Pyramiden aus vergangenen Jahrzehnten im Schaufesnter von Günter Münzberg.
Pyramiden aus vergangenen Jahrzehnten im Schaufesnter von Günter Münzberg.Emmanuele Contini/Berliner Kurier

In seinem Geschäft in der Spandauer Adamstraße hat Münzberg seine Vintage-Waren prominent ins Schaufenster gestellt. „Nicht jeder kann und will sich eine neue Pyramide leisten“, weiß Günter Münzberg. Daher arbeitet der 63-Jährige alte Stücke liebevoll wieder auf.

So hat er derzeit eine antiquarische Rarität im Angebot. Eine weiße Pyramide der Drechsler-Genossenschaft Dregeno aus den 1950er Jahren. Die Figuren zeigen die Geburt Christi, Günter Münzberg hat das schlichte Ensemble liebevoll restauriert. Vor Beginn der Adventszeit hatte er über 20 historische Pyramiden auf Lager, jetzt sind es nur noch wenige.

Aus alten Weihnachtspyramiden neue machen

„Das Geschäft mit den Pyramiden aus zweiter Hand läuft gut“, so Münzberg. Den Kunden seien dabei verschiedene Aspekte wichtig: zum einen Nachhaltigkeit. Warum eine neue Pyramide kaufen, wenn ein besonderes Stück, das so nirgendwo mehr gibt, genauso schön leuchtet? Zweitens: der Preis.  Münzberg kann die aufgearbeiteten Holzkunstwerke günstiger anbieten, weil immer wieder Menschen ihre alten und kaputten Pyramiden als Ersatzteil-Lager vorbeibringen.

Bergmänner aus der Hand von Schnitzer Manfred Baumann.
Bergmänner aus der Hand von Schnitzer Manfred Baumann.Emmanuele Contini/Berliner Kurier

Aus zwei kaputten Modellen machen Günter Münzberg und seine Frau dann eine komplette. Der Gedanke, ein Weihnachtsschmuckstück zu erhalten, das schon vor Generationen Augen zum Leuchten brachte, entspricht dem Trend, wieder auf Qualität und Langlebigkeit zu setzen.

Lager voll von Holzfiguren und Sammlerstücken

Ebenfalls im Schaufenster findet sich eine Engeltreppe aus der Werkstatt von Paul Ullrich mit wunderbar filigranen Spanbäumchen. Sie kostet aus zweiter Hand nur 159 Euro. Neu gibt es ein vergleichbares Stück aus dem in vierter Generation geführten Familienunternehmen gar nicht mehr. Schließlich denken sich die Holzkünstler aus dem Erzgebirge immer wieder etwas Neues aus, um die Kunden zu erfreuen.

Für echte Sammler ist es wichtig, sich ein wenig mit den Herstellern im Erzgebirge auseinanderzusetzen, rät Günter Münzberg. Jedes Haus trägt seine unverwechselbare Handschrift und hat seine eigene Geschichte.

Erzgebirgskunst in der DDR verstaatlicht

Die Firma Paul Ullrich etwa wurde 1880 von Oskar Ullrich gegründet. Das erfolgreiche Familienunternehmen wurde unter 1972 staatlich enteignet und als VEB weiter geführt. Aus dieser Zeit stammt die Engelstrappe von Paul Ullrich. Erst nach der Wende gelang es Tochter Monika Ullrich-Hilscher und ihrem Mann Hermann Rudolf Hilscher, die Firma wieder eigenverantwortlich und wirtschaftlich zu führen. Eine Weihnachtsmannfigur aus dem Hause Ullrich wird in diesem Jahr sogar beim Discounter Aldi Nord angeboten.

Nussknackerherstellung im Dezember 1990 in Seiffen im Erzgebirge. Erst nach 1990 wurden die verstaatlichten Betriebe wieder privat geführt.
Nussknackerherstellung im Dezember 1990 in Seiffen im Erzgebirge. Erst nach 1990 wurden die verstaatlichten Betriebe wieder privat geführt.Imago /Jürgen Schwarz

Ein weiterer Hersteller, der für Kenner unverwechselbare Figuren herstellt, ist die Firma Hubrig Volkskunst. Auf einer zur Laubsäge umgebauten Nähmaschine begann 1969 die Erfolgsgeschichte der Firma in Zschorlau. Schuhmachermeister Heinz Hubrig begründete damals die Familientradition mit dem Bau von Weihnachtspyramiden. 1990 übernahm sein Sohn Thomas Hubrig das väterliche Geschäft und begann mit der Produktion der beliebten Miniaturen für alle Jahreszeiten.

Kult-Produkt zweier Freundinnen: ‚Grünhainichener Engel‘

Auch Günter Münzberg schwärmt von einem seiner liebsten Hersteller. Die Engelsfiguren der Firma Wendt und Kühn aus Grünhainichen haben es ihm angetan.

Der kindliche Ausdruck in den runden Engelsfiguren vn Wendt und Kühn ist charakteristisches Markenzeichen.
Der kindliche Ausdruck in den runden Engelsfiguren vn Wendt und Kühn ist charakteristisches Markenzeichen.Emmanuele Contini/Berliner Kurier

Friedensengel im Ersten Weltkrieg

Dir Figur des berühmtesten Engels, der heute im Katalog als  „28er Engel“ steht, stammt schon aus dem Jahr 1914. Margarete Wendt schickte den Friedensboten mit weißem Kleid und weißem Sternendekor auf grünen Flügeln an ihrem Bruder, der im Krieg war.  „Lieber Hans, ich sende Dir viele herzliche Weihnachtsgrüße und auch einen kleinen Weihnachtsengel und ich wünsche, dass er Dich zum Weihnachtsabend an daheim und an die Angehörigen erinnert, die alle am Heiligabend Eurer so besonders gedenken ...“ schrieb die Firmengründerin.

Günter Münzberg ist fasziniert von der langen Firmengeschichte der zwei Frauen, die 1915 ihr eigenes Geschäft eröffneten. Margarete Wendt und Margarete Kühn haben damals sogar vertraglich festgehalten, dass bei einer Heirat diejenige sofort aus dem Unternehmen scheidet, erzählt Günter Münzberg. Kein Mann sollte den erfolgreichen Frauen ins Handwerk pfuschen. Auch heute noch befindet sich die Werkstatt in Familienhand.

Und die Elfpunkteengel sind als Marke ‚Grünhainichener Engel‘ geschützt. So einen aus der Anfangszeit zu bekommen, das würde selbst bei einem Fachmann wie Günter Münzberg den Herzschlag beschleunigen.