Kann Berlin nur zerstören?

Erst Jahnstadion, dann SEZ: Berliner wehren sich gegen Abrisswahn des Senats

In wenigen Tagen wird die DDR-Arena in Prenzlauer Berg abgerissen. Das SEZ soll folgen. In einer Schule diskutierten Berliner und Experten über das Schicksal des Spaßbades. Eine Rettung wäre möglich. 

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Der Senat im Abrisswahn: Das Jahnstadion in Berlin-Pankow wird in wenigen Tagen abgerissen. Für das SEZ an der Landsberger Allee ist der Abriss geplant. 
Der Senat im Abrisswahn: Das Jahnstadion in Berlin-Pankow wird in wenigen Tagen abgerissen. Für das SEZ an der Landsberger Allee ist der Abriss geplant. Eibner/imago, Schöning/imago, Montage: Berliner KURIER

„Bausenator Gaebler kann nicht wie ein Godzilla durch Berlin ziehen und dabei Jahnstadion oder das SEZ abreißen!“ Die markigen Worte von Carl Waßmuth vom Verein „Gemeingut in BürgerInnenhand“ treffen genau die Stimmung der Zuhörer im Saal. Bei den etwa 100 Berlinern, die an diesem Mittwochabend in die Aula der Evangelischen Schule Friedrichshain gekommen sind, um sich gegen den Abrisswahn des Senats zu wehren, den er gerade in dieser Stadt veranstaltet.

Der Linke-Abgeordnete Damiano Valgolio hatte zu einer Podiumsdiskussion geladen. Die Aula, die sich nahe des SEZ befindet, ist vollbesetzt.

Der Ort ist bewusst gewählt. Denn bei dieser Veranstaltung geht es nicht nur um den bevorstehenden Jahnstadion-Abriss, sondern vorrangig um das weitere Schicksal des einstigen DDR-Spaßbades SEZ, das dem Land Berlin wieder rechtlich gehört, und dass sich der Senat am 1. Oktober mithilfe eines Gerichtsvollziehers nun auch physisch zurückerobern will, um es dann später abzureißen. Dafür sollen bis zu 500 neue Wohnungen auf dem Areal entstehen.

Gegen den Abrisswahn des Senates: Knapp 100 Berliner kamen zu der Podiumsdiskussion in die Aula der Evangelischen Schule Friedrichshain. 
Gegen den Abrisswahn des Senates: Knapp 100 Berliner kamen zu der Podiumsdiskussion in die Aula der Evangelischen Schule Friedrichshain. Markus Wächter/Berliner KURIER

Kann Berlin nur immer zerstören, um Neues zu schaffen wie beim Jahnstadion? Gibt es wirklich gar keine Alternativen? Diese Fragen will man in der Aula nun anhand des SEZ klären – mit Vertretern von Bürgerinitiativen, die das Bauwerk an der Landsberger Allee retten wollen, der Präsidentin der Berliner Architektenkammer, Theresa Keilhacker, Katrin Lompscher (Linke), die von 2016 bis 2020 Bausenatorin war.

Gibt es Alternativen zum SEZ-Abriss? Das versuchten Carl Waßmuth, Susanne Lorenz (beide von Bürgerinitiativen),  Damiano Valgolio (Linke), Mathias Schulz (SPD), Ex-Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) und Architektenkammer-Präsidentin Theresa Keilhacker (v. li.) zu klären.
Gibt es Alternativen zum SEZ-Abriss? Das versuchten Carl Waßmuth, Susanne Lorenz (beide von Bürgerinitiativen), Damiano Valgolio (Linke), Mathias Schulz (SPD), Ex-Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) und Architektenkammer-Präsidentin Theresa Keilhacker (v. li.) zu klären.Markus Wächter/Berliner KURIER

Auch der baupolitische SPD-Sprecher Mathias Schulz ist da, der auf der Bühne der Aula auf dem Stuhl Platz nimmt, auf dem eigentlich Bausenator Christian Gaebler (SPD) sitzen sollte. Doch der Senator fehlt. Nun bekommt Schulz den Unmut im Saal zu spüren.

Berliner Bürgerinitiative fordert: „Wir können auf das SEZ nicht verzichten“

Etwa von Susanne Lorenz von der Initiative „SEZ für alle“. „Wir können auf das SEZ nicht verzichten“, ruft sie. „Es ist etwas ganz Besonders.“ Dabei geht es nicht nur an die vielen Erinnerungen, die die Menschen an dem Sport- und Erholungszentrum vor allem zu DDR-Zeiten hatten.

„Sicher, wir brauchen Wohnungen. Aber wir brauchen auch Freizeitstätten und Schwimmhallen. Wir haben kein einziges öffentliches Schwimmbad mehr in Friedrichshain“, sagt Lorenz. Und Spaßbäder findet man mit dem Ende des SEZ und dem Blub schon gar nicht in Berlin. „Wir sind doch Hauptstadt! Selbst Orten in Brandenburg haben sie!“, sagt Lorenz kämpferisch.

Susanne Lorenz von der Bürgerinitiative „SEZ für alle“
Susanne Lorenz von der Bürgerinitiative „SEZ für alle“Markus Wächter/Berliner KURIER

Ein Autowerkstattbesitzer aus dem Publikum stimmt der Frau zu. „Wir haben zu DDR-Zeiten gesehen, wie gut das SEZ funktionierte, die Besucher Schlange standen. Das könnte wieder so sein. Ich bin mir sicher, dass die Berliner auch heute bereit wären, Geld für das SEZ auszugeben. Also, warum plant man den Abriss?“

Zumal das Sport- und Freizeitzentrum baulich noch gut in Schuss ist, wie Carl Waßmuth vom „Gemeingut“-Verein sagt. Er muss es wissen, der Mann ist Bauingenieur.

Jahnstadion, SEZ: „Wir müssen eine Stadt entwickeln, in der nicht nur immer abgerissen wird“

„Die Stahlträger sehen wie geleckt aus. Ein Bauwerk, das in seiner Grundsubstanz top ist“, sagt er. „Klar, muss vieles gemacht werden. Aber das muss man doch bei allen Gebäuden, die in die Jahre gekommen sind.“ Waßmuth fordert auf dem Podium in Richtung des SPD-Mannes, dessen Partei im Senat mitregiert: „Wir müssen eine Stadt entwickeln, in der nicht nur immer abgerissen wird – so wie nun bald das Jahnstadion.“

Das sieht auch Ex-Bausenatorin Katrin Lompscher so. „Das Jahnstadion abzureißen, fand ich schon immer eine falsche Entscheidung, die nach meiner Amtszeit getroffen wurde“, sagt sie am Rande der Veranstaltung dem KURIER. „Gerade heute ist die Zeit aufgrund der Sparzwänge im Land Berlin reif, von solchen kostenintensiven Projekten Abstand zu nehmen.“

Ex-Bausenatorin Katrin Lompscher: Jahnstadion am DDR-Gründungstag abzureißen, ist „absurd“

Man könne nicht einfach nur „hochwertige Bausubstanz schreddern, um etwas Neues zu bauen“, sagt Lompscher weiter. Das gelte für das SEZ genauso wie für das Jahnstadion, dessen Neubau 188 Millionen Euro kosten soll, so um 70 Prozent teurer wird, als ursprünglich geplant.

Dass mit dem Abriss der einstigen DDR-Arena nach Senatswillen am 7. Oktober begonnen werde, dem Gründungstag der DDR, halte Lompscher in der Tat für einen Zufall. „Allerdings für einen symbolträchtigen – das Ganze ist schon absurd.“

Auch die Berliner Architektenkammer kritisiert seit Jahren den Abriss des Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadions und befürwortete einen Umbau. „Wir haben in Berlin ein Problem mit der Instandhaltung von Gebäuden“, sagt Präsidentin Theresa Keilhacker bei der Veranstaltung in der Friedrichshainer Aula – und meint damit auch das SEZ.

Ex-Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) mit ihrem Parteifreund Damiano Valgolio 
Ex-Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) mit ihrem Parteifreund Damiano Valgolio Markus Wächter/Berliner KURIER

„Viele sehen nur eine Graffiti-Fassade und meinen, das Haus muss weg. Dabei hat das SEZ einmal Technikgeschichte geschrieben“, sagt sie. „Aus fachlicher Sicht ist es ein baukulturelles, hochwertiges Bauwerk. Die Nachkriegsarchitektur, die in beiden Teilen Berlins sehr unterschiedlich war, muss erhalten bleiben.“ Für die Architektenkammer-Präsidentin ist das SEZ „eine bauliche Meisterleistung“, die unter Denkmalschutz gehöre. Doch ein Versuch, dieses zu erreichen, scheiterte vor zehn Jahren.

Jahnstadion, SEZ: „Berliner Nachkriegsarchitektur muss erhalten bleiben“

SPD-Bauexperte Mathias Schulz versprach, die Erkenntnisse und Forderungen aus der Debatte in der Friedrichshainer Aula an die zuständigen Senatsgremien weiterzugeben. „Um festzustellen, ob das SEZ überhaupt sanierungsfähig ist, müssen aber erst Gutachter in das Gebäude“, sagt er. „Dafür brauchen wir den Schlüssel, den der bisherige Eigentümer nicht freiwillig herausrücken will. Und so müssen wir ihn uns jetzt holen, notfalls unter Zwang.“

Architektenkammer-Präsidentin Theresa Keilhacker: Für sie sind SEZ und Jahnstadion Zeugnisse der Berliner Nachkriegsarchitektur, die erhalten werden müssen.
Architektenkammer-Präsidentin Theresa Keilhacker: Für sie sind SEZ und Jahnstadion Zeugnisse der Berliner Nachkriegsarchitektur, die erhalten werden müssen.GE-Foto/imago

Dennoch hält der SPD-Bauexperte an dem Bebauungsplan fest, den vor fast zehn Jahren Bausenator Andreas Geisel (SPD) anschob und der 2018 unter Bausenatorin Lompscher im Abgeordnetenhaus verabschiedet wurde. „Die 500 Wohnungen sind auf dem Areal wichtig, zumal die Hälfte davon auch bezahlbar sein wird“, sagt Schulz.

Trotz aller Liebe zum SEZ könne man die Wohnungsnot nicht wegdiskutieren, „solange weiter mehr Menschen in die Stadt kommen und die daher Wohnraum brauchen“. „Der Bebauungsplan sieht außerdem auch Sport- und Freizeitmöglichkeiten vor“, sagt Schulz.

SEZ-Abriss für 500 neue Wohnungen: „Bebauungspläne kann man ändern“

Pläne kann ein Parlament auch ändern, kontert Ex-Bausenatorin Lompscher. „Mit dem Plan wollten wir damals verhindern, dass der damalige Eigentümer nicht selber auf dem Areal baut. Diese Motivation besteht aber jetzt nicht mehr“, sagt die Linke-Politikerin. „Die Zeiten haben sich geändert.“ Und damit wäre es auch nicht notwendig, das SEZ abzureißen.

Berliner schauen sich in der Aula vor der Debatte Pläne an, wie man das SEZ auch sinnvoll umbauen kann. 
Berliner schauen sich in der Aula vor der Debatte Pläne an, wie man das SEZ auch sinnvoll umbauen kann. Markus Wächter/Berliner KURIER

Eine erneute politische Debatte über die SEZ-Zukunft und über den Bebauungsplan ist aus Sicht des SPD-Bauexperten Schulz „sehr schwierig“. Denn eins ist auch der Ex-Bausenatorin klar: „Eine Sanierung wird sehr, sehr viel kosten.“

Debatte um SEZ-Zukunft: Wer soll einstiges DDR-Spaßbad betreiben?

Da stellt sich auch die Frage, wer ein möglicherweise saniertes SEZ dann betreiben soll. Die Berliner Bäder-Betriebe, die vor 20 Jahren froh waren, das kostenintensive Spaßbad los zu sein, werden das SEZ mit Sicherheit nicht erneut übernehmen wollen.

Das Sport- und Erholungszentrum an der Landsberger Allee aus der Vogelperspektive: Dieses Areal soll nach dem SEZ-Abriss neu bebaut werden.
Das Sport- und Erholungszentrum an der Landsberger Allee aus der Vogelperspektive: Dieses Areal soll nach dem SEZ-Abriss neu bebaut werden.GE-Foto/imago

Und die WBM, die den Bebauungsplan auf dem Areal irgendwann umsetzen soll, könnte es nicht, sind sich die Experten in der Runde sicher. „Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte hat momentan mit anderen Bauvorhaben genug zu tun, als sich noch mit einem Streitprojekt zu beschäftigen“, sagt Architektenkammer-Präsidentin Keilhacker. Denkbar wäre für sie die Berliner Immobilienmanagement-Gesellschaft (BIM). „Das sind erfahrene Sanierer.“

Oder ein anderes Landesunternehmen wie beim ehemaligen Pionierpalast in der Wuhlheide, dem heutigen FEZ, schlägt Ex-Bausenatorin Lompscher vor. „Das sollte auch einmal angerissen werden und wurden dann saniert und ist heute allseits beliebt.“ Über den Vorschlag ist auf jeden Fall Susanne Lorenz von der Bürgerinitiative „SEZ für alle“ begeistert, die voller Elan in den Saal ruft: „Dann machen wir es doch so!“ ■