Berlin besser als erwartet

Bürokratie-Wahn: Ostdeutsche fühlen sich in Ämtern als „Bittsteller“ – mit Test

Am unzufriedensten mit dem Service sind die Bürger in den ostdeutschen Bundesländern. Außer in Berlin: KURIER machte den Hauptstadt-Test.

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Ohne analogen Stempel geht oft noch nichts: Hier im Bürgeramt im Bezirk Spandau im Staaken-Center.
Ohne analogen Stempel geht oft noch nichts: Hier im Bürgeramt im Bezirk Spandau im Staaken-Center.Jörg Carstensen/dpa

Erst gibt es keinen Termin, dann dauert die Bearbeitung wochenlang. Deutsche sind genervt von der immer weiter wuchernden Bürokratie. 67,4 Prozent sehen sich laut einer neuen Umfrage nur als Bittsteller, 58,5 Prozent fühlen sich in den Ämtern nicht ernst genommen. Besonders groß ist die Unzufriedenheit in den ostdeutschen Bundesländern. Überraschend: In der Mecker-Hauptstadt Berlin sind die Zahlen besser als erwartet.

Einen neuen Pass beantragen, den Führerschein verlängern, eine Unterschrift amtlich beglaubigen lassen: Ohne einen Termin beim Bürgeramt geht nichts. Die Mehrheit der Deutschen (58,5 Prozent) fühlt sich im Kontakt mit Behörden aber nicht ernst genommen und hat nicht das Gefühl, guten Service zu erhalten.

In Ostdeutschland wird am meisten über die Ämter gemeckert

Stattdessen sehen sich 67,4 Prozent als „Bittsteller“, die vom Staat unnötig belastet werden. Das ergab eine repräsentative Civey-Umfrage im Auftrag estnischen Softwareanbieters e-Residency, für die zwischen dem 1. und 3. April 5008 Bundesbürger (ab 18 Jahren) zu ihrem Service-Erlebnis im Behördenkontakt sowie digitalen Verwaltungsleistungen repräsentativ befragt wurden.

Besonders kritisch fällt das Urteil bei jüngeren Befragten aus: In der Altersgruppe 18 bis 29 sagen fast 80 Prozent, dass sie sich im Umgang mit Behörden als Bittsteller fühlen. Bei der Gruppe Ü65 liegt der Anteil hingegen bei knapp 60 Prozent.

Auch regional zeigen sich Unterschiede: Am unzufriedensten mit dem Service sind die Bürger in den ostdeutschen Bundesländern. Am schlechtesten behandeln fühlen sich Antragsteller in Mecklenburg-Vorpommern (65 Prozent), in Sachsen (64,7 Prozent), Brandenburg (64,6 Prozent) und Sachsen-Anhalt (64 Prozent).

Am positivsten bewertet wird die Servicequalität der Ämter in den Stadtstaaten – was wohl auch an kürzeren Wegen zum nächsten Amt und rascherer Digitalisierung liegen dürfte. In Hamburg (52,2 Prozent Unzufriedene), Bremen (54,2 Prozent) und Berlin (54,8) zeige sich aber auch, dass die Menschen Fortschritte bei Serviceorientierung und Digitalisierung durchaus wahrnehmen, heißt es bei Civey. Gut sind die Werte aber trotzdem nicht. Denn auch hier ist ja mehr als jeder Zweite mit den Amtsstuben unzufrieden.

Der Berlin-Test: Am Morgen gab es auch kurzfristige Termine

Aber in der Tat scheint sich zumindest die Terminvergabe in Berlin etwas zu entspannen. Der KURIER macht regelmäßig Tests und berichtet dann darüber. Am 1. Mai 2023 musste man noch knapp acht Wochen auf einen freien Termin beim Bürgeramt warten. ähnlich am 29. Januar dieses Jahres: Wer an diesem Tag einen Termin suchte, wurde erst am 26. März fündig – was auch daran lag, dass damals viele Mitarbeiter für die anstehenden Bundestagswahlen abgezogen wurden.

Um 10.13 Uhr waren am Montag mehrere freie Bürgeramt-Termine zu buchen.
Um 10.13 Uhr waren am Montag mehrere freie Bürgeramt-Termine zu buchen.Henseke/Screenshot

Doch heute Morgen zwischen 9 und 10.30 Uhr sah es besser aus: Auf dem Online-Portal service.berlin.de gab es kurzfristige Termine für den 28., 29. und 30. April. Verteilt über die ganze Stadt – vom Bürgeramt in Berlin-Schöneweide bis zum Bürgeramt 1 in der Kreuzberger Yorckstraße. Auf längerfristige Termine musste man fünf bis sieben Wochen warten (3., 16., 19., 20. und 23. Juni). Immer noch nicht optimal, aber viel besser als noch vor wenigen Wochen.

Bitte warten! Daran hat auch die digitale Terminvergabe in den Bürgerämtern nicht geändert. Nur wenige Anträge können komplett digital bearbeitet werden.
Bitte warten! Daran hat auch die digitale Terminvergabe in den Bürgerämtern nicht geändert. Nur wenige Anträge können komplett digital bearbeitet werden.BriganiArt/Sari/imago

Nicht nur die Berliner, sondern alle Deutschen sind dagegen sauer, dass in Deutschland in Sachen Bürokratie noch so wenig digital geht, man überhaupt noch Termine braucht. Der Ruf nach digitalen Verwaltungsprozessen wird laut der Umfrage immer lauter: Zwei Drittel der Deutschen (66,8 Prozent) wünschen sich die Ummeldung des Wohnsitzes als digitale Dienstleistung, direkt vor dem digitalen Beantragen von Personalausweis oder Reisepass (57,9 Prozent). Dahinter folgen Führerscheinangelegenheiten (26,3 Prozent), die eigene Geburtsurkunde (22,7 Prozent) und Anträge auf Sozialleistungen (21,8 Prozent). ■