Auf den letzten Metern drohte der Termin zu platzen: Für diesen Mittwoch hatten SPD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die feierliche Vorstellung eines gemeinsamen Koalitionsvertrages angekündigt. Doch Anfang der Woche schien das Vorhaben plötzlich krachend zu scheitern. BSW-Landtagsabgeordneter Sven Hornauf kündigte an, er werde der Koalition seine Stimme verweigern. Anlass war ein Kompromiss um den Brandenburger Bundeswehr-Fliegerhorst Holzdorf. „Ich bin nicht gegen den Bundeswehrstandort, auch nicht gegen die Ansiedlung der Chinook-Staffel oder die Hawk-Raketen“, erklärte Hornauf der dpa, aber: „Wer die Aufstellung der Arrow 3 in Brandenburg unterstützt, kriegt meine Stimme nicht.“
BSW-Fraktionschef Robert Crumbach setzt Kompromiss gegen Abweichler und Sahra Wagenknecht durch
SPD-Chef Dietmar Woidke gab sich trotz des heraufziehenden Unheils gelassen, deutlich wurde hingegen BSW-Fraktionschef Robert Crumbach, kritisierte Hornauf hart: „Ich finde es grundsätzlich ganz gut, wenn man Probleme hat, dass man das zunächst mit seiner Gruppe, mit seiner Fraktion bespricht, bevor man in die Öffentlichkeit tritt.“ Tatsächlich hätte die Koalition mit einem Abweichler nur noch die denkbar knappste Mehrheit von 45 Stimmen im Landtag gehabt. Doch nach Gesprächen mit Hornauf erklärte Crumbach das Thema am Mittwoch für abgehakt: „Ja, wir werden heute den Koalitionsvertrag vorstellen“, bestätigte der BSW-Landesvorsitzende Robert Crumbach am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP in Potsdam.
Bei Kritikern gilt das BSW als Kaderpartei, in der nur eine das Sagen habe: Namensgeberin Sahra Wagenknecht. In Thüringen und Brandenburg hat sich aber gezeigt, das eigenständige Köpfe innerhalb der neuen Partei, Katja Wolf und Robert Crumbach, Kompromisse mit den sehr unterschiedlichen Parteien CDU und SPD aushandeln und auch gegenüber Wagenknecht durchsetzen konnten.
Brandenburgs BSW-Chef Robert-Crumbach war früher SPD-Mitglied
Bei Robert Crumbach liegt das auch deshalb nahe, weil er jahrelang selbst SPD-Mitglied war, in Potsdam einen Ortsverein der Sozialdemokraten führte und für die Landesregierung als Justiziar arbeitete. Nach Brandenburg kam Crumbach, gebürtig in den Niederlanden, zur Wendezeit aus Rheinland-Pfalz kurz nach seinem Jura-Studium, arbeitete bis zum Wahlkampf zu den Landtagswahlen als Arbeitsrichter in Brandenburg an der Havel. Ansonsten gibt er nur wenige Einblicke in sein Privatleben: Er lebt mit seiner Frau in Potsdam, beide haben zwei erwachsene Kinder. Er wandert gerne, fährt Rad und schraubt gerne an alten Motorrädern herum.
Bei Fernsehauftritten vor der Wahl agierte Crumbach vor der Kamera vergleichsweise ungelenk, aber zugleich authentisch; politische Phrasen spricht Crumbach nicht. Damit überzeugte der bis dahin weitgehend unbekannte BSW-Spitzenmann mehr Wähler als die CDU, während Linke und FDP nicht einmal in den Landtag kamen. Nun beweist Crumbach tatsächlich Führungsstärke: Er hat seine Fraktion auf schwierige Kompromisse eingeschworen, die in drei Wochen Koalitionsverhandlungen mit der SPD entstanden.
Koalition zwischen SPD und BSW in Brandenburg muss noch DIESE Hürden überwinden
Ganz durch ist die Regierungsbildung in Potsdam allerdings noch nicht: Nach der Vorstellung des Koalitionsvertrags am Mittwochnachmittag im Potsdamer Landtag sind Parteitage von SPD und BSW angesetzt. Sollten die Delegierten dem Vertrag in der ersten Dezemberwoche nicht zustimmen, wäre die Vereinbarung hinfällig. Stimmen sie zu, könnte sich Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) im Landtag zur Wiederwahl stellen. Die Wahl soll in einer Plenarsitzung am 11. Dezember stattfinden. Laut Landesverfassung muss ein neuer Ministerpräsident spätestens am 16. Januar 2025 gewählt werden.
Auch in der Brandenburger SPD ist das geplante Bündnis mit dem BSW sehr umstritten. Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) kündigte vor wenigen Tagen bereits an, für eine künftige Koalitionsregierung mit der Partei um Bundeschefin Wagenknecht nicht zur Verfügung zu stehen. Zur Begründung verwies er auf „von der Parteispitze vertretene Positionen“. Deshalb sehe er „keine Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit“, teilte Steinbach mit.
Überschattet wurden die Koalitionsverhandlungen in Brandenburg insbesondere von Forderungen des BSW nach diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des von Russland geführten Angriffskriegs gegen die Ukraine und nach einem Nein zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Entsprechende Formulierungen schrieben SPD und BSW später auch in ihr Sondierungspapier.
BSW-Namensgeberin Sahra Wagenknecht erschwert Landesverbänden Kompromisse
Die außenpolitischen Positionen des BSW und ihrer Namensgeberin Wagenknecht erschwerten auch die Koalitionssuche in Sachsen und Thüringen, wo nach den Landtagswahlen im Oktober ebenfalls über Regierungen unter BSW-Beteiligung verhandelt wurde. In Thüringen einigten sich CDU, BSW und SPD inzwischen auf einen Koalitionsvertrag. Die Parteigremien müssen diesen noch billigen.
In Sachsen scheiterten Gespräche zwischen CDU, SPD und BSW über die Bildung einer Dreierkoalition. Die Parteien wiesen sich anschließend gegenseitig die Schuld zu. CDU und SPD beschlossen daraufhin, über die Bildung einer Minderheitenregierung zu verhandeln. Diese wäre im Landtag zur Verabschiedung von Gesetzen auf Unterstützung anderer Parteien angewiesen.
Entscheidungen der Außen- und Sicherheitspolitik fallen laut Grundgesetz nicht in die Kompetenz der Länder, sondern sind Sache des Bundes. Das BSW machte seine umstrittenen friedenspolitischen Forderungen zum Krieg in der Ukraine aber zu einem zentralen Wahlkampfthema. Kritiker werfen der aus einer Abspaltung von der Linken entstandenen Partei vor, die von Russland unter Staatschef Wladimir Putin ausgehende Bedrohung zu verharmlosen. ■