Lächeln lohnt sich

Berlin, so geht es auch freudlich!

Radikale Freundlichkeit - propagiert die Berliner Psychologin Nora Blum. Ihr neues Buch mit demselben Titel hat sie sicher nicht ohne Grund Berlin gewidmet.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Berlin, Ecke Schönhauser. Wieder mehr Miteinander wagen, das liegt auch an jedem Einzelnen von uns.
Berlin, Ecke Schönhauser. Wieder mehr Miteinander wagen, das liegt auch an jedem Einzelnen von uns.imago images/Seeliger

„Du warst zu freundlich“, so lautete die Begründung für eine Absage der fünf Finanzinvestoren, von denen die Berliner Psychologin Nora Blum Geld für das Wachstum ihres Unternehmens gebraucht hätte. Man wisse nicht, ob sie die richtige Ellenbogen-Mentalität mitbringe, um in der harten Unternehmerwelt zu überleben.

Zu freundlich, um mit 24 Jahren knapp 100 Mitarbeiter in ihrem preisgekrönten Psychotherapie-Startup Selfapy zu beschäftigen? Für die junge Unternehmerin Nora Blum war diese Begegnung ein einschneidendes Erlebnis!

Warum wird Freundlichkeit sofort mit Schwäche gleichgesetzt, fragt sich Blum. Und warum kann Freundlichkeit nicht als Stärke gesehen werden, wenn es doch wissenschaftlich erwiesen ist, dass uns das Freundlich sein glücklicher und gesünder macht – und uns sogar länger leben lässt? Nora Blum hält in ihrem ersten Buch „Radikale Freundlichkeit“ lächelnd ein ziemlich ansteckendes Plädoyer für mehr Freundlichkeit. Sie widmet es der Stadt, in der sie seit zehn Jahren lebt: Berlin. Und das nicht ohne Grund.

Berliner pflegen ihr hartes Image - viel Schnauze, weniger Herz

„In Berlin ist es fast ein Markenzeichen, nicht freundlich zu sein“, sagt Nora Blum. Berlin könne mit nur ein wenig mehr Freundlichkeit viel gewinnen. Stattdessen pflegen die Berliner ihr hartes Image, sind stolz auf ihre Schnoddrigkeit und Direktheit. Ein nettes „Hallo“ gegenüber Unbekannten – gilt gleich als Anmache und ein Lächeln auf der Straße? Gehört definitiv nicht zum coolen Image der Stadt. Liebe Berliner, wir verpassen da was!

Psychologin Nora Blum hat das Experiment gemacht: Einen Tag lang jeden anlächeln. Sie bekam jede Menge gute Laune zurück.
Psychologin Nora Blum hat das Experiment gemacht: Einen Tag lang jeden anlächeln. Sie bekam jede Menge gute Laune zurück.Nina Retzlaf

Es wird Frühling, höchste Zeit, dem Grimm und Grau da draußen etwas entgegenzusetzen. Nora Blum machte das Experiment: Einen Tag lang lächelte sie Fremde auf der Straße und in der Bahn in Berlin an und erlebte eine ganz andere Stadt: „Ich habe viel Lächeln zurückbekommen“, sagt die Psychologin. „Mit Fremden fühlt man sich so auf eine einfache Art und Weise verbunden.“

Dieses Gemeinschaftsgefühl, ist es nicht das, was vielen Großstädtern abhandengekommen zu sein scheint? Berlin leidet an Unfreundlichkeit und die steckt an:  Unfreundlichkeit verbreitet sich, wenn man nicht gegensteuert, lernt man in Blums Buch, wie mit einem Dominoeffekt. Die gute Nachricht: Freundlichkeit ebenso. „In jeder freundlichen Tat steckt das Potenzial für eine Kettenreaktion“, so Nora Blum. Gut möglich also, dass so ein verschenktes Lächeln Nachahmer produziert.

Viele Großstädter sehen sich nach mehr Verbundenheit miteinander.
Viele Großstädter sehen sich nach mehr Verbundenheit miteinander.IMAGO/Bernd Friedel

Endgegner der Freundlichkeit: das Smartphone

Auf dem Weg zu mehr Freundlichkeit und zu weniger Einsamkeit macht Nora Blum noch einen Gegner aus: das Smartphone. Phubbing und Co., also das ständige aufs Handygucken in Anwesenheit anderer Menschen, rauben unsere Aufmerksamkeit, und die ist schließlich die wichtigste Voraussetzung für Freundlichkeit.

Handys sind überall. Und wer während des Gesprächs auf sein Smartphone schaut, signalisiert dem Gegenüber, du bist weniger wichtig. „Kein Mensch kann den Unterhaltungswert der unendlichen Möglichkeiten im Smartphone toppen“, weiß Nora Blum. Bei jedem Reel, jedem Short, jedem Wisch und Weg wird das Belohnungshormon Dopamin ausgeschüttet. „Man muss sich brutal dagegen wehren“, so Nora Blum.

Ein Gesprächspartner hat kaum eine Chance, da mitzuhalten. Dabei führen wir tiefere Gespräche ohne Handy. Um uns abzulenken, reicht es schon, wenn es nur auf dem Tisch liegt. Das kurze Unbehagen, als bei unserem Gespräch das Smartphone in der Tasche bleibt, verfliegt dagegen schnell. „Wir haben den Leerlauf verloren, wenn zwei Minuten im Film nichts passiert, wird uns langweilig. Wir können schwerer zuhören und Aufmerksamkeit schenken“, erklärt Nora Blum.

Besser als ein Smiley auf dem Smartphone ist eins auf der Straße.
Besser als ein Smiley auf dem Smartphone ist eins auf der Straße.Annette Riedl/dpa

Interaktionen erhöhen Lebenszufriedenheit

Doch wer ständig ins Handy schaute, verpasse freundliche Plaudereien an der Haltestelle, der Kopfhörer im Ohr an der Supermarktkasse verhindere so manches nette Wort. Doch gerade diese kleinen Interaktionen sind es, die unsere Lebenszufriedenheit nachweislich erhöhen, weiß die Psychologin. Zufällige freundliche Handlungen machen glücklich, probieren Sie es aus! Einen Platz in der Straßenbahn frei machen, jemandem etwas aufheben, eine Tür aufhalten, Hilfe anbieten. Es kann sehr einfach sein, im Alltag einen Unterschied zu machen.

Einen Unterschied für andere, aber vor allem auch für einen selbst. „In einer schnellen Zeit der Krisen fühlen wir uns oft verloren. Umso wichtiger ist es, wieder eine stärkende Verbundenheit von Angesicht zu Angesicht zu zulassen“, sagt Nora Blum.

Einsamkeit ist eines der großen Themen unserer Zeit. Wer sich einsam fühlt, wählt sogar häufiger extrem, ergeben Studien. Doch anstatt die Gräben mit Online-Hass immer größer werden zu lassen, müssten wir uns wieder vom Grundsatz her wohlwollend gegenüberstehen, so Nora Blum. Das kann man trainieren. Erster Schritt: Handy oder Smartwatch auch mal verbannen. „Sein Smartphone stetig greifbar zu haben, ist wie ständig eine offene Tüte Gummibären neben sich liegen zu haben. Zu widerstehen ist schwer.“

Graffitto in Berlin Prenzlauer Berg. Mit mehr Mitgefühl durch Berlin zu gehen, erhöht das eigene Wohlbefinden.
Graffitto in Berlin Prenzlauer Berg. Mit mehr Mitgefühl durch Berlin zu gehen, erhöht das eigene Wohlbefinden.imago stock&people

Wenn also das Handy in der Tasche bleibt und der Fokus auf dem Gegenüber liegt, kann es losgehen mit dem guten Gespräch. Doch was, wenn der andere so komplett anders tickt als man selber? Ein ganzes Land ist nach der Bundestagswahl gespalten.

Wie also kommen wir wieder zueinander, auch wenn wir in politischen Fragen anderer Ansicht sind? Nora Blum hat einige Anregungen dazu. Sich mit der eigenen Empathie zu verbinden, ist beispielsweise eine zentrale Aufgabe. Doofe Chefs, Pöbler in der Bahn, Wähler einer Partei, die für sie nicht infrage käme, stellt sich die Psychologin als kleine Kinder unter dem Weihnachtsbaum vor. Mit Einfühlungsvermögen für die jeweilige Situation, in der der vermeintliche Gegner steckt, fällt es viel leichter, dessen Ansichten erst einmal neutral anzuhören.

Freundlichkeits-Challenge in der U8

Wenn also in der U8 ein Betrunkener mittags besoffen herumpöbelt, gilt es, ihn in seinem Elend mit Mitgefühl zu begegnen. Auch dieser Mann hat als kleiner Junge mit großen Augen unter einem Weihnachtsbaum gesessen. Wer sich das vorstellen kann und sich empathisch zuwendet, kann Stress besser ertragen. „Anstatt sich mit hohem Puls umgeben von Idioten zu fühlen, hilft es, im Gegenüber nicht den Feind, sondern den oft bedürftigen Menschen zu sehen“, so Blum.

„Menschen sind nicht unfreundlich geboren, wir lernen am Modell“, sagt Nora Blum weiter. Das entschuldige nichts, helfe aber dabei, mit Negativität umzugehen, wenn man sich dies vergegenwärtige.

Zuhören als Superkraft

Überhaupt, das Zuhören, es ist der ultimative Schlüssel für gegenseitiges Verständnis. Allein empathisches Zuhören reduziert die Bildung von extremen Meinungen und erhöht die Bereitschaft, auch eine andere Meinung gelten zu lassen.  Den moralischen Zeigefinger kann man dabei getrost in der Tasche lassen, der bringt eher das Gegenteil von dem, was man sich erhofft: Annäherung und Austausch. Außerdem braucht man ihn gar nicht.

Mit Freundlichkeit machen wir uns am Ende selber glücklich, wen alle anderen Argumente nicht überzeugt haben, dieses kann man schlecht ignorieren. Studien ergeben, wer freundlich zu anderen ist und sogar ein Ehrenamt ausübt, lebt sogar länger. Mit Freundlichkeit werden positive Genmuster aktiviert, die Entzündungsprozessen im Körper entgegenwirken. Die Verbundenheit mit anderen lässt uns in Sicherheit fühlen und uns entspannen. „Die Ego-Gesellschaft macht uns nicht glücklich“, sagt Nora Blum. „Wir sind dafür gemacht, einander zu unterstützen.“

Dabei heißt freundlich sein laut Blum, nicht zu allem ja zu sagen. Grenzen setzen, Konflikte ansprechen, sie freundlich lösen. „Wer wohlwollend und empathisch mit seinen Mitmenschen umgeht, der setzt klare Grenzen, scheut keine Konflikte und spricht ehrlich aus, was ihn oder sie stört.“

Nora Blum studierte Psychologie in York und Cambridge. Als junge Gründerin der erfolgreichen Online-Therapieplattform Selfapy wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Sie forscht zum Thema Freundlichkeit und Stressbewältigung und lebt in Berlin. Ihr Buch „Radikale Freundlichkeit“ erscheint am 12. März im Kailash Verlag und kostet 18 Euro. 

Ist man in Berlin wirklich so unfreundlich, wie Psychologin Nora Blum es darstellt? Schreiben Sie uns bitte Ihre Meinung und Erfahrungen: leser-bk@berlinerverlag.com ■