Es gibt in ganz Deutschland, ja in der ganzen Welt nicht viele Menschen, die älter als Trudchen sind. Am 11. November 2025 feiert die wohl älteste Berlinerin ihren 111. Geburtstag. Kein Witz!
Der Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick wird vielleicht vorbeikommen, und das Pflegeteam der Senioren-WG, in der Trudchen lebt, wird die älteste Bewohnerin ordentlich hochleben lassen. Auch der KURIER gratuliert ganz herzlich! Schon einige Tage vor dem eigentlichen Festtag haben wir Trudchen in Schöneweide besucht.
Als Trudchen am 11. November 1914 als Gertrud Oertel in Brandenburg in der Nähe des Seddiner Sees geboren wird, tobt der Erste Weltkrieg. Deutsche und alliierte Truppen stehen sich an der belgischen Kanalküste in Westflandern gegenüber.
Ihre Kindheit in Brandenburg beschreibt die heute so zerbrechlich wirkende Gertrud im letzten großen Interview vor einem Jahr dennoch als außerordentlich glücklich. „Ich war ein fröhliches Kind! Und später kam so viel Trauer“, sagte sie damals.

Ein ganzes Jahrhundert und elf Jahre hat sie nun schon erlebt. Gertrud Oertel hat die schwere Zeit nach dem Ersten Weltkrieg überstanden, war Anfang 20, als die Nazis in Deutschland an die Macht kamen. Sie durchlitt den Zweiten Weltkrieg, war Zeugin des Mauerbaus, sah den DDR-Staat kommen und gehen. Vor diesen Augen, die heute von einem kleinen Balkon in Schöneweide auf diese Stadt blicken, spielte sich ein ganzes Jahrhundert ab. Doch was bleibt, sind vor allem die Erinnerungen an die Liebsten.
Das Tanzen ließ sie sich nie nehmen
„Mein Papa hatte meine Mama so lieb“, erinnerte sich Trudchen. „Er war immer ruhig, lieb und gerecht.“ Sie selber sollte in ihrem langen, langen Leben nicht so viel Glück mit den Männern haben. Gertruds erste große Liebe starb viel zu früh. Das Tanzen aber ließ sich Gertrud trotzdem nicht nehmen. „Und wie ich tanzte! Ich liebte es! Und zu singen!“
„Ick habe viel und gern gelacht“, berlinerte Trudchen kurz vor ihrem 110. Geburtstag. Heute, ein Jahr später, sind die Erinnerungen schon ein wenig verschwommen. Obwohl Gertrud Oertel in der Senioren-WG immer noch auf den Beinen ist und an guten Tagen in Begleitung das Haus sogar für ein Eis verlässt, spürt man, dass ihre geistige Kraft nun nachlässt.
Mit 111 Jahren darf man ein bisschen verwirrt sein
„Aber mit 111 Jahren darf man das, oder?“, fragt die Sozialarbeiterin Nicole Ziech. Beim ambulanten Pflegedienst Gardé ist Nicole Ziech mit weit offenem Herzen für Trudchen und die anderen Bewohner da. Alle hier staunen jeden Tag, wie fit Gertrud Oertel körperlich noch ist.

Ein ganzes 111 Jahre währendes Leben sitzt da in einer glitzernden Bluse auf einem Sofa. Das weiße Haar in Wellen gelegt, ist Gertrud Oertel eine rührende Erscheinung. Ganz zart und klein, aber auch voller Willenskraft, wenn sie ihren Rollator über den Flur schiebt.
In ihrem Berufsleben arbeitete Gertrud Oertel bei der Bahn, gab Fahrkarten aus. Ihr großes Glück: Als Alleinstehende adoptierte Trudchen ein Mädchen aus dem Kinderheim in der Südostallee. Noch zum 110. Geburtstag wünschte sich Trudchen statt Geschenke eine Gabe für Kinder in Not.
Ich wünsche euch Frieden und Freiheit
Überhaupt die Kinder – sie sind es, die nun in die Zukunft, ins nächste Jahrhundert gehen. Für sie wünscht sich Gertrud Oertel „Frieden und Freiheit“. Die ganze Welt sei so durcheinander, hatte sie zuletzt gesagt: „Die wollen wieder Krieg, da zittere ich, wenn ich das alles so höre.“


