Zahlen, die Angst machen

Leerstand ohne Verstand! Berlin rast mit 100 Sachen in die Wohnungskatastrophe

Berlin braucht dringend Wohnraum. Und der Leerstand in der Stadt ist extrem. DARUM werden viele leere Wohnungen auch künftig nicht vermietet werden.

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Ein leer stehendes Wohnhaus in Berlin-Steglitz-Zehlendorf.
Ein leer stehendes Wohnhaus in Berlin-Steglitz-Zehlendorf.Schöning/imago

Über 40.000 Wohnungen stehen in Berlin leer. Und das Schlimmste: Sie werden wohl auch in Zukunft nicht vermietet werden. Dabei braucht Berlin dringend Wohnraum, denn die Stadt wächst weiter, fast 3,9 Millionen leben in der Bundeshauptstadt. Warum in die leerstehenden Wohnungen keiner einziehen kann, ist kaum verständlich. Aber es gibt Gründe dafür.

Eins ist klar, es muss gebaut werden: Bis 2028 braucht Berlin den Neubau von rund 21.300 Wohnungen – und zwar pro Jahr. Das Pestel-Institut hat diese Wohnungsbau-Prognose für die kommenden vier Jahre in einer neuen Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt ermittelt. „Der Neubau ist notwendig, um das bestehende Defizit – immerhin fehlen in Berlin aktuell rund 42.700 Wohnungen – abzubauen: Aber auch, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen. Hier geht es insbesondere um Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt“, sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut.

Der Berliner KURIER fand heraus: Das Pestel-Institut ist über diverse Partner mit grünen Investoren verlinkt, denen es im Wesentlichen um die Errichtung von sogenannten Smart Cities geht, das sind Städte, die sich langfristig von Öl und anderen fossilen Energieträgern unabhängig machen. Investoren also, die neue Technologien in den Bereichen Infrastruktur, Gebäude und Mobilität „intelligent“ vernetzen, um Ressourcen wie Energie und Wasser effizient zu nutzen. Investoren, die zukunftsfähige Mobilitätsformen und deren Voraussetzungen vorausahnen und möglichst schnell verwirklichen. Unabhängig sind die Gutachten des Pestel-Instituts sicher nur bedingt, aber im Kern wird hier natürlich schon das heiße Eisen unserer Zeit angefasst.

40.680 Wohnungen stehen leer

Matthias Günther vom Pestel-Institut erwartet, dass das Baupensum zurückgeht: Günther spricht von einem „lahmenden Wohnungsneubau, dem mehr und mehr die Luft ausgeht“. So gab es in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nach Angaben des Pestel-Instituts in ganz Berlin nur für 4656 neue Wohnungen eine Baugenehmigung. Zum Vergleich: In 2023 waren es im gleichen Zeitraum 7263 Baugenehmigungen. „Damit ist die Bereitschaft, in Berlin neuen Wohnraum zu schaffen, innerhalb von nur einem Jahr um 36 Prozent zurückgegangen“, sagt Günther.

In Berlin-Karlshorst stehen die ehemaligen Russenhäuser seit der Wende leer.
In Berlin-Karlshorst stehen die ehemaligen Russenhäuser seit der Wende leer.Jürgen Ritter/imago

Besonders schlimm: Auch die Zahl der leerstehenden Wohnungen ändert nichts an der Tatsache, dass wir mit 100 Sachen auf die Wohnungskatastrophe zurasen: So registriere der aktuelle Zensus für Berlin immerhin rund 40.680 Wohnungen, die nicht genutzt werden, heißt es bei Pestel. Das sind 2 Prozent vom gesamten Wohnungsbestand in der Stadt. Ein Großteil davon – rund 11.760 Wohnungen – steht allerdings schon seit einem Jahr oder länger leer. Matthias Günther: „Das sind immerhin rund 29 Prozent vom Leerstand. Dabei geht es allerdings oft um Wohnungen, die auch keiner mehr bewohnen kann. Sie müssten vorher komplett – also aufwendig und damit teuer – saniert werden.“

Grundsätzlich sei ein gewisser Wohnungsleerstand aber immer auch notwendig, so Günther. „Rund 3 Prozent aller Wohnungen, in die sofort jemand einziehen kann, sollten frei sein. Schon allein, um einen Puffer zu haben, damit Umzüge reibungslos laufen können. Und natürlich, um Sanierungen überhaupt machen zu können. Aber es wird nur selten gelingen, Wohnungen, die lange leer stehen, wieder zu aktivieren und an den Markt zu bringen.“

Ein gewisser Wohnungsleerstand immer notwendig

Die Gründe dafür sind offensichtlich: Viele Hauseigentümer halten sich nach Beobachtungen des Pestel-Instituts mit einer Sanierung zurück, weil sie auch ein erhebliches Risiko darstellt: „In ihren Augen ist eine Sanierung oft auch ein Wagnis. Sie sind verunsichert. Sie wissen nicht, welche Vorschriften – zum Beispiel bei Klimaschutz-Auflagen – wann kommen. Es fehlt einfach die politische Verlässlichkeit. Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben“, kritisiert der Leiter des Pestel-Instituts. Außerdem hapere es bei vielen auch am nötigen Geld für eine Sanierung.

Und es gibt weitere Gründe, warum leerstehende Wohnungen nicht vermietet werden: „Immer wieder kommt bei Erbstreitigkeiten kein Mietvertrag zustande. Und oft scheuen sich Hauseigentümer auch, sich einen Mieter ins eigene Haus zu holen, mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen“, sagt Matthias Günther. Für ihn steht deshalb fest: „Am Neubau von Wohnungen führt daher auch in Berlin kein Weg vorbei.“

Auch ehemalige Offiziershäuser der US-Armee in Berlin-Grunewald standen leer. 
Auch ehemalige Offiziershäuser der US-Armee in Berlin-Grunewald standen leer. Schöning/imago

Das Pestel-Institut hat die Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt übrigens im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) durchgeführt. Katharina Metzger ist die Präsidentin des Lobbyvereins. Für sie macht die Untersuchung naturgemäß eins deutlich: „Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leerstehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht. Politiker, die das gerade versuchen, betreiben Augenwischerei.“ Sie erteilt damit der Aufforderung von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) eine klare Absage. Die Politikerin hatte Menschen, die vergeblich und oft verzweifelt eine Wohnung suchen, geraten, aufs Land zu ziehen.

Leerstand verstößt gegen Zweckentfremdungsverbot

Um voranzukommen, fordert Metzger, die Baustandards zu senken: „Einfacher bauen – und damit günstiger bauen. Das geht, ohne dass der Wohnkomfort darunter leidet. Andernfalls baut bald keiner mehr.“ Aktuell erlebe die Wohnungsbau-Branche „einen regelrechten Absturz“. Viele Unternehmen hätten bereits Kapazitäten abbauen müssen. „Die Neubau-Zahlen gehen in den Keller. Mauerstein-Hersteller zum Beispiel schließen Werke. Die Entlassungswelle rollt: Der Bau verliert Beschäftigte – darunter gute Fachkräfte. Dabei ist das das Letzte, was sich Deutschland jetzt erlauben darf“, so Katharina Metzger.

Die Verbandspräsidentin warnt gemeinsam mit dem Pestel-Institut vor einer „Absturz-Spirale beim Wohnungsneubau“. Die Situation sei fatal: „Wohnungsnot trifft auf Nicht-Wohnungsbau. Diese toxische Entwicklung muss dringend gestoppt werden.“ Sie sei Gift für das soziale Miteinander in der Gesellschaft.

Übrigens, der Berliner Mieterverein hat zu dem Thema eine klare Meinung: „Das Schneckentempo, mit dem gegen Leerstand – wenn überhaupt – vorgegangen wird, ist für ,Normalbürger:innen‘ kaum verständlich. Dabei stehen den Ämtern diverse Instrumente zur Verfügung, um gegen Wohnungsleerstand vorzugehen.“ Doch in der Praxis hapere es. Das fange damit an, dass die Ämter auf die Meldungen aufmerksamer Bürgerinnen und Bürger angewiesen seien – „eine eigene Recherche erfolgt in der Regel nicht – und zwar aus Personalmangel. Schieben ertappte Eigentümerinnen und Eigentümer dann einen Genehmigungsantrag nach, hat der vorherige Leerstand keinerlei Konsequenzen – obwohl es sich um einen Verstoß gegen das Zweckentfremdungsverbotgesetz handelte“. ■