Was sagt man nicht alles über Fußball. Männersport sei das. Gras fressen müsse man, nur so könne man erfolgreich sein. Nirgendwo sonst gibt es das Wort vom Kampfschwein. Über die Grenzen sollte man gehen können, das sowieso. Durchzuziehen gilt es. Im Duell mit dem Gegenspieler und gegen sich selbst sowieso. Härte ist von Vorteil. Oder ganz viel Verstand und noch mehr Disziplin. Nichts für Weicheier also.
So gut wie nichts zu sehen von Schwäche, auf die der Gegner lauern und ausnutzen könnte. Nicht einmal ahnen solle man die. Fast wie im wilden Westen, als zumeist der verloren hat, der zuerst zuckte. Kerle braucht es dazu, und zwar ganze. Die biete, so die allgemeine Meinung, zuhauf. Von Tränen ist weit und breit keine Rede. Männer weinen nicht, so die althergebrachte Meinung. Schon klar.
Von Ronaldo bis Schweinsteiger: Abschied ist, wenn gestandene Männer weinen
Und wenn doch? So wie bei Cristiano Ronaldo? Nicht wenn CR 7 wie bei der jüngsten Europameisterschaft, die wahrscheinlich seine letzte war, einen Elfmeter vergibt. Das war eher Frust über die eigene Fehlbarkeit. Eher wie im EM-Finale 2016, als er ganz früh verletzt ausscheiden musste und er den Titelgewinn, der dann auch ohne ihn kam, in weiter Ferne sah. Oder wie bei Bastian Schweinsteiger, als der 2014er-Weltmeister nach seinem 121. Länderspiel verabschiedet wurde und ihm, bevor er sich über das herzliche Adieu freuen konnte, die Tränen übers Gesicht rannen. Ebenso bei Christoph Kramer, auch er ein Champion damals in Rio de Janeiro, der nach zehn Jahren in Mönchengladbach per Videobotschaft sein um ein Jahr vorgezogenes Ende bei Borussia verkündete und dabei vom Schluchzen ins Lachen und vom Lachen ins Schluchzen kam.
Alles Heulsusen? Ein fünfmaliger Weltfußballer wie der Portugiese? Zwei Weltmeister wie die beiden Deutschen? Von wegen!

Auch der neue Trainer des 1. FC Union hat nah am Wasser gebaut
Auch Bo Svensson, den neuen Trainer des 1. FC Union, hätte es vor einigen Monaten fast übermannt. Als der Däne seinen Rücktritt beim damaligen Tabellenletzten Mainz verkündete, der gerade auch noch im Pokal ausgeschieden war, hatte auch er nah am Wasser gebaut. „Dankbar“ sei er über 16 Jahre, die er in Mainz verbracht habe und wo seine drei Kinder aufgewachsen sind. „Es hat mich so geprägt“, sagte er zum Abschied von den Nullfünfern, „es wird mich mein ganzes Leben prägen.“
Nun kommt das, was manchmal schon inflationär als eine Geschichte verkauft wird, die nur der Fußball zu schreiben in der Lage ist. Wahrscheinlich ist das etwas dick aufgetragen. Vielleicht aber auch nicht. Ein Wink ist es durchaus, was die Spielansetzer dem Dänen gleich im ersten Punktspiel bei seinem Engagement in Köpenick an Emotionen abverlangen. Es ist ein Rucksack voller Gefühle. Mainz. Der selbsternannte Karnevalsverein. Für Svensson so etwas wie eine zweite Heimat.

Erstes Bundesligaspiel mit dem 1. FC Union ausgerechnet in Mainz
Svensson als Coach des Gegners in Mainz ist so, als würde Urs Fischer, der Schweizer Trainer-Fußballgott der Eisernen, mit einem anderen Verein im Stadion An der Alten Försterei aufkreuzen. Als wenn der Ex mit seiner Neuen zu Weihnachten zu Besuch käme. Ein Stilbruch, eigentlich. Wohin dann mit den Gefühlen, den Erinnerungen, den Gedanken? Sie wollen alle Profis sein da auf dem Rasen und drumherum. Nach Möglichkeit sollen sie die Emotionen in den entscheidenden neunzig Minuten einfrieren und sich auf die neue Aufgabe, wie es auf neudeutsch heißt, fokussieren. Dabei sind auch sie Menschen mit einer Vergangenheit, von der sie geprägt sind, die ihr damaliges Leben war, die sie mit Verstand und vor allem mit Herz versehen haben. Wer bleibt da schon kalt wie Hundeschnauze?
Das wird, so viel ist klar, nicht einfach für Svensson. In die falsche Kabine wird er schon nicht gehen. Davor werden die Ordner ihn bewahren. Eine Gratwanderung der Gefühle aber wird es allemal. Für manchen mag es sein, als müsste er seinem einstigen Lieblingskind eine Ohrfeige geben. In solchen Situationen braucht es tatsächlich Mumm, braucht es den ganzen Kerl, um seine Emotionen zu kanalisieren. Da sind die 96 Bundesliga- und acht Pokalspiele, die die Mainzer von ihrem einstigen Spieler später gecoacht worden sind, eher hinderlich. Wie heißt es aber auch: So ist das Geschäft.
Vielleicht hilft nur eines: der berühmte Tunnel. Aus dem kommt man manchmal heraus ohne zu wissen, was gerade passiert ist. Wenn da nur nicht die Gefühle wären. ■