Eine Verletzung am Mittelfuß ist ganz fies. Vor allem dann, wenn ein Knochen gebrochen ist. Man sieht kaum etwas, an ein Auftreten ist trotzdem nicht zu denken. Erst recht nicht an eine Belastung. Solch eine Verletzung setzt einem Fußballer deutlich mehr zu als ein Riss des Meniskus. Für viele mag es einer Lappalie ähneln, aber ist der Mittelfuß erst einmal lädiert, dauert es viele Wochen und sogar Monate bis zur Rückkehr auf den Rasen.
Oder, wie es Andras Schäfer passiert ist, ein Jahr. Eine Saison – einfach mal im Eimer. Von November 2022 bis November 2023 war der Mittelfeldmann des 1. FC Union nur in fünf Spielen dabei. Zweimal hat er ein Comeback versucht. Das erste Mal für zwei, beim zweiten Mal für drei Partien. Ganze 156 Minuten sind dabei zusammengekommen. Aber 33 Spiele haben die Eisernen da allein in der Bundesliga bestritten, dazu je vier in der Europa League und im DFB-Pokal. Und als die Krönung bevorstand, die Teilnahme an der Champions League, war der Ungar noch immer nicht dabei. Aufgrund seiner langwierigen Verletzung war er für die Spiele in Europas Königsklasse nämlich gar nicht gemeldet worden. Sogar die Teilnahme an der EM stand in den Sternen.

Bei Gabor Kiraly machte sich Andras Schäfer wieder fit für den 1. FC Union und Ungarn
Zweimal ist er operiert worden, am Ende in seiner Heimat, in Budapest. Einer, der mit dem 1. FC Union eigentlich nichts zu tun hat, hat ihn dabei nach Kräften unterstützt, um wieder fit oder wenigstens gesund zu werden. Einer, der wie Schäfer aus Szombathely stammt und dort, wie der eiserne Mittelfeldspieler versichert, „eine Legende“ ist: Gabor Kiraly. Der Mann mit der grauen Schlabberhose, der im Berliner Westend den Grundstein für seine große Karriere legte, der 2016 im Alter von 40 Jahren und 86 Tagen beim Europa-Championat in Frankreich im Tor der Ungarn stand und der damit der bisher älteste bei einem EM-Turnier eingesetzte Spieler ist. In Kiralys dortigem Sportzentrum durfte Schäfer trainieren und sich wieder rantasten.
„Diese Verletzung“, erinnert Schäfer sich, „war meine schlimmste Zeit bisher.“ Mit Grausen nur kehren die Gedanken an jene Tortur zurück. „Immer nur Fahrrad zu fahren, immer wieder, das ist schon hart. Dazu jeden Tag zwei Stunden im Fitnessraum und keinen Ball in der Nähe zu haben, das musst du erst einmal gut hinter dich bringen“, sagt der 25-Jährige.
Ein Vergleich fällt im dazu ein. Einer aus seiner ganz jungen Zeit als Profi. In Italien wollte er sein Glück zwingen, beim CFC Genua. Zwanzig Jahre erst war er. Genau null (!) Spiele hat er für den Cricket und Football Club in der Hauptstadt Liguriens bestritten. Verliehen wurde er zu Hellas Verona. Auch dort die Anzahl an Spielen: null! „Diese Erfahrung“, sagt Schäfer, „war nicht so schlimm wie meine Verletzung. Aber sie war ganz wertvoll. Wenn ich das dort in Italien nicht erlebt hätte, wäre ich jetzt mental nicht so stark.“
In Italien erlebte der Mittelfeldmann des 1. FC Union eine ganz fiese Nullnummer
Erst der Wechsel in die Slowakei, nach Dunajska Streda, brachte ihn zurück in die Spur. Die Stadt, in der viele Ungarn leben und wo auch ungarisch gesprochen wird, tat Schäfer gut. „Weil ich Ungar bin, war ich dort gleich einer der Publikumslieblinge. Das hat mich nach der schweren Zeit in Italien wieder aufgebaut.“
Nach einem Spieljahr dort, dessen Ende mit der Europameisterschaft 2021 zusammenfiel, hatte Schäfer all das Schlechte hinter sich gelassen. Vom ungarischen Fußballverband wurde er zum Fußballer des Jahres gekürt. Das hatte auch mit der EM zu tun. Dabei hatte er vor der Nominierung durch Marco Rossi, den italienischen Trainer des Magyaren-Teams, ganze vier Länderspiele bestritten. Davon keines über die volle Spielzeit. „Im vorletzten Test vor der EM“, sagt Schäfer, „habe ich gegen Zypern ein Tor geschossen. Und auch der letzte Test gegen Irland war ganz okay von mir.“ Das Tor gegen Zypern war übrigens das goldene zum 1:0.

Schäfers Tor bei der EM gegen Deutschland weckte das Interesse auch beim 1. FC Union
Was Tage später bei der EM folgte, ein Tor gegen Manuel Neuer beim 2:2 gegen Deutschland inklusive und starke Spiele der Ungarn insgesamt, riefen viele Interessenten auf den Plan. So auch den 1. FC Union und dessen Manager Oliver Ruhnert. „Nicht lange nach dem Turnier haben wir uns getroffen“, erzählt Schäfer, „aber am Ende war die Zeit, die für einen Wechsel nötig war, zu kurz. Wir sind aber so auseinandergegangen, dass wir es im Winter erneut versuchen.“ Im Januar 2022 hat es dann geklappt.
Zwei Jahre später, die Eisernen waren in die größte Krise ihrer Bundesliga-Zugehörigkeit geschlittert und hatten ihren Trainer gewechselt, galt Schäfer nach endlich überstandener Verletzung als wichtigster Neuzugang, vielleicht noch etwas wichtiger als Kevin Vogt. Auch weil er vielseitig einsetzbar ist. „Vor allem in meiner Jugend ging es in meinen Mannschaften manchmal etwas durcheinander, da habe ich auf den Seiten gespielt und im Zentrum, auch in der Innenverteidigung. Aber am liebsten eben auf der Sechs oder der Acht.“ Dabei war er als ganz junger Kerl sogar mehr Basketball- als Fußball-Fan. Trotzdem: Gelernt ist gelernt.
Der eigentliche Beginn in Köpenick war schon einer mit ganz viel Gänsehaut. Als er erstmals eingewechselt wurde, es stand gegen Borussia Dortmund 0:3 und das Spiel war längst verloren, bekam er die einmalige Atmosphäre im Stadion An der Alten Försterei zu spüren. „Ich wusste natürlich, was mich beim Wechsel zu Union erwartet, dass dort in den Jahren zuvor wirklich etwas Großes passiert ist. Dann aber habe ich mich in der Nähe der Fans warmgemacht. Immer, wenn ich noch näher an sie herankam, feuerten sie mich mit einem Olé an. Auch nach dem Spiel, das wir natürlich verloren hatten, wurde die Mannschaft gefeiert. So etwas hatte ich noch nicht erlebt.“

Mit einem Lächeln spielte sich Schäfer durch die schwere Zeit beim 1. FC Union
Was erst die Rückkehr nach seiner Leidenszeit. Längst hatte sich der leichtfüßige Dribbler einen Platz im Team erobert, war konzentriert und voller Adrenalin dabei. Dann aber kam er, selbst in der schwierigen Phase des unerbittlichen Kampfes gegen den Abstieg, immer mit einem Lächeln auf den Platz. Immer mit guter und bester Laune. „Es ist, weil ich wieder spielen kann nach der wirklich harten Zeit. Ich genieße jeden Moment noch viel mehr als früher.“ Auch deshalb hat er in der für den Verein schwierigen Zeit seinen Vertrag verlängert und damit ein enorm wichtiges Zeichen gesetzt.




