Union-Kolumne

Kapitänsregelung des DFB wird beim 1. FC Union zur Kindererziehung!

Wenn der 1. FC Union am Wochenende im DFB-Pokal sein erstes Pflichtspiel der neuen Saison bestreitet, tritt für ihn die „neue“ Kapitänsregelung in Kraft. Dabei gibt es die schon Jahrzehnte.

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In der neuen Saison darf nur noch der Kapitän mit dem Schiedsrichter reden. Auf Christopher Trimmel vom 1. FC Union kommt damit viel Arbeit zu.
In der neuen Saison darf nur noch der Kapitän mit dem Schiedsrichter reden. Auf Christopher Trimmel vom 1. FC Union kommt damit viel Arbeit zu.Langer/imago

Wer kennt es nicht, dass ein Übersteiger einem Übersteiger und dem noch ein Arschwackler folgt, am Ende aber ist nicht der Gegenspieler umkurvt, sondern der Ball weg ist. Dabei hätte es eine einfache Finte auch gemacht. So mein Eindruck bei dem, womit sich die Spieler der 2. Bundesliga und der 3. Liga seit zwei Runden schon gegenübersehen und dem die der Bundesliga am Wochenende mit ihrem Einstieg mit den Pokalspielen in die Saison folgen. Das Stichwort heißt: Kapitänsregelung.

1. FC Union: Nur Christopfer Trimmel darf mit dem Schiedsrichter diskutieren

Die Absicht ist klar. Die hässliche Rudelbildung, bei der Spieler bei strittigen Entscheidungen beiderseits in gefühlter Mannschaftsstärke den Schiedsrichter einkesseln und ihn teils unflätig belöffeln, soll ausgeschlossen werden. Diskutieren, wenn überhaupt, darf nur noch der jeweilige Spielführer. Aber auch nur, wenn er ein Feldspieler ist. Sollte beim 1. FC Union gerade mal nicht der jüngst im Amt bestätigte Christopher Trimmel oder sein Stellvertreter Rani Khedira die Kapitänsbinde tragen, sondern Frederik Rönnow, was hin und wieder bereits vorgekommen ist, muss ein anderer Spieler dessen Rolle übernehmen.

Erstens: Warum eigentlich? Ist Kapitän nicht gleich Kapitän? Zweitens und viel kurioser: Das, was mit der Europameisterschaft als Innovation beschlossen und als durchschlagender Erfolg gefeiert worden ist, ist ein ziemlich alter Hut.

Bereits in der 60er Jahren durfte nur der Kapitän sprechen

Als ich im Sommer 1960 als damals knapp Zehnjähriger bei Fortschritt Zwickau mit dem Fußball begann, wurde mir vor meinem ersten Spiel von meinem damaligen Übungsleiter ans Herz gelegt, nicht mit dem Schiedsrichter zu diskutieren. Das dürfe allein der Kapitän. Dazu kam der Zusatz, meine Luft nicht in unnötigen Wortgefechten zu vergeuden, sondern sie lieber für den nächsten Angriff aufzusparen. Leute, das war vor 64 Jahren, als das runde Leder tatsächlich noch aus Leder war und der Schiedsrichter schwarze Kleidung trug. Und zwar immer.

Rudelbildungen wegen einer strittigen Szene wie hier beim Spiel des 1. FC Union beim 1. FC Köln will der DFB mit der neuen Kapitänsregelung unterbinden.
Rudelbildungen wegen einer strittigen Szene wie hier beim Spiel des 1. FC Union beim 1. FC Köln will der DFB mit der neuen Kapitänsregelung unterbinden.Beautiful Sports/imago

Damals nur war es gar nicht so einfach, den Kapitän auszumachen. Die Trikots wurden von Jahrgang zu Jahrgang weitergereicht, waren ausgeblichen und teils eingelaufen. An Rückennummern war nicht zu denken und an Kapitänsbinden erst recht nicht. Manchmal brachte jemand vom Vater oder vom Opa einen Ärmelhalter mit, um sich das damals viel häufiger benutzte Accessoire des modebewussten Mannes um den linken Oberarm zu schnallen. Ganz findige Kerle ließen sich von Mutter oder Oma auf den Ärmel des grünen Fortschritt-Trikot einen weißen Streifen nähen, um zu zeigen: Ich bin der Kapitän. Dumm nur, wenn er eine Woche später krank oder verletzt war, ein anderer in sein Trikot schlüpfen sollte, weil ein anderes ihm nicht passte (es passierte gar nicht selten, dass ein Großer sein Trikot nicht über den Hals bekam, ein Kleiner seins dafür als Kleid tragen konnte), er sonst aber der vierte Einwechselspieler war. Deswegen machte es in den meisten Fällen ein ordinäres Heftpflaster.

Kapitänsregelung: DFB spricht von „Kindererziehung“

Deshalb verstehe ich die Lobhudelei um eine ganz normale Sache, um eine für meine Generation olle Kamelle, ganz und gar nicht. Wer in einen Debattierklub gehen möchte, sollte sich den Platz dafür, in welcher Liga auch immer, nicht auf dem Spielfeld suchen. Das galt schon immer. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Deshalb sollten sich vielmehr die Funktionäre die Frage gefallen lassen: Warum haben sie das derart ausufern lassen?

Plötzlich sind sie mit weisen Sprüchen zur Stelle. Knut Kircher, seit Beginn der Saison Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB Schiri GmbH (gibt es übrigens seit zweieinhalb Jahren und unterstreicht, dass es eigentlich um Geschäft geht), sagte bei der Erklärung der Kapitänsregelung in einer großen Journalistenrunde: „Das ist wie Kindererziehung. Du brauchst klare Orientierung, indem du klare Leitplanken aufstellst.“ Auch sprach er davon, dass die Zeit der „unangemeldeten Betriebsversammlungen“ auf dem Rasen damit beendet sei.

Andere Sportarten machen es besser als der Fußball

Selbst wenn es damals für uns Steppkes nirgendwo Rasen gab, sondern Schotter, eines hatten wir garantiert nicht: unangemeldete Betriebsversammlungen. Das andere, die Kapitänsregelung, aber doch. Wir sind damit groß geworden und hatten damit nicht das geringste Problem. Dass die Sache derart ausgeufert ist, ist nicht allein Schuld der Spieler. In anderen Mannschaftssportarten, Handball, Hockey, Basketball, ist die Sache schon lange geregelt. Und zwar deutlich besser.

Wer hat da was versaubeutelt? Genau diejenigen, die sich jetzt für eine Innovation feiern lassen, die es früher, ohne dass damals alles besser war, schon gegeben hat. ■