Am ersten Weihnachtstag wird am Stromkabel Estlink 2 zwischen Finnland und Estland ein Schaden festgestellt. Die finnischen Behörden vermuten, dass der Anker eines vom russischen St. Petersburg aus gestarteten Öltankers das Kabel aufgerissen hat, das am Boden der Ostsee verläuft. Finnland stoppt den verdächtigen Tanker „Eagle S“ und eskortiert ihn in finnische Gewässer. Die „Eagle S“ ist vermutlich nur eines der Schiffe, die zur sogenannten russischen Schattenflotte gehört. Mit der Flotte umgeht Russland das vor zwei Jahren im Zuge des Ukraine-Krieges verhängte Öl-Embargo. Welche Macht hat diese Schattenflotte von Präsident Wladimir Putin eigentlich? Und wie gefährlich sind die oft maroden Tanker für uns alle?
Seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat der Westen zahlreiche Sanktionen gegen Russland verhängt. Doch Putins Schattenflotte ist mit ein Grund dafür, dass die Wirtschaft im Land trotz dieser mehr als 13.500 Strafmaßnahmen wächst. Moskau nutzt alte Tanker, die unter fremder Flagge auf den Weltmeeren unterwegs sind, um das EU-Embargo für russische Ölimporte auf dem Seeweg zu umgehen. Die Schiffe sind oft marode, die Eigentumsverhältnisse sind ungeklärt und oft haben sie keine ausreichende Versicherung gegen Folgen einer Umweltkatastrophe. Dabei hätte eine Ölpest verheerende Konsequenzen für die Ostsee und die deutsche Küste.
Schiffe kappen lebenswichtige Kommunikationsadern
Die russische Schattenflotte sei „eine große Gefahr für unsere Umwelt und für unsere Sicherheit“, warnte auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) jetzt. Daher seien mehr als 50 Schiffe bis Mitte Dezember mit europäischen Sanktionen belegt worden. Außerdem könnten Sabotageakte im Auftrag Moskaus die westliche Welt empfindlich treffen: „Fast im Monatsrhythmus beschädigen Schiffe derzeit wichtige Unterseekabel in der Ostsee“, sagte Baerbock den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Es fällt mehr als schwer, da noch an Zufälle zu glauben. Das ist ein dringender Weckruf für uns alle.“ Unterseekabel seien „die Kommunikationsadern, die unsere Welt zusammenhalten“.
Wie groß Russlands Schattenflotte ist, ist nur schwer abzuschätzen. Die Rating-Agentur S&P Global geht laut einem Bericht von 591 Tankern aus, die mit Verschleierungstaktiken, etwa unter häufig wechselnder Flagge, russisches Öl exportieren. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schätzt, dass Russland seit Beginn der Invasion allein aus Ölexporten mit seiner Schattenflotte mehr Geld verdient hat, als die Ukraine an internationalen Hilfen erhalten habe!
Marode Öltanker sind Gefahr für die Ostsee
Und die Schattenflotte wächst: Laut der Umweltschutzorganisation Greenpeace sind die Fahrten der aus Russland auslaufenden Öltanker in der Ostsee seit Januar 2021 um 70 Prozent gestiegen. Rund 1000 Mal fuhren im vergangenen Jahr mit Öl beladene Tanker an der deutschen Küste vorbei. Im Durchschnitt zwei bis drei Schiffe pro Tag. Meist sind es schrottreife Kolosse, deren Altersdurchschnitt stark ansteigt. Lag das Durchschnittsalter der Tanker 2021 noch bei 8,9 Jahren, stieg es auf 16,6 Jahre im Jahr 2024, so Greenpeace.

Die Schiffe sind schlecht gewartet, mit schlecht ausgebildeter Crew. Und mit der wachsenden Flotte steigt auch das Risiko für die Umwelt an der deutschen Küste. „Es ist keine Frage, ob eine solche Ölpest passiert, sondern wann“, befürchtet Meeresbiologe Thilo Maack von Greenpeace. Eine Ölpest durch die alten Ölfrachter hätte „historische Ausmaße“, warnt Greenpeace. Weitreichende Gebiete wären betroffen, darunter zahlreiche Natur- und Vogelschutzgebiete an beliebten deutschen Ostseestränden. Die Aufräumarbeiten würden Jahrzehnte dauern. Und die Kosten müsste Deutschland selbst tragen –wegen der meist unzureichenden Versicherung der Schiffe.■