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ARD-Film zu Ukraine: „Für mich begann der Krieg auf dem Maidan“

Ein Dokumentarfilm spricht mit Menschen aus unterschiedlichen Regionen der Ukraine - auch darüber, wie sich ihre Sicht auf die Welt durch Russlands Krieg gegen die Ukraine verändert hat.

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Protestierende auf dem Maidan in Kiew.
Protestierende auf dem Maidan in Kiew.Viktor Drachev/Maksym Marusenko/AFP

Zehn Jahre dauert der Krieg in der Ukraine schon und nicht, wie manche in Deutschland vermuten, erst zwei. Was seitdem passiert ist und wie es in der Ukraine heute aussieht, damit beschäftigt sich ein Film der ARD-Korrespondenten Vassili Golod und Birgit Virnich. In der Dokumentation „10 Jahre Krieg - Wie die Ukraine für ihre Freiheit kämpft“ kommen viele Ukrainer zu Wort und schauen auf zehn Jahre russische Aggression gegen die Ukraine zurück.

„Für mich hat der Krieg auf dem Maidan begonnen“, sagt Julia Maruschewska, die damals als 24-Jährige zu den Protestierenden bei der Revolution der Würde gehörte. „Und zwar an dem Punkt, an dem wir unsere ersten Toten beerdigt haben und die Russische Föderation die Krim überfallen hat.“ Von da an habe es kein Zurück mehr gegeben.

Nobelpreisträgerin Matwijtschuk: Reaktion auf Krim-Annexion hätte großen Krieg verhindert

Russische Soldaten besetzten Ende Februar 2014 die ukrainische Halbinsel. In unmarkierten Uniformen übernehmen die sogenannten „kleinen grünen Männchen“ die Kontrolle über immer mehr Territorium. Kurz darauf lassen die russischen Besatzungsbehörden ein Scheinreferendum durchführen. Das angebliche Ergebnis soll die Zustimmung zu einem Beitritt zu Russland suggerieren. Die russische Propaganda fährt Überstunden und nicht wenige in Europa und dem Rest der Welt glauben das Märchen von der russischen Krim. Dabei bricht das Putin-Regime hier ganz offen das Völkerrecht.

In dem Film der ARD-Korrespondenten prangert auch die ukrainische Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk die ausbleibende Reaktion des Westens an. „Wenn die internationale Gemeinschaft konsequent auf die Besetzung der Regionen Krim, Luhansk und Donezk reagiert hätte, würde es diesen großen Krieg einfach nicht geben“, sagt die Menschenrechtsaktivistin im Film und spannt damit auch den Bogen zu den Ereignissen der letzten beiden Jahre.

Mychajlo Puryschew fährt als Freiwilliger Unterstützung zu Menschen an der Front.
Mychajlo Puryschew fährt als Freiwilliger Unterstützung zu Menschen an der Front.ARD

Sicht auf dem Euromaidan hat sich geändert

Doch zu Wort kommen auch Ukrainer aus den Regionen der Ukraine, die in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder als prorussisch betitelt wurden. Mychajlo Puryschew besaß einen Nachtclub in Mariupol. Die Proteste auf dem Maidan interessierten ihn damals noch nicht. „Für mich war 2014 nur ein Maidan. Irgendwas ist passiert. Aber ich habe nicht verstanden, was passiert ist. Der Krieg war direkt neben uns, neben Mariupol. Aber jetzt weiß ich, dass sie alles getan haben, um zu verhindern, dass wir diesen Krieg spüren“, sagt der Besitzer eines Nachtclubs in Mariupol über die Ereignisse von damals. Denn aus dem hybriden Krieg der Russen ist seit 2022 ein massiver Angriffskrieg geworden. Puryschew musste fliehen, versorgt nun Menschen an der Front mit dem Nötigsten.

Und auch Nobelpreisträgerin Matwijtschuk hat angesichts der Kriegsverbrechen der russischen Truppen alle Hände voll zu tun. „Ich habe mit Hunderten Menschen gesprochen, die mir erzählt haben, wie sie geschlagen, vergewaltigt, in Holzkisten zertrümmert und ihre Finger abgeschnitten und Nägel durchbohrt wurden. Wie sie mit Strom gequält wurden. Wie sie Psalme mit ihrem eigenen Blut schreiben mussten“, berichtet die Menschenrechtsaktivistin. Sie und ihr Team sammeln Beweise, um eine Strafverfolgung zu ermöglichen. „Wir wollen Gerechtigkeit“, sagt sie. Denn für die Ukrainer sei es wichtig, dass die Russen für ihre Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen würden.

Julia Maruschewska stand im Winter 2013/2014 auf dem Maidan. Heute setzt sie Antikorruptionsreformen im Verteidigungsministerium durch.
Julia Maruschewska stand im Winter 2013/2014 auf dem Maidan. Heute setzt sie Antikorruptionsreformen im Verteidigungsministerium durch.ARD

Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung

Doch was der Film auch sehr gut verdeutlicht und was in einer von der russischen Propaganda noch immer stark beeinflussten deutschen Öffentlichkeit oft untergeht: In der Ukraine gibt es durchaus Fortschritte in vielen Bereichen. So sind viele der früheren Maidan-Aktivisten mittlerweile selbst in Ämtern und Ministerien tätig. Maidan-Aktivisitin Julia Maruschewska kümmert sich mittlerweile um Korruptionsbekämpfung im Verteidigungsministerium. Denn die Ukraine ist nach wie vor nicht perfekt. Aber es habe sich viel geändert. „Jetzt gibt es politische Unterstützung von höchster Ebene - vom Präsidenten, vom Minister, vom Parlament, von der Regierung“, sagt sie.

„Ich sehe, dass wir jetzt, in zehn Monaten, eine sehr schwierige Reform auf den Weg gebracht haben.“ Dabei habe, so schlimm das auch sei, auch der Krieg geholfen. „Das liegt daran, dass wir nichts zu verlieren haben. Wir müssen so stark wie möglich sein. Die Reformen sind ein Teil unseres Sieges. Das ist der Weg zu unserem Sieg.“

Auch die Zwischentöne spricht der Film an. Dass es durchaus Kritik an der Mobilisierung gibt. Denn viele der Männer kämpfen seit Beginn des Krieges. Bisher gibt es für sie noch immer keine Perspektive, wann sie heimkehren werden. Und auch das Gespräch mit einem Arzt in einem Frontkrankenhaus stimmt nachdenklich, erinnert es doch an die vielen Opfer, die das Land bringen muss, um in der europäischen Familie bleiben zu können. 

Eine Kurzfassung des Films „10 Jahre Krieg - Wie die Ukraine für ihre Freiheit kämpft“ läuft am Dienstag, 20. Februar 2024 um 22.50 Uhr nach den Tagesthemen in der ARD. Die Langfassung wird am Mittwoch, 21. Februar 2024 um 22.15 Uhr im Fernsehen des Westdeutschen Rundfunks (WDR) ausgestrahlt. Alternativ ist die Langfassung des Films über die ARD-Mediathek abrufbar.