Kurier-Interview

Ich ärgere mich über die täglichen Herabwürdigungen des Westens

Daniel Morgenroth, Intendant des Theaters in Görlitz, über seine Stadt, die AfD, Nazi-Quatsch und warum er für manche Veranstaltung keinen Eintritt nimmt.

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Daniel Morgenroth, der Intendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau.
Daniel Morgenroth, der Intendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau.Benjamin Pritzkuleit/Berliner Kurier

Görlitz ist ein Paradebeispiel in der Debatte um den Osten und seine Wahlergebnisse: Die Stadt hat sich nach dem Ende der DDR als Schmuckstück vor den Toren des Riesengebirges herausgemacht, mehr als 4000 Baudenkmäler wurden restauriert, alles mit staatlichen Förderungen, Pensionäre wurden mit ausgedehnten Parkanlagen und Steuervergünstigungen angelockt. Und was ist der Dank? Über 36 Prozent stimmten 2024 in der Stadt Görlitz für die AfD, im Umland waren es teilweise über 40 Prozent.

Der Theaterintendant Daniel Morgenroth, gebürtig 1984 in Coburg, zuletzt in der Theaterleitung in Konstanz am Bodensee, ist seit der Spielzeit 2021/22 Generalintendant und Geschäftsführer des Viersparten-Theaters, das seit 2011 mit Zittau fusioniert ist und nach einem schweren Wasserschaden 2022 im Folgejahr kurz vor der Insolvenz stand. Auch jetzt ist die finanzielle Lage des Theaters angespannt, sodass Morgenroth schon die Namensrechte verkaufen wollte. Ja, was spricht eigentlich dagegen, das Gerhart-Hauptmann-Theater in Coca-Cola-Theater umzubenennen?

Herr Morgenroth, Sie stammen aus dem Westen, kamen in den tiefsten Osten. Was haben Sie sich dabei gedacht?

Ich bin gebürtiger Coburger, das ist Zonenrandgebiet. Ja, ich bin westsozialisiert, aber an jedem Ort, an den man kommt, egal, ob im Westen oder im Osten, muss man als Intendant eines Stadttheaters mit einer großen Sensibilität für die Region, für die Stadt und die Menschen herangehen. Da muss die Herkunft keine Rolle spielen. Gleichwohl ist unser Chefdramaturg Martin Stefke ein gebürtiger Ost-Berliner, und ich bin sehr froh, den zu haben, weil er immer auch mal Hinweise gibt zu Dingen, die mir nicht bewusst sind.

Was denn zum Beispiel?

Die Musiktheatertradition im Osten ist sehr reich, das war mir aber nicht bewusst. Da ist Martin einfach sehr viel bewanderter und hat einen kulturellen Zugang. Das können aber auch ganz banale Dinge sein. Wir haben hier einen Ostrock-Liederabend, der heißt „Straße der Besten“ und ist immer ausverkauft. Bei der Konzeptionsprobe habe ich vorgeschlagen, das Setting als Firmenfeier anzulegen. Und da sagte er sofort, dass das Betriebsfest heißen muss. Niemand hätte im Osten Firma gesagt.

Ja, weil „Firma“ ein Codewort für Staatssicherheit war. Ist für Sie als Westler mit einem Führungsposten im Osten der „Elitenaustausch“ Thema?

Ach, das ist das Oschmann-Argument ... Ich bin hierhergekommen mit dem Anspruch, gutes Stadttheater zu machen. Die Ostwestgeschichte war nicht mein erstes Interesse, aber ich versuche, da mit einer gewissen Sensibilität und Offenheit ranzugehen, und lerne dabei sehr viel, was ich nicht gelernt hätte, wenn ich im Westen geblieben wäre.

Haben Sie ein Beispiel?

Neulich war mein Schwiegervater zu Gast, und der sagte zu mir, das ist doch alles 30 Jahre her und kalter Kaffee. Aber seit ich hier lebe, also seit über vier Jahren, ärgere ich mich immer öfter über diese kleinen Herabwürdigungen, die ich vorher gar nicht wahrgenommen habe. Wenn sich zum Beispiel der unlustige Sportmoderator Oliver Welke in der Heute-Show über dumme AfD-Wähler lustig macht und die natürlich sächseln. Solche Klischees im Hauptprogramm, in einer mir unerklärlicherweise sehr erfolgreichen Sendung verletzen die Leute hier. So etwas fällt mir auf einmal auf, ich reflektiere darüber. Als Wessi. Das ist doch ein guter erster Schritt.

Daniel Morgenroth auf der Bühne seines Theaters. Am 21. November wird er den Verleger des Berliner Verlags, Holger Friedrich, interviewen.
Daniel Morgenroth auf der Bühne seines Theaters. Am 21. November wird er den Verleger des Berliner Verlags, Holger Friedrich, interviewen.Benjamin Pritzkuleit/Berliner Kurier

Sie haben ja auch gleich eine gute Idee aus dem Westen mitgebracht und die Namensrechte des Gerhart-Hauptmann-Theaters an Coca-Cola verkaufen wollen. War das kapitalismuskritisch gemeint?

Die Idee zu der Aktion ist uns im Rahmen unserer Spielzeit gekommen, die „Kapital“ heißt. Wir denken über Geld nach, über Werte, über Verkäuflichkeit – und beleuchten das künstlerisch auf der Bühne, diskutieren das in der Reihe „Über Geld reden“ mit Ökonomen und Finanzwissenschaftlern. Die Idee, unsere Namensrechte zu versteigern, wie es im Sport üblich ist, hat zumindest eine Debatte angeregt. Interessant, dass der Kunst noch ein Status zugesprochen wird, der dieser ökonomischen Sphäre entrückt ist. Schön, dass es diesen Reflex noch gibt.

Wenn sich jetzt Sponsoren melden, schicken Sie sie weg oder verhandeln Sie mit ihnen?

Das ist die andere Seite dieser Aktion. Wir werden angehalten, Drittmittel und Sponsoren für Events einzuwerben. Die ökonomische Logik ist in der Kunst längst durchgesickert. Der Theatername ist eigentlich nur ein Feigenblatt, das noch nicht gefallen ist.

Sie haben ja auch wirklich Geldprobleme, oder?

Unser größtes Problem hier ist nicht die AfD, sondern Geld. Sachsen, dieses große Land, hat in den Neunzigern dieses tolle Kulturraumgesetz aufgelegt und dafür gesorgt, dass ein kulturelles Angebot auch in der Fläche erhalten geblieben ist. Aber alle kommunal getragenen Theater und Orchester, wir in Görlitz-Zittau, Freiberg-Döbeln, Plauen-Zwickau, die Bläserphilharmonie Bad Lausick, die 2024 einen Echo Klassik bekommen hat, Bautzen, Chemnitz ... diese Theater und Orchester stehen alle vor der Insolvenz ab 2025. Mich haben Kollegen angerufen, die nicht wissen, wie sie über November hinaus Gagen zahlen sollen.

Blick in den wunderschönen Theatersaal.
Blick in den wunderschönen Theatersaal.Benjamin Pritzkuleit/Berliner Kurier

Warum ist die Kultur auf einmal so unterfinanziert?

Weil das Kulturraumgesetz keine Mitteldynamisierung vorsieht, das müssen wir von der neuen Regierung jetzt fordern, denn de facto schmilzt das Budget immer weiter, nicht nur, weil die Kosten, sondern vor allem, weil die gesetzlichen Tarife steigen. Und dann bleibt nur noch Kultur in Leipzig und Dresden übrig.

Sie fordern mehr Geld, während überall gespart werden muss.

Ja, das fordere ich, weil es völlig irre wäre, hier zu sparen. Wir machen alle fünf Minuten eine Demo für Demokratie und schmeißen mit Demokratieprojekten um uns, aber letztlich leisten wir hier auf der kommunalen Ebene, in den Stadttheatern, Volkshochschulen, Bibliotheken und Musikschulen die demokratische Basisarbeit. Wer da sparen will, zerstört das demokratische Gemeinwesen. Ich werde da richtig sauer.

Wenn doch aber kein Geld da ist?

Das Argument lasse ich nicht gelten. Es ist Geld für alles Mögliche da. Es ist eine Entscheidung, wofür man es ausgibt. Die Frage lautet: Wollen wir Kultur? Halten wir die für fundamental und wichtig? Und wenn man sich darüber klar ist, muss man sie eben finanzieren.

Sie sagten, dass die AfD nicht Ihr Problem sei. Sie ist in Görlitz stärker als im Landesdurchschnitt, im Stadtrat ist sie die stärkste Fraktion. Was ist da los?

Ja, die ist stark, stimmt, der Bundesvorsitzende Timo Chrupalla kommt aus dem Görlitzer Landkreis, aus Weißwasser. An dem Thema AfD kommt man wohl nicht vorbei, wenn man über Görlitz und überhaupt den Osten spricht. Es gibt für diese Partei ein Übermaß an Aufmerksamkeit, das sich verselbständigt und zu medialen Verzerrungen führt. Die haben teils skurrile Folgen. Die Referentin einer Bundesministerin wollte eine Veranstaltung über Demokratie und Vielfalt bei uns machen, rief vorher an und fragte, ob bei uns schon mal die Scheiben eingeschlagen worden seien. Da war ich kurz davor zu sagen: Selbstverständlich, Frau Referentin, zwischen der täglichen Ausländerhatz und dem Fackelzug nehmen sich die Nazis noch Zeit, unsere Scheiben einzuschmeißen. Die haben ein völlig schiefes Bild über den Osten.

Wie ist es denn wirklich?

Ich erlebe Görlitz als eine tolle, lebendige Region, in der es viel Liebe und Interesse für Kunst gibt. Es macht hier großen Spaß, Theater zu machen. Diese Menge der AfD-Wähler – da ist doch jede Menge Frust und Protest dabei, aber wir haben hier keine 40 Prozent Nazis, das ist Quatsch. Ich weiß nicht, wieviele von den Wählern tatsächlich rechtsextreme Ansichten haben. Aber die meisten können einfach mit der derzeitigen Parteienlandschaft und Regierung nichts anfangen. Das sind alles Wähler, die man gewinnen kann, man muss sie nur locken und darf sie nicht in die Schmuddelecke schieben.

Kommen die Leute zu Ihnen ins Theater und arbeiten die bei Ihnen?

Selbstverständlich habe ich Kolleginnen und Kollegen, die die AfD wählen, gar keine Frage. Aber es sind keine Rassisten. Die gibt es bei der AfD auch, und das halte ich nicht für tolerabel. Punkt. Aber die, die mit verschiedenen Dingen unzufrieden sind und daraus den falschen Schluss ziehen, mit denen kann ich diskutieren. Und klar haben wir auch AfD-Wähler im Publikum, logisch. Aber die AfD-Politiker sehe ich sehr selten oder eigentlich nie im Theater. Die AfD hat eine riesige Berührungsangst mit der Kultur.

Warum sind die Menschen im schönen Görlitz überhaupt unzufrieden?

Dieses Argument habe ich selbst schon im Gespräch mit Görlitzerinnen und Görlitzern gebracht: Es ist doch alles prima, wo ist das Problem. – Auch wenn man Richtung Zittauer Gebirge schaut, wo die schön sanierten Umgebindehäuser stehen, mit zwei Autos in der Doppelgarage, kann man fragen: Worüber regt ihr euch auf? Dann kommen Klagen über Mietpreise, über Lebenskosten und so weiter. Es gibt eine große Angst vor Migration, und das ist auch ein Versagen der Bundespolitik, die Einwanderung nicht vernünftig regelt, ein Thema, das seit Jahrzehnten auf dem Tisch liegt. So etwas kann dann eben auch populistisch benutzt werden.

Der Verleger der Berliner Zeitung gastiert am 21. November in Ihrem Theater, um über Presselandschaft und Meinungsfreiheit zu diskutieren. Wie kam es dazu?

Das war Zufall. Ich abonniere die Berliner Zeitung seit längerem, und vor einigen Wochen hat mich meine Frau auf ein Interview mit Holger Friedrich aufmerksam gemacht. Da habe ich ihm einfach einen Brief geschrieben. Er ist der einzige ostdeutsche Zeitungseigentümer, das finde ich interessant.

Warum nehmen Sie bei dieser Podiumsdiskussion keinen Eintritt?

Das machen wir bei Podiumsdiskussionen nie. Auch wer keine Kohle hat, soll kommen und mitreden können. Deshalb haben wir auch ein Teilhabe-Abo eingeführt. Wer von Bürgergeld lebt, kann hier für 20 Euro im Jahr vier Vorstellungen sehen. Die Karten kriegt man zugeschickt, wie jeder andere Abonnent auch, damit man nicht an der Kasse mit seinem Arbeitslosenausweis rumwedeln muss. Davon haben wir nur vier, fünf verkauft bisher, aber das Angebot ist da. Dafür werden wir subventioniert, dass wir niedrigschwellige Angebote machen können und kein Geld verdienen müssen. Denn selbst wenn ein öffentliches Theater immer zu 100 Prozent ausgelastet ist, ist man weit davon entfernt, sich selbst tragen zu können. Das geht nur, wenn ich zehn Jahre lang „König der Löwen“ spiele. Ich hoffe, dass klar geworden ist, dass ich darin nicht meinen Auftrag sehe. Ich möchte diesen Ort so offen wie möglich halten.