Draufgeschaut

Egal, wie die Wahl ausgeht – die Zusammensetzung des Bundestages bleibt gleich

45 Minuten mit Robert Habeck im neuen TV-Format „Hart aber fair 360“ bringen eine Erkenntnis: Sicherheit des Handelns ist in der Politik wichtiger als alles andere.

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Hart aber fair 360 - im neuen Format der ARD sitzen 25 Menschen im Kreis um einen Politiker. Aus ihrer Mitte darf immer einer auf den Stuhl gegenüber des Politikers und mit ihm diskutieren.
Hart aber fair 360 - im neuen Format der ARD sitzen 25 Menschen im Kreis um einen Politiker. Aus ihrer Mitte darf immer einer auf den Stuhl gegenüber des Politikers und mit ihm diskutieren.ARD

25 Menschen gegen einen – das neue TV-Modell „Hart aber fair 360“ hat es in sich. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist als erster dran. Der Kanzlerkandidat der Grünen schlägt sich tapfer im Gegenwind. Aber mit zunehmender Sendezeit wird einem Teilnehmer eines immer klarer. Es geht in der Politik nur um Sicherheit.

Dr. Henning Hartmann, Chef der Agrargenossenschaft Sieversdorf, ist einer der 25 Menschen aus ganz Deutschland, die in dieser Sendung als Gegner von Robert Habeck auftreten. Der Mann aus Nordbrandenburg kommt nicht dran, hat demzufolge alle Zeit, das, was sich in der Mitte an dem runden Tisch abspielt, anzuschauen. „Den Politikern geht es in erster Linie um Sicherheit“, zieht Hartmann seine Analyse.

Beim Thema Bürokratie-Abbau geht ein Licht auf

Den Aha-Effekt löst Habecks Duell mit einer Malermeisterin im knallbunten Outfit aus. Es geht um Bürokratie-Abbau und die Frage, warum auf diesem Gebiet trotz unfassbar viel Gerede nichts passiert. Habeck gibt der Frau aus Süddeutschland nahezu uneingeschränkt recht. Sie fragt, warum der Staat den Unternehmern so sehr misstraut, dass die Bürokratie ausufert.

Der Wirtschaftsminister versucht es zu erklären.  „Die Bürokratie kommt nicht daher, weil man etwas Böses will. Die Verwaltung will alles richtig machen. Sie will keine Unfälle und deshalb gibt es immer Vorschriften. Immer ist irgendwas passiert oder man ahnt, dass etwas passieren wird und dann macht man eine Vorschrift. Denn wenn was passiert ist, ist man immer auf der Suche: Wer ist schuld? Und dann landet man immer bei der Bürokratie.“ Hartmanns Lösung: „Man muss den Betrieben mehr Eigenverantwortung geben und den Kontrollwahn drastisch reduzieren.“

Vor dem Reichstag in Berlin liegt noch Schnee.
Vor dem Reichstag in Berlin liegt noch Schnee.Markus Schreiber/AP

Hinter diesem einen Wörtchen man verbirgt sich das größte Problem. Wenn Politiker reden, hört es sich stets nach Theorie an. Wie die sich in der Praxis auswirkt, ist oft gar kein Thema mehr, weil sich die Abgeordneten dort viel zu wenig auskennen. Hintergrund: Es sind viel zu wenig Macher im Bundestag. Und so bekommen viele Gesetze den Anstrich: gut gemeint.

Hartmann drängt sich eine Erinnerung aus seiner Jugend auf. „Ich kannte damals die Tochter eines Bundestagsabgeordneten. Das Parlament saß noch in Bonn. Die Familie führte eine Apotheke und seine Frau sagte immer: Ohne die Apotheke könnten wir uns das Hobby meines Mannes nicht leisten.“

Früher war der Bundestag auch sowas wie ein Hobby

40 Jahre ist das mittlerweile her. Damals war das Parlament noch deutlich bunter gemischt, spiegelten die Abgeordneten noch die Bevölkerung wider. Mittlerweile, so hat es den Eindruck, geht in die Politik nur noch, wer es sich leisten kann und die Macht haben will. Oder es sind Berufspolitiker am Werk. Sie vertreten Interessenverbände und Lobbyisten. Der Wille zur Veränderung und Gestaltung aus eigener Erfahrung heraus ist ein sehr selten gewordener Antrieb.

„Wer einen mittelständischen Betrieb mit 30 Angestellten führt, der hätte nach vier Jahren im Bundestag keinen Betrieb mehr“, sagt Hartmann. Die Entschädigung für den Politikjob, reiche lange nicht aus, um den Betrieb adäquat weiterzuführen. Heißt im Umkehrschluss. Bürger aus allen Schichten finden nicht mehr den Weg in den Bundestag.

Im Parlament fehlen Schichten der Bevölkerung

Und damit fehlen dem Parlament wichtige Sichtweisen. Wie sonst ist es zu erklären, dass Habeck beim Thema Mindestlohn nicht verstehen kann, wenn Bäcker Tobias Exner aus Beelitz ihm erklärt, dass dieser Lohn nicht so einfach erarbeitet werden kann.

Auch bei diesem Thema setzt Habeck auf die Erklärung, warum er für den Mindestlohn ist. Eine Diskussion, wie der Mindestlohn für den Bäckermeister in seinem Betrieb vernünftig umgesetzt werden kann, wird nicht geführt.

Etwas zu ändern, würde Mut erfordern. Mut wächst auch aus dem Bedürfnis, etwas schützen zu wollen oder der Angst, etwas verlieren zu können. Aber genau diese Bedürfnisse und Ängste sind den meisten Bundestagsabgeordneten scheinbar fremd. Sie kehren nach der Zeit im Parlament zurück in ihren Job. Beim Lehrer steht die Schule noch, beim Beamten die Verwaltung. Das ist das große Plus der nichtselbständigen Tätigkeit. Nur etwas mehr als 200 der über 700 aktuellen Bundestagsabgeordneten haben einen Hintergrund  aus dem Bereich selbständiger Tätigkeit.

Was Gesetze in der Praxis anrichten können, ist vielen Politikern fremd

Was Gesetze, Regeln und Vorschriften in der Praxis anrichten, welche Verwerfungen sie auslösen können, sind den meisten Abgeordneten aus eigener Erfahrung fremd. „Sie leben vom Hörensagen“, sagt Hartmann. Dass das nicht funktioniert, beweist eine andere Zahl. Im aktuellen Bundestag sitzen 34 Lehrer und 33 Hochschulangehörige. Und trotzdem ist das Bildungssystem, auch wenn es Sache der Länder ist, krank.

Und all das lässt die Befürchtung wachsen, dass auch im neuen Bundestag sich der Wille zu tiefgreifenden Reformen in Grenzen halten wird. Egal, welche politische Zusammensetzung das Parlament bekommen wird. Es sind immer noch Menschen am Werk. Und die gewählten Volksvertreter sind mittlerweile weit vom normalen Leben entfernt. Das ist eine Entwicklung, in der sich alle Parteien ziemlich gleich sind. ■