„Eine Frechheit ist das! So was habe ich noch nie erlebt!“, motzt eine ältere Frau lautstark, als sie über einen zugegebenermaßen schlecht geräumten und vereisten Weg in Pankow dackelt. Normalerweise habe ich ein Herz für meckernde, ältere Damen. Heute nicht.
Denn ich bin das ewige Gemosere und Gemotze leid. Die Frau zeigt ein Gebaren, das gerade schwer in Mode ist: Der Bürger nimmt's in diesen Tagen so gern persönlich, wenn irgendwo in seinem Leben etwas nicht rund läuft. Und wer ist Schuld? Die Politik. Doch anstatt aktiv zu werden, und selber Dinge zum Besseren zu wenden, greint man gern: Kümmere dich um mich, Vater Staat.
Bestes Beispiel: die ARD-Wahlarena vom Vortag. Da wird doch Robert Habeck tatsächlich von einem Zuschauer eingeladen, mit zu Kreditverhandlungen zur Sparkasse zu gehen, weil der Mann seine Solaranlage auf dem Dach nicht finanziert kriegt. Eine andere Zuschauerin empört sich, man habe ihre Detailfrage, die die Ausbildung von Therapeuten betreffen, nicht im SPD-Wahlprogramm. Jedes noch so kleine Stöckchen werfen die Fragenden aus dem Publikum den Politikern hin, auf dass sie darüber springen sollen.
Vollkasko-Haltung gegenüber der Politik und dann AfD wählen
Pflege, Rente, Mieten, Bildung, Gesundheit, alles wichtige Themen. Doch aus der Sicht der Betroffenen soll Vater Staat jedes persönliche Problem richten, aber bitteschön doch ohne, dass es weh tut. Diese Vollkasko-Haltung, dieses Bedient-werden-wollen erinnert mich an Diskussionen mit Kleinkindern am Küchentisch. Gibt es grüne Erbsen, zieht der grundsätzlich verstimmte Junior die Schnute, aber auch rote Tomaten und Schwarzwurzel werden mit großer Geste verschmäht, bevor der Teller schließlich krachend an die Wand fliegt. Hände vor der Brust verschränkt, wählen solche Trotz-Bürger dann die AfD.
Denn allein deren ungesunde Snacks finden noch Gefallen beim kleinen Souverän. Pappig, schal und wenig sättigend sind deren einfach Antworten, aber komm mir bloß nicht mit dem Ampel-Gemüse. Wie Eltern, die in der Gemüse-Frage hart bleiben, könnte man wissen, dass sich am Ende das Fast Food als Eigentor erweisen kann. Wer bei der AfD Migranten als Sündenböcke, Arme, die an ihrer Lage selber Schuld sein sollen und falsch verstandene Freiheiten wählt, dem könnte die braune Soße noch sauer aufstoßen. Wir kennen das, nach kurzer Zeit hat man schon wieder Hunger, den wirklich gelöst werden die Probleme von Populisten-Pommes nicht.
Selber machen baut Frust ab
Anstatt also über die da oben zu meckern und in sozialen Netzwerken intellektuelles Fast Food zu konsumieren, kann es hilfreich sein, selber tätig zu werden, und sei es nur, um Stress abzubauen. Beispiele gefällig? In der Nachbarschaftsgruppe ist jemand genervt, dass sich immer mehr Müll auf der Pankower Florastraße ansammelt. Die ersten Stimmen meckern über die abwesende BSR. Für den Wahlsonntag organisiert die Frau kurzerhand eine Aufräumaktion und viele zeigen sich begeistert. Der Meckerer ist der Dumme.
Und auf die Eisfläche vor unserem Haus streue ich einfach schon mal etwas Split, ohne mit verschränkten Armen auf den Hausmeister zu warten. Eine Frechheit, und damit ein persönlicher Angriff auf Fußgänger sind glatte Gehwege und all die komplexen Probleme unserer Zeit nämlich nicht. Viel mehr eine Aufforderung zu mehr Gemeinsinn und Eigenverantwortung. ■