Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Verbündeten seines Landes dazu aufgerufen, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gemeinsam erfolgreich zu beenden. Man dürfe Russland nicht einen weiteren Marsch durch Europa erlauben, sagte Selenskyj am Dienstag in einer emotionalen Rede im Deutschen Bundestag. „Es ist unser gemeinsames Interesse, dass Putin diesen Krieg persönlich verliert.“ Der russische Präsident Wladimir Putin sei es gewohnt, andere zu unterwerfen.
Der ukrainische Präsident wurde von den Abgeordneten mit langanhaltendem Beifall begrüßt. Er kam an der Seite von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in den vollen Plenarsaal. Auch Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit seinem Kabinett nahmen an der Sitzung teil. Vor dem Rednerpult, auf den Plätzen der Parlamentsstenografen, lagen drei große Blumengestecke in den ukrainischen Farben blau und gelb. Zur Feier seines Besuches wurden der Funkturm und der Fernsehturm blau-gelb angestrahlt. Der Besuch führte zum Teil zu massiven Verkehrsbeschränkungen im Mitte.
Der Krieg müsse so beendet werden, dass kein Zweifel bestehe, wer gesiegt habe, sagte Selenskyj, der immer wieder von Beifall unterbrochen wurde. Am Ende applaudierten ihm die Abgeordneten minutenlang stehend. Russland müsse für die Entfesselung des Krieges die volle Verantwortung übernehmen. „Russland muss für den ganzen Schaden zahlen, der durch diese Aggression verursacht wurde.“
Selenskyj bedanke sich für die deutsche Unterstützung
Der ukrainische Präsident bedankte sich bei Deutschland für die Unterstützung seines Landes. „Ich danke Dir Deutschland.“ Er nannte vor allem die Lieferung von Patriot-Flugabwehrsystemen. Diese hätten Tausende Menschenleben gerettet.
Selenskyj ging auch auf die bevorstehende Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz ein. „Wir wollen der Diplomatie eine Chance geben“, sagte er. „Die Ukraine hat niemals nur auf die Stärke der Waffen gesetzt.“ Selenskyj hatte bereits am 17. März 2022, drei Wochen nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, zu den Abgeordneten gesprochen. Damals wurde er per Video live in den Plenarsaal zugeschaltet.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sagte dem ukrainischen Präsidenten die Solidarität des Parlaments zu - „in Kriegszeiten und beim Wiederaufbau“, wie sie betonte. „Und ich bin mir sicher: Die russischen Kriegsverbrechen werden geahndet. Das ist Deutschland, das ist Europa, das ist die demokratische Welt den Menschen in der Ukraine schuldig“, betonte Bas.

Scharfe Kritik an AfD und BSW für Redeboykott
An der Sitzung mit Selenskyj nahmen nicht alle Bundestags-Abgeordneten teil. Die AfD-Fraktion fehlte - bis auf vier Abgeordnete. Die Gruppe BSW hatte vorher schon angekündigt, Selenskyjs Rede zu boykottieren. Beiden wird vorgeworfen, besonders russlandfreundlich zu sein.
Von anderen Parteien und der Regierung gab es dafür scharfe Kritik. Dieses Verhalten sei eine „Respektlosigkeit“, sagte ein Regierungssprecher dem ARD-Hauptstadtstudio. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei darüber „sehr verstört, aber nicht überrascht“. Unionsfraktionschef Friedrich Merz erklärte: „Man kann ja über die Hilfe für die Ukraine unterschiedlicher Meinung sein“, sagte Merz am Dienstag in Berlin. „Aber dass man als Abgeordneter im Deutschen Bundestag dem Staatspräsidenten dieses vom Krieg bedrohten Landes den Respekt versagt, ist ein wirklicher Tiefpunkt in der Kultur unseres Parlaments.“ Er sei darüber einigermaßen entsetzt.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte der „Rheinischen Post“: „Wahrscheinlich hat der Kreml das Fernbleiben angeordnet. Ich habe selten eine solche Respektlosigkeit erlebt.“ Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), sagte: „Damit unterstreichen AfD und BSW einmal mehr ihre Verachtung für die Opfer des russischen Angriffskriegs.“ Auch der Linken-Politiker Dietmar Bartsch kritisierte seine ehemalige Fraktionskollegin Sahra Wagenknecht und nannte das Verhalten ein „Unding“: Wie auch immer man zu Selenskyj oder zu Waffenlieferungen stehe, in der Demokratie gehe es darum, zumindest zuzuhören, und nicht darum, Aufmerksamkeit zu erregen, sagte er der dpa. ■