Der russische Präsident Wladimir Putin hat Befürchtungen westlicher Staaten vor einem russischen Einmarsch auf Nato-Gebiet als angeblichen „Bullshit“ abgetan. „Sie haben sich ausgedacht, dass Russland die Nato angreifen will. Sind Sie komplett verrückt geworden? Sind Sie so dumm wie dieser Tisch? Wer hat sich das ausgedacht? Das ist Unsinn, verstehen Sie. Bullshit“, sagte Putin am Mittwoch bei einem Treffen mit Vertretern großer internationaler Nachrichtenagenturen, darunter auch dpa, in St. Petersburg.
Putin warnte bei dem Treffen vor einer möglichen Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern an die von ihm angegriffene Ukraine. „Wenn nun gesagt wird, dass (in der Ukraine) auch noch irgendwelche Raketen auftauchen, die Angriffe auf Objekte auf russischem Gebiet durchführen können, dann zerstört das natürlich endgültig die russisch-deutschen Beziehungen“, sagte Putin. Er war nach Moskaus Reaktion im Falle einer Lieferung der weitreichenden Taurus-Marschflugkörper durch Berlin an Kiew gefragt worden.
Die russisch-deutschen Beziehungen sind durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine allerdings ohnehin auf einem Tiefpunkt. Welche Bereiche im Fall von Taurus-Lieferungen aus seiner Sicht noch weiter „zerstört“ würden, sagte Putin nicht.
Eine Taurus-Lieferung ist in der Vergangenheit immer wieder von verschiedenen Seiten gefordert worden, damit die Ukraine sich besser gegen den russischen Angriffskrieg verteidigen kann, der seit mehr als zwei Jahren anhält. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aber hat sich bislang immer dagegen ausgesprochen. Stattdessen erlaubte Deutschland - ebenso wie die USA - der Ukraine kürzlich, mit aus dem Westen gelieferten Waffen russische Ziele anzugreifen, um Angriffe auf die Metropole Charkiw im Grenzgebiet abzuwehren.
Putin droht mit „asymmetrischen Antwort“
Putin drohte bei dem Treffen mit einer „asymmetrischen Antwort“ für den Fall, dass russisches Staatsgebiet von der Ukraine mit aus dem Westen gelieferten Waffen angegriffen wird. „Wir denken darüber nach, dass falls jemand es für möglich hält, Waffen in die Kampfzone zu liefern, um Angriffe auf unser Gebiet durchzuführen, warum wir dann nicht das Recht haben sollten, solche Waffen in Weltregionen aufzustellen, wo Angriffe auf sensible Objekte derjenigen Länder ausgeführt werden, die das in Bezug auf Russland tun?“, sagte Putin Journalisten in St. Petersburg. Dann fügte er hinzu: „Das heißt, dass die Antwort asymmetrisch sein kann. Wir denken darüber nach.“
Putin zur US-Wahl: „Für uns hat das Ergebnis keine große Bedeutung“
Der russische Präsident erwartet keine grundlegende Änderung von Washingtons Politik gegenüber Moskau nach der US-Präsidentenwahl. „Für uns hat das Ergebnis keine große Bedeutung“, sagte Putin. Russland werde mit dem Präsidenten arbeiten, den die US-Bürger wählten. In der Vergangenheit hatte Putin gesagt, dass ihm ein Wahlsieg von Amtsinhaber Joe Biden lieber sei, weil der Präsident berechenbarer sei.
Putin kritisierte zugleich die Gerichtsverfahren gegen Ex-Präsident Donald Trump, der gegen Biden bei der Wahl am 5. November antreten will. Die Justiz in den USA werde für den politischen Kampf genutzt, behauptete der Kremlchef. Trump werde mit lange zurückliegenden Dingen konfrontiert, was auf politische Verfolgung schließen lasse. Viele Menschen verstünden das und unterstützten ihn deshalb.
Putin steht selbst international in der Kritik, politische Gegner bei Präsidentenwahlen in Russland gezielt ausschalten zu lassen. Russlands Justizapparat gilt Willkürinstrument zur Durchsetzung des Machterhalts des Kremlchefs.
Putin: Russland hat 6365 ukrainische Kriegsgefangene
Putin hat die Zahl der ukrainischen Kriegsgefangenen nach mehr als zwei Jahren Invasion in dem Nachbarland auf mehr als 6000 beziffert. Die Zahl sei deutlich höher als die der russischen Soldaten und Offiziere in ukrainischer Gefangenenschaft, sagte Putin. Die Ukraine habe 1348 Russen in Gefangenschaft, Russland hingegen habe 6365 Gefangene des Nachbarlandes. Unabhängig ließ sich das nicht überprüfen.

Putin sagte auf eine Frage, wie hoch die russischen Verluste in dem Krieg seien, dass keine Konfliktpartei konkrete Angaben dazu mache. Aber die Zahlen verhielten sich in einem ähnlichen Verhältnis wie bei den Gefangenen. Auch hier behauptete er, dass die Ukraine deutlich höhere Verluste als Russland in dem Krieg verzeichne. Die ukrainische Seite dagegen betont, dass deutlich mehr russische als eigene Soldaten fielen in dem Krieg.
Die Ukraine beziffert die Zahl der getöteten und verletzten russischen Soldaten auf mehr als eine halbe Million. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte im Februar die Zahl der getöteten Soldaten in den eigenen Reihen mit 31.000 angegeben.
Erstes Treffen mit westlichen Medien seit Kriegsbeginn
Das Medien-Treffen im markanten Wolkenkratzer, der Zentrale des Gas-Riesens „Gazprom“ ist die erste internationale Begegnung dieser Art seit Beginn von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Putin ist der Gastgeber des 27. St. Petersburger Internationalen Wirtschaftsforums. Bei dem jährlichen Treffen von Unternehmern aus aller Welt will sich Russland trotz der Sanktionen des Westens im Zuge des Moskauer Angriffskrieges gegen die Ukraine als ökonomisch starke Rohstoffmacht präsentieren. ■