Hilde Coppi ist eine der Lichtgestalten Berlins. Sie starb 1943 unter dem Fallbeil, weil sie Hitler die Stirn bot – als Mitglied der Roten Kapelle. Im Frauengefängnis gebar die Arzthelferin noch ein Kind, den kleinen Hans. Mit „In Liebe, Eure Hilde“ setzt der Berliner Regisseur Andreas Dresen (60) der Widerstandskämpferin ein beklemmendes Film-Denkmal.
Aber „In Liebe, Eure Hilde“ ist nicht nur ein Widerstandsfilm, sondern auch eine große Liebesgeschichte – und eine Hommage an die Aufrichtigkeit. Dresens Werk läuft im Berlinale-Wettbewerb und hat am Samstag (17. Februar) um 15.30 Uhr im Berlinale-Palast am Marlene-Dietrich-Platz in Berlin Premiere. Das gesamte Team will zum roten Teppich kommen, auch Hilde Coppis Sohn, der Historiker Hans Coppi junior (81). In der Hauptrolle als Hilde ist Liv Lisa Fries („Babylon Berlin“) zu sehen, die sich mit ihrem reichhaltigen, ausdrucksstarken und streckenweise zu Tränen rührenden Spiel für einen Silbernen Bären empfiehlt. Der KURIER traf die 33-jährige Schauspielerin zum Interview.
Was für ein Film. Die letzte Szene ist nichts für schwache Nerven ...
Ja, ich kriege jedes Mal Gänsehaut, wenn ich sehe, wie Andreas Dresen ihn erzählt hat – auch diese antizyklischen wiederkehrenden Rückblenden aus Hildes Todeszelle zu ihrer Liebesgeschichte. Schon früh deutet sich ja an, dass die Beziehung zwischen ihr und Hans wahrscheinlich nicht friedlich verläuft, und trotzdem wird diese Liebesgeschichte erzählt. Das hat eine krasse Spannung.
Wie nähert man sich dieser historischen Überfigur Hilde Coppi? Sie war stark, aber nicht unbedingt mutig, ein Vorbild, aber keine Heldin. Sie verstrickt sich in diese Widerstandsgeschichte, fast schon ungewollt …
Ich habe versucht, das so nah wie möglich an mich ranzuholen – was gut ging. Hilde agiert sehr stark aus dem Herzen. Sie ist gütig, ein Vorbild. Natürlich muss ich als Schauspielerin diese zarte Innerlichkeit von ihr mit Worten und Gesten ausdrücken, und das war gar nicht so leicht. Hilde redet ja nicht viel. Ich brauchte also immer die Rückversicherung von außen: Glaubt man mir das jetzt? Aber es ist auch ein unglaublich gutes Drehbuch, muss man schon sagen. Das Niveau der Autorin Laila Stieler hat mich umgehauen.
Liv Lisa Fries dankt der Drehbuchautorin
Was war besonders gut gelungen?
Was mir grundsätzlich sehr liegt, ist, wenn es um existenzielle Dinge geht. Und diese Geschichte von Hilde Coppi, die Andreas Dresen und Laila Stieler erzählen, ist fast ausschließlich existenziell – bis auf die Liebesgeschichte. Ich muss dabei an Filme wie „Dancer in the Dark“ oder „Breaking the Waves“ von Lars von Trier denken. Also wir reden hier auf keinen Fall über ein Feel-good-Movie. Man sollte es sich aber trotzdem geben. Denn das ist ein anderes Level an Reflexion, ein komplett anderes Denken übers Menschsein – und in dem Fall eben auch mit Geschichte.

Hätten Sie die Rolle auch unter einer anderen Regie übernommen?
Bestimmt. Schließlich ist Hilde Coppi eine real existierende Figur gewesen, aber natürlich ist es für mich ohne Frage spielerisch enorm viel gewesen
Was macht Hildes Geschichte so wertvoll für uns?
Vieles von dem, was uns im Alltag begegnet, ist laut und extrovertiert. Und Andreas‘ Film über Hilde finde ich so gut, weil er nicht laut ist und trotzdem so eine Wucht hat.
Können Sie ein Beispiel geben?
Ich erinnere mich, ich war mal im Admiralspalast auf einem Konzert der dänischen Singer-Songwriterin Agnes Obel, sie war eher schüchtern. Nicht so wie: Wir machen jetzt eine Riesenshow! Sie ist bei sich geblieben. Und das finde ich total wichtig, weil unsere Gesellschaft mit Instagram und diesen Dingen immer eher was Extrovertiertes und Lautes hat. Das ist natürlich etwas, das mich beschäftigt. Ich frage mich oft, auf welche Weise bekommt was mehr Zuspruch und Aufmerksamkeit. Trotzdem ist es wichtig zu wissen, dass es in der Welt nicht nur diese lauten Töne gibt.
Der Film kommt im Wortsinn zur rechten Zeit. Ein rechtsradikales Regime scheint in Deutschland wieder möglich zu sein. Hier haben wir es mit einer Frau zu tun, die den Mut hat, dagegen aufzustehen. Wie wichtig war dieses Thema beim Drehen für Sie?
Das ist nicht unbedingt die Art, wie ich mir Rollen erarbeite. Meine Herangehensweise ist nicht in erster Linie politisch. Und Hildes Herangehensweise war es ja auch nicht. Ich glaube, bei ihr kommt das aus einer gewissen Haltung, die dann politisch wird. Den Zugang zu ihr finde ich woanders: Da geht es um ihr Herz und um Liebe, da geht es um Werte, und das wird dann politisch. Also meine Antwort ist: Leider ja! Ja, der Film ist relevant und passend.

Viele junge Frauen, die den Film sehen, werden sich Ihre Darstellung zum Vorbild nehmen. Das macht den Film natürlich auch politisch.
Klar, aber es ist nicht mein erstes Ansinnen. Wenn ich so etwas mache, dann aus einem emotionalen Grund, weil mich Gefühle interessieren. Das ist für mich die Essenz meines Berufs. Und es ist auch genau das, was mich interessiert. Was mich interessiert, ist immer der Mensch – und seine Psychologie. Und so suche ich mir auch die Figuren aus, die ich spiele. Nebenbei: Wir haben ja keinen Film über die heutige politische Lage gemacht, sondern über die vergangene in Deutschland.
Liv Lisa Fries hat einen großen Gerechtigkeitssinn – wie Hilde
Ist das nur Handwerk oder müssen Sie etwas von dieser Figur Hilde Coppi auch wirklich in sich haben?
Es gibt ja eine Parallele. Die Figuren, die ich spiele, haben oft etwas gemeinsam. Charlotte Ritter bei „Babylon Berlin“ hat ja auch diese Aufrichtigkeit, so eine Art Gerechtigkeitssinn, und eigentlich haben den beide, Hilde und Charlotte. Der sieht aus charakterlichen Gründen jeweils anders aus, aber beide haben einen großen Gerechtigkeitssinn, und das, würde ich sagen, habe ich auch. Und es ist auch etwas, das mir wichtig ist. Aber ich will das nicht so vor mir hertragen.
Können Sie nachvollziehen, dass Hilde ihr eigenes Leben nicht gerettet hat?
Es ist eine Frage, die sich mir natürlich auch aufdrängt. Hildes Sohn ist als Vollwaise groß geworden. Und jede*r weiß, wie schwer das für solche Kinder ist. Wie würde ich damit umgehen? Würde ich meinen Mann, den ich gerade erst kennengelernt habe und den ich über alles liebe, verraten, um die Lage für mich und das Kind zu verbessern? Ich find’s total schwer. Ich kann es nachvollziehen, dass sie sich für die bedingungslose Liebe entschieden hat, sie hat ja aber zum Schluss auch versucht, ein Gnadengesuch einzureichen.
Eine starke Szene …
Dieser Moment hat mir beim Drehen am meisten die Füße weggezogen, diesen Zettel von Hitler in der Hand zu halten, wo dieses Gnadengesuch abgelehnt wird. Ich stand da und sagte mir die ganze Zeit: Das ist keine Fiktion, das ist keine Story, das ist wirklich passiert ... und das ist so schrecklich! Also, ich könnte mir beides vorstellen, aber es ist so leicht. Keine*r weiß, wie es sich anfühlt, im Angesicht des Todes zu sein.
Hätten Sie denn den Mut einer Hilde Coppi – mit allen Konsequenzen?
Die erste Antwort wäre: Ich weiß es nicht. Und die zweite: ich glaube schon. Es käme auf das Was an, aber ich denke schon … ich habe den Hang zu einer großen Aufrichtigkeit. Und das ist etwas, was sich letztendlich durchsetzt. Jedenfalls ist es mir sehr wichtig.

Wie haben Sie die Szenen mit dem schwangeren Bauch gedreht: Sie waren nicht wirklich schwanger, oder?
(Schmunzelt.) Das war SFX (Spezialeffekt, die Red.).
Das sah täuschend echt aus.
Ja, sehr gut, nicht wahr? Twilight Creations von der tollen Tamar Aviv und Jörn Seifert sind der Wahnsinn, und deshalb sollte man die hier auch mal nennen. Der Bauch an sich war aus Silikon. Ich saß dafür bis zu fünf Stunden in der Maske. Andreas Dresen war es wichtig, dass das gut aussieht.

Freizügige Szenen für Liv Lisa Fries
In dem Zusammenhang gab es ziemlich freizügige Szenen. Wie haben Sie die Nacktheit und die Umgebung ausgeblendet?
Bei Andreas geht das. Wir hatten einen sogenannten Closed Set, das ist ganz üblich. Es steht also nicht das ganze Team drumherum, sondern Kamera, Ton, Regie – und das war’s eigentlich … Ja, wie blende ich das aus? Indem ich’s einfach tue, so wie wir eben in der Lage sind, Dinge zu ignorieren. Diese Fähigkeit gibt’s, und sie ist Teil meines Berufs, ich fühle mich ja in die Figur ein. Für mich ist das so: Es gibt eine bestimmte Verabredung, so wie es die Verabredung gibt, dass wir beide jetzt miteinander reden, das holt uns ja beide hierher. Und dass wir als Schauspieler*innen jetzt wissen, wir drehen diese Szene, holt mich in den Moment. Verkürzt gesagt: Die Sache macht es möglich und natürlich die Konzentration.
Wahrscheinlich geht das nicht mit jedem Regisseur …
Total. Wir haben natürlich vorher darüber gesprochen. Andreas Dresen hat mir Filme gezeigt, wie er es sich ästhetisch und filmisch vorstellen kann, und das war für mich maßgeblich. Ich kenne ja auch sein Werk „Wolke 9“, wo es ebenfalls viele intime Szenen gibt, und ich weiß, dass es nichts voyeuristisches hat, ich weiß, dass es für den Film wichtig ist. Und, keine Ahnung, ob ich das schon gesagt habe: Eine Kamerafrau, eine Drehbuchautorin, ich als Hauptdarstellerin – Andreas Dresen hat uns da als Mann schon sehr fein und großzügig die Bühne überlassen.

Ich hörte, Sie haben Hildes Sohn Hans Coppi junior getroffen. Wie lief die Begegnung ab?
Es war sehr emotional. Ich bin rausgekommen und habe total geweint, weil mich das sehr mitgenommen hat. Ich war mit Andreas Dresen und unserer Drehbuchautorin Laila Stieler da, und die sind dann kurz vor dem Ende gegangen. Danach war ich noch ein bisschen mit ihm und seiner Frau.
Wo haben Sie sich getroffen?
Bei ihm zu Hause in Berlin. Er ist ja schon über 80 und das ist alles sehr berührend gewesen. Es ist wieder dieser Moment gewesen, ähnlich dem, als ich das Schreiben von Hitler in der Hand hielt: Es ist keine Fiktion! Du machst hier keinen fiktionalen Film! Es ist alles wahr! Ich habe danach mit Anthony Hopkins gedreht, der Sigmund Freud gespielt hat und ich dessen Tochter Anna Freud. Und da war es wieder genauso. Ich finde daran wohl Gefallen. Es hat für mich einen großen Reiz, das zu verstehen, das Leben selbst auch noch mal neu zu verstehen, mich in andere Menschen reinzuversetzen, in unterschiedliche Menschen.

Macht Sie die Möglichkeit, mit der „Hilde Coppi“ einen Silbernen Berlinale-Bären zu gewinnen, nervös?
Mich macht der Wettbewerb natürlich nervös. Ich war noch nie mit einem Film im Berlinale-Wettbewerb. Ich bin aufgeregt und freue mich total, aber halte meine Erwartung gering, das ist eher mein Umgang damit. Ich halte mich nicht für so genial, und auch ohne einen Preis weiß ich, was ich gemacht habe.