Schlechtes Image

Dialekt-Forschung: DDR-Bonzen versauten dem Sächsischen den Ruf

Zu Zeiten Goethes war Sächsisch noch ein angesehener Dialekt. Heute steht er ganz unten auf der Beliebtheitsskala. Dabei sollten Dialekte gepflegt werden.

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Der in Leipzig geborene DDR-Staatschef Walter Ulbricht (r.) sächselte sehr stark. Erich Honecker, der im Saarland aufwuchs, wurde stimmlich seinem Vorgänger ähnlich, zumal Saarländisch und Sächsisch sich nicht ganz unähnlich sind.
Der in Leipzig geborene DDR-Staatschef Walter Ulbricht (r.) sächselte sehr stark. Erich Honecker, der im Saarland aufwuchs, wurde stimmlich seinem Vorgänger ähnlich, zumal Saarländisch und Sächsisch sich nicht ganz unähnlich sind.Sven Simon/Imago

Einst waren sie beliebt, doch heute haben Dialekte ein schlechtes Image. Wer Mundart spricht, wird schnell belächelt oder als hinterwäldlerisch abgestempelt. Vor allem gegenüber dem Sächsischen gibt es viele Vorurteile. Dabei bieten Dialekte nicht nur emotionale Heimat. 

„Dialekt ist das, woraus die Seele ihren Atem schöpft“, soll Johann Wolfgang von Goethe einmal gesagt haben. Wer zur Zeit des Dichters, im 18. Jahrhundert, gebildet erscheinen wollte, „der sollte sich am Sächsischen orientieren“, schreibt der Linguist Beat Siebenhaar. So sei es denn auch gekommen, dass Goethe 1765 zum Jura-Studium von Frankfurt am Main nach Leipzig ging, „wobei auch sprachliche Gründe mitursächlich gewesen sein sollen“. Heute rangiert das Sächsische auf der Beliebtheitsskala deutscher Mundarten mit zuverlässiger Konstanz weit hinten, oft noch hinter dem ebenfalls von vielen belächelten Schwäbisch.

Hubert Klausmann hält allerdings wenig von derartigen Umfragen. Der Germanist und Dialektforscher lehrt seit 2009 am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen und beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit der Bedeutung von Mundarten. „Solche Bewertungen sind nicht ernst zu nehmen“, sagt er dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Menschen beurteilten nämlich nicht den Dialekt an sich, sondern vielmehr die Region, von der sie meinten, dass der Dialekt dort beheimatet sei. Und dabei spielten Vorurteile und Stereotype häufig eine Rolle: „Bayern hat eine schöne Landschaft, also ist Bairisch schön. Man mag den alten Chef der Lokführergewerkschaft (Claus Weselsky; Anm. d. Red.) nicht, also ist Sächsisch schlecht.“

Negativimage von Sächsisch eine Folge der deutschen Teilung?

Dass das Sächsische es schwer hat, kann der gebürtige Schweizer Siebenhaar bestätigen, der Germanistikprofessor an der Universität Leipzig ist. Dabei sei Sächsisch einmal der angesehenste deutsche Dialekt überhaupt gewesen, sagt er. So habe der Reformator Martin Luther (1483–1546) beispielsweise nach der sächsischen Kanzleisprache geschrieben. Das heute verbreitete negative Image wurzelt nach Siebenhaars Einschätzung vor allem in der Zeit der deutschen Teilung: „Die Elite der DDR sprach sächsisch.“ Das sorge mitunter bis heute für Spott und Ablehnung.

Einen stark vereinfachten und auf Klischees reduzierten gesellschaftlichen Diskurs bei dem Thema beobachtet auch Pius Jauch, stellvertretender Vorsitzender des Dachverbandes der Dialekte Baden-Württemberg. „Die Leute erfassen regionale Varietäten von Sprache nicht als das, was sie aus sprachwissenschaftlicher Perspektive sind, nämlich ein großer Reichtum“, sagte er dem epd. Stattdessen machten sie sich darüber lustig. Besonders im Kulturbetrieb, im Bildungsbereich und in den Medien hätten Dialekte einen schweren Stand.

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Sprachlernplattform Babbel for Business verbinden knapp zwei Drittel der Deutschen – 64 Prozent – mit Dialekt in erster Linie Heimat, wie das Beratungsunternehmen Haufe berichtet. Vor allem im familiären Umfeld werde in der jeweiligen Mundart gesprochen. In Schule, Ausbildung und Beruf hingegen bevorzugen 71 Prozent der Befragten Hochdeutsch.

Kindern wurden ihre Dialekte abgewöhnt

„Das hängt damit zusammen, dass man in Deutschland ab den 1960er-Jahren in den Schulen den Kindern das Dialektsprechen abgewöhnen wollte, da man der Ansicht war, nur mit Hochdeutsch könne man gesellschaftlich aufsteigen“, erklärt Hubert Klausmann. Kinder seien dazu gebracht worden, sich für das Sprechen im Dialekt zu schämen: „Man wurde bloßgestellt, häufig sogar diskriminiert.“

Das wirke fort. Laut einer Studie des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen sprechen in den Klassen eins und zwei der Grundschulen im Südwesten nur noch zwischen elf und 15 Prozent der Kinder Dialekt. Vor allem in den Städten gehe die regionale Färbung zunehmend verloren, sagt Klausmann. Er ermutigt Eltern und Lehrer, Kindern den Dialekt nicht nur zuzugestehen, sondern sie darin zu bestärken: „Das fördert ihr Selbstbewusstsein.“

Etwas anders ist die Situation im Norden: Das traditionelle Niederdeutsch – oder Plattdeutsch – gilt als eine eigenständige Sprache. In etlichen Schulen wird es mittlerweile als Schulfach gelehrt, in Mecklenburg-Vorpommern absolvierten im vergangenen Jahr erstmals zwei Schülerinnen ihre mündlichen Abiturprüfungen in dem Fach. Wie gut Goethes Sächsisch nach seinem fast dreijährigen Aufenthalt in Leipzig war, ist übrigens nicht überliefert.  ■