Zu DDR-Zeiten hatte selbst die englische Firma Lesney Products, die mit den Matchbox-Spielzeugautos weltberühmt wurde, einen Stand auf der Leipziger Messe. Die MM (Mustermesse), wie sie damals hieß, war ein Magnet. 1974 etwa nahmen Messegäste aus 100 Staaten an der Frühjahrsmesse teil. 10.000 Aussteller präsentierten auf 300.000 Quadratmetern ihre Produkte. 600.000 Besucher kamen jährlich – davon rund acht Prozent aus der BRD und dem westlichen Ausland. Und auf die, die die wertvollen Devisen ins Land brachten, stellten sich die ganze Stadt und Umland ein. Die Hotel- und Restaurantpreise zogen mächtig an. Auch die DDR konnte ein bisschen Kapitalismus.
Auch die nur wenige Kilometer außerhalb von Leipzig gelegene Kleinstadt Taucha profitierte vom Messetourismus. Das Parkrestaurant in der Leipziger Straße hat sich ganz auf die Besucher aus aller Welt eingestellt. „Während der Messezeit waren die Preise doppelt so teuer wie sonst“, erinnert sich Andreas Kopsch (60) aus Wittenberge, der dem KURIER eine Speisekarte von damals zugemailt hat. „Dafür gab es dann aber auch alles, was es sonst nicht gab.“
Zur Leipziger Messe: Die Rindslende kostete 5,50 Mark
Ein Blick in die Karte beweist das. Da taucht gespickte Rindslende mit Salat und Kartoffeln auf oder Rumpsteak mit Kräuterbutter und Pommes. Fleisch, das sonst als Bückware galt. Aber: Aus heutiger Sicht ist „doppelt so teuer“ immer noch spotbillig. Die Rindslende kostete 5,50 Mark, das Rumpsteak 5,40 Mark. Teuerstes Angebot in der Karte: die Puttenrolle mit Rotkohl und Kartoffeln für 6,50 Mark. Teuer war wohl nur Fisch, Wild und Geflügel. Doch dafür gab es damals eine tagesaktuelle Karte.

Dass das die Speisekarte für die Messezeit war, sieht man auf den ersten Blick. Alles ist dreisprachig aufgeführt - auf Deutsch, Englisch und natürlich auf Russisch. Von der Pökelzunge mit Butter und Brot („Pickled tongue with bread and butter“) für 5 Mark bis hin zum Paprikaschnitzel für 4 Mark, bei dem man erst im Englischen erkennen konnte, dass es aus Kalbsfleisch war – „Escalope of veal with paprika, assorted salads and risotto“.
Nicht fehlen durften zwei DDR-typische Vorspeisen – die Pastete mit feinem Würzfleisch, Zitrone und Toast für 3,60 Mark und die Soljanka mit Brötchen für 2,10 Mark. Auch ein „Omelett mit feinem Würzfleisch“ konnte für 4,20 Mark bestellt werden. Bis heute ein Rätsel, warum die Worte „fein“ und „Würzfleisch“ in der DDR immer kombiniert wurden.
Ungewöhnlich: die für DDR-Zeiten umfangreiche Weinkarte mit feinen Tröpfchen aus Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Im Angebot vier verschiedene Weißweine, zwei Rotweine und fünf Dessertweine. Am billigsten der Rotwein, am teuersten die Dessertweine. Eine Flasche Grauer Mönch („leicht, süffig, angenehm“) kostete 20,70 Mark, ein Tokajer Aszu („edler natürlicher Wein, erlesene Tokajer Note“) aus Ungarn sogar satte 32,10 Mark. Preis-Spitze auf der Karte: Der Hungaria-Sekt Parlament für 47,90 Mark, selbst der Rotkäppchen-Sekt Grand Mousseux kostete hier 46 Mark.

Bei Messen wird natürlich auch immer viel gesoffen. Wenn es ein bisschen mehr knallen sollte: Dann konnten sich Mutige das Herrengedeck bzw. „Specialty for Men“ an den Tisch kommen lassen. Ein Glas German-Pils und eine 1/4 Flasche Rotkäppchen-Sekt wurden zusammen für 14,90 Mark kredenzt. Es gab sogar französischen Cognac (Favrud) für 6,40 Mark und zwei Scotch Whisky – Reliance für 5,20 Mark und Cream of Scotland für 6,10 Mark. Alternativ standen aber auch SU-Wodka (2,70 Mark), Kirsch Edel (3 Mark) und Karlsbader Becherbitter (2,90 Mark) auf der Karte.
Der DDR-Bürger ging eine Etage tiefer in die „Broilerklause“
Auch untypisch für die DDR: die langen Öffnungszeiten. Geöffnet war zur Messe täglich von 10 bis 2 Uhr. Warme Küche gab es im Parkrestaurant bis 24 Uhr, Speisen aus der kalten Küche konnten bis 1 Uhr nachts bestellt werden.
In der Messezeit speiste im Parkrestaurant eher das gehobene Publikum, erzählt Andreas Kopsch, der in Taucha geboren wurde. Der normale DDR-Bürger ging in dieser Zeit eher in die im Keller des gleichen Hauses gelegene „Broilerklause“. Das Parkrestaurant am Kleinen Schöppenteich war über Jahrzehnte ein beliebter Treffpunkt in Taucha, zweimal in der Woche gab es Tanz, am Sonnabend Disco. Andreas Kopsch hat hier seine Frau kennengelernt.