Hausbesitzer haben plötzlich horrende Steueraufschläge, Mieterinnen und Mieter schockt die Nebenkostenabrechnung: Mit der Reform der Grundsteuer zum Jahresanfang sind die Kosten vielerorts kräftig gestiegen. Dabei hatte die damals regierende Ampel-Koalition von Ex-Kanzler Olaf Scholz (SPD) versprochen, dass die Reform keine Einnahmequelle für Städte und Gemeinden wird. Eine „aufkommensneutrale“ Reform der Grundsteuer war das selbsterklärte Ziel von Bund und Ländern. Auch wenn einige Bürger mehr und andere weniger zahlen, sollten die Kommunen insgesamt weder mehr noch weniger Geld einnehmen. Aber die Wirklichkeit sieht ganz anders aus, wie der Bund der Steuerzahler jetzt feststellt!
Denn der Bund der Steuerzahler Niedersachsen (BdSt) hat in Niedersachsen die Hebesätze nahezu aller Kommunen ausgewertet. Schockierendes Ergebnis: Von 936 Städten und Gemeinden haben rund 32 Prozent ihre Hebesätze zum Teil deutlich erhöht. Damit hat fast ein Drittel der niedersächsischen Städte und Gemeinden die Grundsteuerreform nicht aufkommensneutral umgesetzt, sondern kräftig abkassiert. „Das Ausmaß ist immens“, sagt Jan Vermöhle, Vorstandsmitglied BdSt Niedersachen. Er vermutet, dass die angespannte Haushaltslage in vielen Kommunen für die erhöhten Hebesätze verantwortlich ist.
In kleinen Kommunen fallen die Abweichungen von der Aufkommensneutralität besonders hoch aus. In Wietzendorf (Heidekreis, 4176 Einwohner) zum Beispiel wäre ein Hebesatz von 260 Prozentpunkten nötig, um aufkommensneutral zu bleiben. Festgesetzt wurde vom Gemeinderat aber ein Hebesatz von 580, also satte 123 Prozent mehr als notwendig. In Prinzhöfte (Landkreis Oldenburg) wird sogar ein Spitzenwert von 127 Prozent zu viel errechnet. Von allen befragten Städten und Gemeinden in Niedersachsen haben nur 19 Kommunen geringere Einnahmen gemeldet.

Grundsteuer belastet auch Mieter
Eine erhöhte Grundsteuer bekommen auch Mieterinnen und Mieter zu spüren. Wohnungseigentümer können die Abgabe zu 100 Prozent an sie über die Betriebskostenabrechnung weitergeben. Der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Niedersachsen Bremen (vdw) warnt deshalb vor den Folgen. „Wir kämpfen an ganz vielen Fronten darum, dass die Wohnkosten nicht weiter steigen“, sagt vdw-Leiterin Susanne Schmitt. „Viele Menschen sind schon an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Dass jetzt gerade die öffentliche Hand das Mittel der Grundsteuer nutzt, um die Nebenkosten weiter zu erhöhen, das ist enttäuschend.“
Der Sozialverband in Niedersachsen befürchtet vor allem für Mieter mit geringen Einkommen Probleme. Vorstandsvorsitzender Dirk Swinke bezeichnet die Erhöhung „fast als Vollkatastrophe“ für diese Menschen. „Ich denke, das ist ein Signal, dass der Gesetzgeber so bei der Umsetzung der Grundsteuerreform nicht im Auge gehabt hat.“ Deswegen ist es aus Swinkes Sicht nun die Aufgabe des Bundes und des Land Niedersachsen dem entgegenzuwirken.
Länder sind machtlos
Der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund verteidigt die Kommunen: Die Grundsteuer sei oft das letzte Mittel, um Haushaltslöcher zu stopfen. „Die Erhöhungen haben nichts mit der Grundsteuerreform zu tun“, erklärt Präsident Marco Trips. „Viele unserer Mitglieder haben angesichts der höchst angespannten Haushaltssituation, getrieben von immer mehr unterfinanzierten Aufgaben, schlicht keine andere Wahl.“
Und die Länder sind machtlos. Laut Grundgesetz haben Kommunen das Recht, Hebesätze eigenständig festzulegen. Damit ist ausgeschlossen, dass die Länder die Kommunen per gesetz zur Einhaltung des aufkommensneutralen Wertes verpflichten.