„Wir im Osten“

Lobrede auf die DDR: Da irrt sich Egon Krenz aber mächtig gewaltig

Die „Friedensstaat“-Rede von Egon Krenz zum 75. Geburtstag der DDR: Unser Autor las sie ganz genau und musste als gebürtiger Ostdeutscher staunen, was da der einstige DDR-Staatsmann so alles von sich gab. 

Author - Norbert Koch-Klaucke
Teilen
Der einstige DDR-Staatsmann Egon Krenz (hier bei einer Lesung) meldet sich immer mal wieder gerne zu Wort, wenn es um die Errungenschaften des Arbeiter-und-Bauern-Staates geht. 
Der einstige DDR-Staatsmann Egon Krenz (hier bei einer Lesung) meldet sich immer mal wieder gerne zu Wort, wenn es um die Errungenschaften des Arbeiter-und-Bauern-Staates geht. Bernd Elmenthaler/imago

Der 7. Oktober scheint in den Köpfen der Ostdeutschen noch immer einen festen Platz zu haben. Auch mir fällt bei diesem Datum sofort der DDR-Gründungstag ein, der sich nun zum 75. Mal jährt. Dass dazu eine Veranstaltung im Berliner Kino Babylon stattfand, will ich nicht kritisieren.

Und ich rege mich auch nicht darüber auf, dass der einstige DDR-Staatsmann Egon Krenz eine Lobesrede auf den SED-Staat als „deutschen Friedensstaat“ hielt. Was anderes hätte ich auch nicht erwartet. Doch als ehemaliger DDR-Bürger kann ich nicht alles so stehen lassen, was Krenz da sagte. Denn in einigen Punkten irrte sich Genosse Egon mächtig gewaltig.

Seine komplette Rede kann man dank der Jungen Welt im Internet nachlesen, was ich auch tat. Und an manchen Stellen zeigte Krenz Geschichtsvergessenheit. Mit „Kleinigkeiten“ geht es los.

So sagt Krenz: „Unsere Staatsdoktrin lautete: ,Von deutschem Boden darf niemals wieder ein Krieg ausgehen‘. Getreu der Hymne der DDR, in deren zweiter Strophe es hieß: ,Lasst das Licht des Friedens scheinen, dass nie wieder eine Mutter mehr ihren Sohn beweint.‘“

Krenz zitiert aus DDR-Hymne, deren Text man jahrelang offiziell nicht mehr sang

Was Krenz aber nicht sagt: Ab den 70er Jahren wurde die DDR-Hymne offiziell gar nicht mehr gesungen. Damit gab es den Text faktisch nicht mehr, den der Dichter Johannes R. Becher 1949 geschrieben hatte. Der Grund: „Lass uns dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland“, hieß es in der ersten Strophe. Und dieses Ziel galt fast 20 Jahre nach dem Entstehen der Hymne für die DDR nicht mehr als erstrebenswert.

Die ersten Zeilen der DDR-Hymne sind in einem Bleiglasfenster im Ratssaal des Chemnitzer Rathauses zu sehen.
Die ersten Zeilen der DDR-Hymne sind in einem Bleiglasfenster im Ratssaal des Chemnitzer Rathauses zu sehen.Wolfgang Schmidt/imago

Ein weiterer Irrtum von Krenz ist seine Behauptung: „Es wäre in der DDR einfach undenkbar gewesen, die Bevölkerung aufzufordern, sich ,kriegstüchtig‘ zu machen (Anspielung auf die Feststellung des Bundesverteidigungsministers Boris Pistorius, Deutschland müsse bis 2029 kriegstüchtig sein, Anm. d. A.). Bei uns, vor allem in der Ausbildung junger Menschen, hatte die Erziehung zum Frieden Priorität.“

Das sah dann in Wahrheit so aus: In der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) wurden männliche Jugendliche auf ihren Wehrdienst vorbereitet, die auch die Anwendung mit der Schusswaffe übten.

DDR-Friedensstaat: Warum gab es dann Wehrkunde als Schulpflichtfach?

Dazu diente auch Wehrkundeunterricht, der 1978 in der DDR für Schüler der 9. und 10. Klasse als Pflichtfach eingeführt wurde. Ich erinnere mich noch genau, wie ich dann kurz vor den Sommerferien in ein Wehrlager musste, wo NVA-Offiziere uns wie Soldaten behandelten, das Marschieren, das taktische Gefechtshandeln und das Schießen mit Kleinkalibergewehren beibrachten. In der Berufsausbildung ging es dann mit der „vormilitärischen Ausbildung“ weiter. 

Die DDR ein Friedensstaat? Bei der vormilitärischen Ausbildung der DDR-Jugend wurde auch mit der Waffe scharf geschossen. 
Die DDR ein Friedensstaat? Bei der vormilitärischen Ausbildung der DDR-Jugend wurde auch mit der Waffe scharf geschossen. Härtel Press/imago

Ja, das Wort „kriegstüchtig“ fiel in der DDR nicht. Aber was war das Ganze dann?  Klar, darüber sagt Krenz in seiner Lobesrede zum DDR-Friedensstaat nichts. Und wer sich als Jugendlicher gegen den Wehrkundeunterricht auflehnte, bekam meines Wissens schnell Besuch von der Stasi.

Wenn die DDR angeblich so ein Friedensstaat war: Warum wurden viele junge Männer in den Wehrkreiskommandos „bearbeitet“, drei Jahre und länger bei der Armee zu dienen, statt die regulären 18 Monate, weil man sonst den Studienplatz nicht bekäme?

Das ist keine Hetze der DDR-Feinde, lieber Herr Krenz. Ich habe es selber erlebt. Alles schon vergessen? Übrigens: Mir haben die 18 Monate im wahrsten Wortsinn gereicht.

Klar, der Friede muss bewaffnet sein, hieß es dazu immer in der DDR. Aber genau das erzählen uns auch so manche Politiker, die heute in Deutschland regieren, wenn es um Waffenlieferungen an die Ukraine geht, und die Krenz zu Recht oder zu Unrecht (darüber mag jeder selber urteilen) anprangert.

Doch in der DDR stand ja stets der Frieden im Vordergrund – so Krenz an jenem Abend im Kino Babylon. Er sagt: „Das waren nicht nur Bekenntnisse oder gar leere Worte, wie wir auch im Herbst 1989 bewiesen, als die DDR die Gewaltlosigkeit der Ereignisse garantierte. Der Ruf an die Streitkräfte der UdSSR ,Bleibt in den Kasernen‘ kam nicht von Gorbatschow, sondern war eine souveräne Entscheidung der DDR, die uns die Geschichtsfälscher streitig machen.“

Im Herbst 1989 bewies die DDR Gewaltlosigkeit? Zum 40. DDR-Geburtstag fuhren Wasserwerfer auf

Auch hier irrt Krenz: Denn die DDR ließ im Herbst 1989 die Stasi und die Polizei nicht in den Kasernen, etwa am 7. Oktober 1989, dem 40. DDR-Geburtstag, als Zehntausende Menschen in Ost-Berlin gegen das System und wegen der Wahlfälschung demonstrierten.

An jenem 7. Oktober riefen die Menschen „Gorbi, hilf uns!“ und „Keine Gewalt“. Doch kaum verließ Gorbatschow die Feierlichkeiten der Herrschenden im Palast der Republik, schlug die Staatsmacht zu. Auf den Ost-Berliner Straßen fuhr die Polizei Wasserwerfer und Räumfahrzeuge auf, die ich in meiner DDR bisher nie gesehen hatte – nur im Westfernsehen, wenn man „drüben“ mit schwerem Gerät gegen Demonstranten vorging.

Volkspolizisten mit Helmen und Schilden bei den Demonstrationen im Herbst 1989 in der DDR – solche Polizei-Ausrüstung kannte man damals bisher nur vom Westen. 
Volkspolizisten mit Helmen und Schilden bei den Demonstrationen im Herbst 1989 in der DDR – solche Polizei-Ausrüstung kannte man damals bisher nur vom Westen. Volkmar Heinz/dpa

Aber in der DDR – da machte man es nun auch. Demonstranten wurden durch die Straßen gejagt, Polizisten schlugen mit Schlagstöcken zu. Am 7. und am 8. Oktober 1989 wurden 1071 Frauen und Männer verhaftet und ins Stasi-Gefängnis „zugeführt“, wie es so schön im Stasi-Sprech hieß. Wo war denn da die garantierte Gewaltlosigkeit, von der Krenz in seiner DDR-Lobesrede sprach?

Sicher hat Krenz recht, wenn er sagt: Ginge es nach einigen Leuten, „bliebe die DDR in der Erinnerung der Menschen: Nur ,ein Millionenhäuflein gegängelter Kreaturen‘, eingesperrt hinter einer Mauer mit einer ,schrottreifen Wirtschaft‘, umgeben von ,Mief und Muff und der Staatssicherheit‘. Nein. So war die DDR nicht!“ Ich füge hinzu: Nein, so war die DDR nicht nur – zum Glück!

Norbert Koch-Klaucke schreibt im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com