Als ich in der vorigen Woche nach dem Spiel von Hertha gegen Holstein Kiel nach Hause kam, waren zahlreiche Kurznachrichten auf meinem Smartphone aufgelaufen – von Freunden und Bekannten. Sie alle reagierten frustriert auf den umstrittenen Foulstrafstoß in Minute 98 (!), der erst durch die Intervention des VAR (Video Assistent Referee) aus dem Kölner Keller gegeben wurde und Kiel das 2:2 bescherte. Ein ehemaliger Kollege und Fußball-Liebhaber schrieb u.a. drastisch: „Ich finde, der Fußball stirbt gerade. Ich gucke kaum noch. Es reicht einfach. Jetzt haben wir den Kölner Folter-Keller!“
Die Situation noch einmal in Kurzfassung: In der letzten der mit fünf Minuten ohnehin zu üppigen Nachspielzeit meldete sich plötzlich der VAR. Schiedsrichter Bastian Dankert hatte nach einem Zweikampf an der Strafraumgrenze zwischen Herthas Linus Gechter und Kiels Patrick Erras zunächst weiterspielen lassen. Nach Betrachten der Bilder revidierte er seine Entscheidung und gab den Elfmeter. Die Stimmung der Hertha-Anhänger pendelte zwischen Entsetzten, Wut und grenzenloser Enttäuschung.
Herthas VAR-Bilanz ist fast ausgeglichen
Es geht mir an dieser Stelle überhaupt nicht darum, die Schuld am vergebenen Sieg der Dardai-Truppe dem Referee samt VAR in die Schuhe zu schieben. Sie handelten wohl regelkonform, hätten sich aber auch anders entscheiden können. Nicht nur aus meiner Sicht lag bei Dankerts erstem Impuls (Weiterspielen!) keine klare Fehlentscheidung vor. Und nur dann darf der VAR eingreifen.

Solche Strafstöße wie gegen Kiel – angestoßen vom Kölner Keller und dramatisch auf die Spitze getrieben, weil er in letzter Sekunde gegeben wurde – gibt es immer wieder. Sie entscheiden selten über Auf- oder Abstieg, weil sich – wie es immer so schön heißt – Fehlentscheidungen gegenüber einer Mannschaft am Saisonende meist ausgleichen.
In der Abstiegssaison 2022/23 war Hertha in sechs strittige VAR-Entscheidungen verwickelt – zweimal gingen die überprüften Szenen pro Hertha aus, viermal negativ. Man hatte kaum vom VAR profitiert, ist aber seinetwegen erst recht nicht abgestiegen. In der laufenden Saison lautet das Verhältnis bislang vier (pro Hertha) zu drei (gegen Hertha).
VAR: Was hat das noch mit Fußball zu tun?
Besonders bitter aber war die Entscheidung im Spiel gegen Kiel deshalb, weil Hertha BSC mit einem Sieg noch einmal näher an die Spitzengruppe der Liga herangekommen wäre und dieser Erfolg gegen eine Top-Mannschaft im Saisonendspurt vielleicht noch einmal ungeahnte Kräfte freigesetzt hätte.
Als der VAR eingeführt wurde (in der Zweiten Liga 2019/20), war es die Idee, den Fußball gerechter zu machen. Doch das scheint nicht aufzugehen. Stattdessen werden vor allem Emotionen zerstört. Kalibrierte Linien auf Monitoren sollen beweisen, dass jubelnde Torschützen vielleicht zwei Zentimeter mit der Fußspitze im Abseits standen. Was hat das noch mit Fußball zu tun?

Auch der ehemalige Fifa-Schiedsrichter Siegfried Kirschen aus Bad Saarow sagte mir Ende vorigen Jahres in einem Interview: „Herrliche Tore, die in die Annalen eingegangen wären, werden wegen Millimetern aberkannt. Die Schiedsrichter sind oft verunsichert. Sie wollen keine Fehler machen, die ihnen durch den VAR nachgewiesen werden.“
Ex-Schiri Kirschen: „Der VAR ist gescheitert“
Kirschen, einst bei zwei Weltmeisterschaften im Einsatz, sagte auch: „Mit dem VAR sollte das Spiel einfacher und attraktiver gemacht werden. Das ist gescheitert. Man kann den Versuch wagen, aber man muss nach einer gewissen Zeit auch den Mut haben zu sagen, das war nicht erfolgreich.“ Fakt ist: Noch immer ist der VAR ein fehlerhaftes Konstrukt.
Als Herthas Angreifer Florian Niederlechner im letzten Hinrundenspiel gegen Osnabrück (0:0) einem VfL-Spieler hart auf den Fuß getreten war, zückte Referee Patrick Ittrich zuerst die Gelbe Karte. Erst nach Eingreifen des VAR aus Köln gab er dann Rot! Niederlechner rief bei seinem Abgang wütend: „Scheiß Videobeweis!“ Im ARD-Interview sagte er danach: „Ich hoffe, dass der Schmarrn mit dem Videobeweis endlich mal vorbei ist!“ Dem möchte ich nichts hinzufügen. ■