Die jüngste 0:2-Niederlage des großen Klubs Hertha BSC im Olympiastadion gegen die kleine SV Elversberg, bei der die Berliner eine erbärmliche Vorstellung ablieferten, hat Hertha erneut in eine Krise gestürzt. Eigentlich in eine Situation, die seit Jahren ein Dauerzustand ist. Ein Frage-Antwort-Spiel in der Pressekonferenz nach dem Duell ließ mich aufhorchen. Ein Journalisten-Kollege von der Saarbrücker Zeitung fragte Cheftrainer Stefan Leitl: „Kann es sein, dass Elversberg mit seinen paar Tausend Einwohnern noch immer unter dem Radar schwimmt und unterschätzt wird?“ Leitls Antwort: „Nein, die letzten Jahre haben gezeigt, dass Elversberg nicht unterschätzt wird. Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen, weil ich bei einem ähnlichen Verein gearbeitet habe. Dort werden viele gute, schnelle Entscheidungen getroffen. Der Fokus liegt klar auf Fußball!“
Mir stellte sich anschließend die Frage: Liegt bei Hertha BSC etwa der Fokus nicht auf Fußball, dem Kerngeschäft? Ich glaube nicht, dass Leitl bei seiner Antwort an die Hertha gedacht hat, aber tatsächlich bietet Hertha und vor allem die Stadt Berlin den Profis zahlreiche Möglichkeiten der Ablenkung, des Ausbrechens aus dem täglichen Rhythmus von Training und Spiel, die an einem kleinen Standort wie etwa Elversberg, Heidenheim oder auch Fürth und Ingolstadt (bei den beiden letztgenannten Vereinen war Leitl einst erfolgreich) nicht zu finden sind.

Sind Versuchungen der Stadt Berlin nicht gut für Hertha BSC?
Fakt ist, dass Berlin ein gewichtiger Faktor ist, wenn sich Spieler für die Hertha entscheiden. Lassen sich die Profis zu sehr beeinflussen von den Versuchungen der Großstadt? Dreht sich bei einem Klub, der medial intensiv begleitet wird, zu viel um Social Media, um Sponsoren, um Marketing in eigener Sache? War zum Beispiel der Hype um Fabian Reese und dessen Bekenntnis zu Hertha zu groß? Ist das Team überschätzt worden? Im Moment ist vieles zu hinterfragen, denn bei Hertha scheitern seit Jahren reihenweise Trainer und auch Profis, die später anderenorts groß herauskommen.
Es scheint, als ob in der Saison-Vorbereitung etwas schiefgelaufen ist. Es wäre zudem ein Armutszeugnis, wenn die Profis mit dem Saisonziel (Aufstieg jetzt!) nicht klarkommen. Manchmal scheint es, also ob Hertha untrainierbar ist. Ist der Leitl-Effekt als Retter vor dem Sturz in Liga drei schon verpufft? Ich glaube nicht. Für mich ist der erfahrene Coach – man verzeihe mir den Ausdruck – derzeit die „ärmste S…“! Neun verletzte Spieler – viele sogar Langzeitverletzte – zu ersetzen, ist eine Mammutaufgabe. Hinzu kommt, dass Herthas Führung einen riskanten Kurs fährt, weil man trotz des Riesen-Lazaretts und der sportlichen Talfahrt nicht noch einmal auf dem Transfermarkt tätig wurde.
Tatsache ist, dass man weder den großartigen Kämpfer Jonjoe Kenny noch Edeltechniker Ibrahim Maza oder auch den mit allen Wassern gewaschenen Oldie Florian Niederlechner adäquat ersetzen konnte.
Leistungskultur bei Hertha BSC wird infrage gestellt
Kollege Marc Schwitzky kritisiert auf RBB24 die fehlende Leistungskultur bei Hertha und sagt, man kratze nie an den 100 Prozent. Das kann ich nur bestätigen. Das letzte Mal, dass das komplette Team aus meiner Sicht 120 oder gar 130 Prozent gegeben hatte, war für mich beim hochemotionalen DFB-Pokaldrama im Dezember 2023 gegen den Hamburger SV (8:6 nach Elfmeterschießen). Damals bin ich begeistert nach Hause gefahren. Vielleicht passt noch der 1:0-Sieg beim 1. FC Köln im April 2025 mit einem Traumtor von Reese – mit Abstrichen in die Kategorie „über 100 Prozent“.
Solche Auftritte sind nun regelmäßig nach der Länderspielpause gefordert. Am Montag trat Dr. Peter Görlich (58) sein Amt als neuer Geschäftsführer der Hertha an. Seine für mich wichtigsten Aussagen: „Ich bin nur an Erfolg interessiert!“ Oder: „Es geht um Spitzensport, um Spitzenleistungen!“ Und: „Wir werden alles hinterfragen, radikal neu denken und uns an Ergebnissen messen lassen!“ Das sollte für die Mannschaft und die Klubführung gelten.