An welches Gebäck denken Sie, wenn sie an das Weihnachtsfest denken? Bei manchen sind es die selbstgemachten Plätzchen, bei anderen die Zimtsterne vom Bäcker nebenan. Ich komme ursprünglich aus Sachsen – da können Sie sich sicherlich vorstellen, dass es kein Weihnachtsfest ohne Stollen gibt. Heute liegen das Gebäck in jedem Supermarkt, die Handwerksbäcker wurden seltener. Doch der beste Stollen kommt nicht aus der Industrie. Sondern muss mit Liebe gemacht werden. Das war schon in der DDR so – von der Back-Tradition aus der damaligen Zeit kann man sich heute eine (Stollen-) Scheibe abschneiden!
Nicht nur DDR: Stollen blickt auf eine lange Geschichte zurück
Der Stollen blickt auf eine lange Geschichte zurück, die allerdings schon weit vor der DDR-Zeit begann. Laut Lexikon wurde das Gebäck erstmals in einer Urkunde aus dem Jahr 1329 erwähnt – hier erinnerte er aber eher noch an ein Weißbrot. Heute kommt der bekannteste Stollen aus Dresden … und auch der beste! Er ist so gut, dass Bäcker im deutschsprachigen Raum bis 1990 nur zu gern die Bezeichnung „Dresdner Stollen“ nutzten. Zur Deutschen Einheit wurde auch der Stollen verhandelt: „Dresdner Stollen“ dürfen seit der Wende nur noch Stollen heißen, die wirklich aus Dresden kommen.
Besonders wird der Dresdner Stollen vor allem dadurch, dass er so gehaltvoll ist. Hier wird mit der Butter nicht gegeizt – und auch nicht mit den anderen Zutaten. Auf 100 Teile Mehl muss ein echter Dresdner Stollen 50 Teile Butter enthalten, außerdem 65 Teile Sultaninen, 20 Teile Orangeat oder Zitronat und 15 Teile Mandeln.

Ein echter Dresdner Stollen muss ein „Flüsterstollen“ sein – ein Stollen, bei dem die Rosinen so dicht beieinander liegen, dass sie miteinander flüstern können. Nur dann ist er richtig lecker. Und glauben Sie mir: Ich habe als Stollen-Fan schon andere Varianten gegessen.
Stollenschilder in der DDR: Auf dem Dorf waren sie sehr wichtig
Beim Stollen ist der Blick auf die Vergangenheit übrigens besonders spannend. Denn: Vor allem auf dem Land war das Backen der Weihnachtsstollen früher ein wichtiger Teil der Tradition. Ich komme aus Schmilka, einem kleinen Dorf in der Sächsischen Schweiz, direkt an der tschechischen Grenze gelegen – aktuell zählt die winzige Ortschaft nicht einmal 100 Einwohner. Auch hier gehörte der Stollen immer zur Weihnachts-Tradition – doch aus der Fabrik kam er nicht. Stattdessen spielten Stollenschilder eine wichtige Rolle, die „Butterbürste“ – und die Tatsache, dass meine Oma bei der HO arbeitete, der Handelsorganisation der DDR.

Im Dorf gab es damals einen eigenen Bäcker – die Bäckerei Thomas befand sich mitten im Ort. Der Bäcker, der dort arbeitete, kümmerte sich um die Stollen für das gesamte Dorf. Jedes Jahr rund um Nikolaus wurden die Christstollen dort gebacken. Und zwar mit den Zutaten, die die Familien selbst auftreiben konnten. Um Mehl, Hefe und Zucker kümmerte sich der Bäcker selbst, die Dorfbewohner lieferten Rosinen, Mandeln, Orangeat, Zitronat und – die wichtigste Zutat – die Butter. Wie gut der Stollen war, den man bekam, hing also etwa davon ab, ob man Verwandte im Westen hatte, die im Westpaket beispielsweise Orangeat und Zitronat schickten. Meine Oma arbeitete in der HO, saß an der Quelle, kam also unter der Hand noch leichter an die wichtigen Zutaten.
Der Bäcker machte in der DDR die Stollen für das ganze Dorf
Die Dorfbewohner brachten ihre Zutaten zum Bäcker, der einen Teig mit den jeweiligen Beigaben anrührte. „Am Abend davor haben wir zu Hause immer die Mandeln geschält“, sagt mein Vater. Als Kind durfte er mitmachen, schließlich waren die Finger herrlich klein. Die Stollen wurden dann in der Bäckerei gebacken. Hier wurden die „Stollenschilder“ wichtig: Kleine Schilder aus Metall mit eingestanzten Namen, die in die Stollen gesteckt wurden. Schließlich musste der Bäcker manchmal die Stollen mehrerer Familien zusammen backen – und sie trotzdem auseinanderhalten können.

Die fertigen Stollen wurden dann abgeholt und im Huckelkorb auf den Berg getragen – 70 Treppenstufen führten zum Haus meiner Oma. Im Gästezimmer, in dem zur Urlaubssaison Mitarbeiter der Mitropa Dienstunterkunft bezogen, wurden die Weihnachtsstollen gelagert. Auftritt für die Butterbürste! „Es stand dort immer ein Metalltöpfchen mit Butter, die auf dem Ofen flüssig gemacht wurde“, erinnert sich mein Vater. „Bevor ein Stollen angeschnitten wurde, wurde er mit Butter eingepinselt und mit Puderzucker besiebt.“ Natürlich gab es dadurch nicht nur einen Stollen im Hause, sondern mehrere – meistens wurde der letzte Weihnachtsstollen zu Ostern aufgetischt.

Stollen selber backen: Machen Sie's mal wie in der DDR!
Heute liegen das Gebäck in den meisten Supermärkten – manchmal mit Zutaten, die keine Hausfrau freiwillig in den Stollen werfen würde. Leider sind wir auch etwas faul geworden, der Weg zum Handel bequemer. Ich habe allerdings vor ein paar Jahren angefangen, Stollen wieder selbst zu backen. Natürlich nicht in so großen Mengen wie die Bäckerei Thomas in Schmilka. Und natürlich gelingt er nicht so wie vom professionellen Handwerksbäcker. Und doch ist es herrlich, den duftenden Stollen aus dem Ofen zu ziehen – und ein Stück der alten Traditionen zurückzuholen. Denn von der Liebe, die damals in solche Weihnachtsleckereien gesteckt wurde, können wir uns heute eine Scheibe abschneiden!




