In Mellensee im Landkreis Teltow Fläming machen Passanten immer wieder eine ungewöhnliche Entdeckung: Immer zur selben Uhrzeit, meist an der gleichen Stelle an der L79 entdeckt etwa Bettina Heinzmann junge Wildschweine mit einer ungewöhnlichen Färbung. Sie wendet sich an die Lokalzeitung MAZ, die darüber berichtet. Was ihr da immer wieder auffällt, sind Wildschweine: „Es sind weiße Frischlinge mit schwarzen Punkten“, sagt die Frau. Doch woher kommen die ungewöhnlich gefärbten Tiere? Sind es Kreuzungen wilder Schweine mit Hausschweinen? Oder genetische Ausnahmen, Albinos? Und was hat die DDR damit zu tun?
Die MAZ macht sich auf die Suche nach Erklärungen und wird schnell in der Jägerschaft fündig. „Ja, es gibt weiß gefleckte Wildschweine, obwohl sie in freier Wildbahn recht selten sind“, sagt Kai Hamann, Geschäftsführer vom Landesjagdverband Brandenburg in Michendorf der MAZ. Für den Jäger aber sei eine solche Sichtung nichts Besonderes – auch er hätte schon welche gesehen.

Weiße Wildschweine in Brandenburg: Spuren früherer DDR-Mastbetriebe?
Vor allem in der Nähe von ehemaligen DDR-Mastbetrieben würden diese Exemplare vorkommen, und wären in Brandenburg gar keine Seltenheit. „Da sind früher in den DDR-Mastbetrieben auch schonmal Hausschweine ausgerissen und haben sich gekreuzt“, sagt Kai Hamann gegenüber der Zeitung. Wildschweinen bietet ihr normalerweise braunes oder schwarzes Fell eine gute Tarnung. Genetische Variationen können zu Exemplaren mit ungewöhnlichen Fellmustern führen. In diesem Fall dürfte die Tiere Erinnerungen an alte Zeiten der DDR-Landwirtschaft sein. Dabei ist die Massentierhaltung in der DDR wahrlich kein Ruhmesblatt, kein Wunder dass die Schweine türmten.
„Schweinemastanlagen in der DDR sollten möglichst schnell möglichst viel billiges Fleisch produzieren, um an Devisen aus dem Westen zu gelangen“, heißt es in einem MDR-Bericht zum Thema. Die Konsequenzen für die Menschen und Umwelt der betroffenen Dörfer seien verheerend gewesen.
Denn ab Ende der 1950er Jahre führte die SED „sozialistische Produktionsverhältnisse“auf dem Land ein. Nutztierhaltung hieß, dass riesige Anlagen für die „industrielle Tierproduktion“ entstanden. Bei Neustadt an der Orla in Thüringen etwa stand eine der größten Schweinemastanlagen der Welt mit 185.000 Tieren. Gülle und Gestank, überdüngte Felder in der ganzen Umgebung waren die Folge.

In Sachsen-Anhalt entstand 1970 in Maasdorf gar ein Schweine-Hochhaus. Der Klotz, in dem Ferkel auf mehreren Etagen gehalten wurden, galt in der DDR als Prestigeobjekt für moderne Tierhaltung. Ferkel wurden auf sechs Etagen mit zwei Aufzügen effektiv produziert. Das sogenannte Schweinehochhaus gilt als einmalig in Europa. In China kopiert man mittlerweile diese Produktionsweise. Unfassbar: bis zum Frühjahr 2018 lebten in dem Gebäude noch bis zu 3000 Schweine.
Sozialistische Schweine in der DDR: zur Hälfte Duroc
Mit der Schweinerasse „Leicoma“ hatte die DDR sich sogar eine eigene sozialistische Schweinerasse gezüchtet. Das Leicoma-Mastschwein sollte schnell viel Fleisch ansetzten. Sein Name leitet sich aus den drei DDR-Bezirken Leipzig, Cottbus und Magdeburg ab, in denen die hauptsächlichsten Zuchtbetriebe lagen. Das Leicoma-Schwein zeichnet sich vor allem durch seine Robustheit und hohe Fleischqualität aus. Diese hat es maßgeblich vom Duroc-Schwein geerbt.

Heute gibt es nur wenige Züchter der Rasse. Der größte befindet sich in Sachsen-Anhalt. In Gimritz nahe Halle an der Saale werden die Leicoma-Schweine allerdings unter weit besseren Bedingungen gehalten, als in der DDR. Die Rasse gilt als stark gefährdet. Ein Niederländer, Wouter Uwland, rettete mit der Raunitzer Agrar GmbH die letzten Schweine der DDR und züchtet die Rasse in Sachsen-Anhalt erfolgreich weiter. Neben ihm gibt es bundesweit nur noch neun Leicomazüchter bzw. -halter. Drei in Sachsen-Anhalt, zwei in Thüringen und jeweils einen in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Im Herdbuch, das für ganz Deutschland geführt wird, seien aktuell 123 Zuchtsauen eingetragen. Davon halte Uwland allein 100, so ein Artikel der Bauernzeitung.
Leicoma-Schweine haben ihren eigenen Kopf
Das Leicoma-Schwein gilt als stur, hat seinen eigenen Kopf. Gut möglich also, dass solche Tiere damals aus den DDR-Mastanlagen ausbüxten und noch heute ihr genetisches Erbe bei Wildschweinen sichtbar wird.
Übrigens: auch in Berlin lässt sich das Fleisch der sozialistischen Rasse probieren. Der prämierte Fleischermeister Markus Benser, desse Familie aus Weimar stammt, verwendet es gern und ist überzeugt von der Qualität: „Letztendlich hat die DDR nur versucht, ein typisches Bauernschwein wiederzubeleben, weil sie genau das erkannt haben, was ich auch erkannt habe, dass eben traditionelle Rezepturen nicht zu moderner industrieller Tierhaltung passen. Am liebsten würden Sie hören: In der DDR war alles schlecht, aber wenn ick eins sagen kann: Das war mal ’ne richtig gute Erfindung“, so Benser einmal in einer Reportage der Deutschen Welle. ■