Auch Zugezogene?

Wer darf sich eigentlich Berliner nennen? DAS Umfrageergebnis ist krass

In Berlin reicht Ankommen nicht. Wer dazugehören will, muss laut einer Umfrage schon im Kreißsaal Berliner Luft geschnuppert haben. Quatsch oder richtig?

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Berlin hat für seine Bewohner viel zu bieten. Aber längst nicht jeder ist Berliner – oder?
Berlin hat für seine Bewohner viel zu bieten. Aber längst nicht jeder ist Berliner – oder?Annette Riedl/dpa

Berlin wächst – Tag für Tag, Straße für Straße, Viertel für Viertel. Die Metropole kratzt an der Vier-Millionen-Grenze, zieht Menschen aus aller Welt an. Sie alle folgen einem Aufstiegsversprechen, wollen hier Familien gründen, Karriere machen oder einfach nur als Lebenskünstler was erleben. Doch bei einer Frage hört für viele „Eingeborene“ der Spaß auf: Wer darf sich überhaupt Berliner oder Berlinerin nennen?

Die Frage ist natürlich albern. Oft wird sie von Leuten vorschnell beantwortet, die auch meinen, Deutscher sei nur, wer in Deutschland geboren wurde oder dessen Eltern Deutsche sind. Aber gerade jetzt, in der drangvollen Enge Berlins, wird die Frage nach dem Berliner Original besonders laut. Was auch zeigt, dass der Kampf um Lebensraum in unserer Stadt härter geworden ist.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey hat im Auftrag der Berliner Morgenpost nachgefragt. Das Ergebnis dürfte die „Stadt der Freiheit“, wie die deutsche Hauptstadt von Berlin-Werbern gerne genannt wird, ernüchtern. Die Berlinerinnen und Berliner haben dazu nämlich eine ziemlich klare Meinung. Und die ist strenger, als manche vielleicht denken würden.

Man könnte meinen, in Berlin zählt der Vibe, die Haltung, die sprichwörtliche Schnauze. Falsch gedacht. Für 45 Prozent der Befragten ist die Sache eindeutig: Berliner ist nur, wer in Berlin geboren wurde. Aufwachsen in der Stadt? Das reicht nur für 18 Prozent. Und sich einfach so fühlen wie ein Berliner? Dies akzeptieren gerade 16 Prozent der Befragten.

Zehn Jahre Wohnsitz gilt auch nur für zehn Prozent als Kriterium. Wie sieht es mit fünf Jahren aus? Dazu gibt es ein Nicken von bloß vier Prozent. Und wer sich einfach so benimmt wie ein Berliner – laut, direkt, ehrlich, der erntet nur bei zwei Prozent der Befragten Zustimmung.

Berlin, Stadt der Freiheit? Pustekuchen!

Spannend wird es beim Blick auf Alter und Lebenslage: Wer älter ist, sieht das Berliner Dasein konservativer. 51 Prozent der über 65-Jährigen verlangen den Geburtsort Berlin, bei den 40- bis 49-Jährigen sind es 48 Prozent. Bei den Jüngsten (18 bis 29 Jahre) ist man deutlich entspannter: Nur 24 Prozent dieser Gruppe der Befragten bestehen auf einer Geburt in der Hauptstadt, dafür sagen 36 Prozent, hier aufwachsen reicht völlig aus.

Auch der Beziehungsstatus mischt mit: Geschiedene sind besonders streng – 52 Prozent von ihnen halten in der Frage die Geburtsurkunde für wichtig. Verheiratete, Ledige oder Verwitwete sind mit je 44 Prozent weniger dogmatisch.

Junge Leute ziehen nach Berlin, um sich hier zu verwirklichen.
Junge Leute ziehen nach Berlin, um sich hier zu verwirklichen.Seeliger/imago

Ein weiteres Muster zeigt sich beim Bildungsgrad: Wer ein Abitur in der Tasche hat, sieht das Thema lockerer (41 Prozent bestehen auf den Geburtsort). Bei Menschen mit Mittlerer Reife liegt die Quote dagegen bei 56 Prozent. Hauptschulabschluss oder gar kein Schulabschluss: Immerhin 49 Prozent pochen auch hier auf das Geburtsrecht.

Kleine, aber feine Unterschiede zeigen sich auch zwischen Ost und West: 47 Prozent der Ostdeutschen sagen „nur wer hier geboren wurde“ soll Berliner sein dürfen, bei den Westdeutschen sind es 44 Prozent. Immerhin ein kleiner Beweis dafür, dass sich zumindest ein bisschen deutsche Einheit durchgesetzt hat – allerdings im Ausschlussdenken.

Wer Berliner sein darf, das hängt auch vom Wahlverhalten ab

Richtig interessant wird es bei der politischen Einstellung: Wer FDP, AfD oder BSW gewählt hat, ist sich ziemlich einig – knapp 60 Prozent dieser Gruppe sagt: Berliner ist man nur, wenn man hier geboren wurde. CDU/CSU-Wähler sind mit 46 Prozent auf dieser Linie.

Anders sieht’s im linken Lager aus: Nur 28 Prozent der Linken-Wählerschaft pochen auf den Geburtsort, bei den Grünen sind’s 34 Prozent, bei der SPD immerhin noch 42 Prozent.

Menschenschlange vor dem Club Berghain in Berlin. Die Türsteher dort machen keinen Unterschied zwischen Berlinern und Nicht-Berlinern.
Menschenschlange vor dem Club Berghain in Berlin. Die Türsteher dort machen keinen Unterschied zwischen Berlinern und Nicht-Berlinern.Berlinfoto/imago

Und wer findet, jeder solle das für sich entscheiden dürfen – das sagen 25 Prozent der SPD-Anhänger, 24 Prozent bei CDU/CSU, 21 Prozent bei den Grünen – aber nur fünf Prozent der FDP-Wählerschaft. Dort gilt offenbar: Selbstdefinition ist immer schön, nur bitte nicht in Berlin.

Die Debatte zeigt: In Berlin wohnen viele – doch Berliner sein, das ist für etliche eine exklusive Angelegenheit. Herkunft schlägt Haltung, Status und Besitzstand schlagen Sympathie.

Übrigens: 1500 Berlinerinnen und Berliner ab 18 Jahren haben zwischen dem 28. März und 8. April bei der Civey-Umfrage mitgemacht. Die Ergebnisse sind repräsentativ – und sie offenbaren ein Selbstbild, das mit der weltläufigen Hauptstadt, die sich selbst als freie Metropole definiert, nicht immer im Einklang steht.

Und manchmal stellt man sich wirklich die Frage: Will Berlin überhaupt, dass alle dazugehören – oder lieber nur die, die schon immer da waren, und langsam, aber sicher aussterben?

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