Knallharter Sparkurs

Wenn Stadler schrumpft, kommen unsere Züge bald aus China

Krise beim Bahnprofi Stadler in Pankow. Gewerkschafter Jan Otto: „Die Lage ist dramatisch“. Monatelang können Teile wie Schrauben nicht beschafft werden.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Neue S-Bahn Züge im Einsatz. Die neue S-Bahn wurde von Siemens Mobility und Stadler in Pankow gebaut.
Neue S-Bahn Züge im Einsatz. Die neue S-Bahn wurde von Siemens Mobility und Stadler in Pankow gebaut.imago images/Rüdiger Wölk

Das Pankower Unternehmen Stadler bittet seine Mitarbeiter um Hilfe bis hin zum Lohnverzicht. Jan Otto von der IG Metall erklärt im Gespräch mit der Berliner Zeitung, was möglich ist – und was nicht. Unterdessen bekommt er Rückenwind von Kai Wegner: Nach Berichten über mögliche Sparmaßnahmen am Berliner Standort des Zugbauers Stadler hat der Regierende Bürgermeister die Unterstützung des Senats zugesagt. „Wir werden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um Stadler und seine Mitarbeiter bestmöglich zu unterstützen“, teilte er auf der Plattform X mit. Oberstes Ziel sei es, die Zukunft des Standorts und die Sicherheit der Arbeitsplätze in Berlin zu sichern.

Eins macht der IG-Metall-Verhandler auch gleich klar: Über Arbeitsplatzstreichungen und Kapazitätsabbau, wie sie das Unternehmen unter anderem erwägt, möchte Jan Otto nicht sprechen: „Kein Beschäftigungsabbau, keine Teilstandortschließung bei Stadler“, fordert er. „Über diese Themen will ich nicht sprechen. Wir wollen, dass Stadler weiterhin Bahnen aus Berlin für Berlin liefert – und für die Welt. Deshalb werde ich da keine Luft ranlassen“, sagte er der Berliner Zeitung.

Stadler am Traditionsstandort in Berlin-Pankow unter Druck

Anfang der Woche hatte die Meldung über wirtschaftlichen Druck bei Stadler Deutschland die Runde gemacht. Ausgerechnet im stetig wachsenden Werk in Pankow sollten Mitarbeiter den Gürtel enger schnallen. Vorstandschef Jure Mikolčić und Jörg Nuttelmann, CEO des Werks Pankow hatten bei einer Betriebsversammlung die Katze aus dem Sack gelassen und ein hartes Struktur- und Effizienzprogramm angekündigt.

Nun geht es mit der IG Metall um die Details. Wie hoch die Einsparsumme ausfallen soll, weiß derzeit keiner. Aber ohne einen Beitrag der Beschäftigten gehe es nicht, so viel wurde klargemacht.

„Was unsere Aufstellung und Handlungsfähigkeit anbelangt, mache ich mir keine Sorgen“, sagt Jan Otto der Berliner Zeitung. „Zur Kundgebung am Mittwoch konnten wir viele Kollegen mobilisieren. Die IG Metall hat Stadler ein klares Ultimatum gestellt: Die Themen Beschäftigungsabbau und Teilstandortschließung müssen bis Freitag vom Tisch. Wenn das der Fall ist, dann können wir anfangen zu verhandeln.“ Standort- und Beschäftigungssicherungen stünden im Vordergrund.

Stadler-Chefs sehr deutlich gegenüber Mitarbeitern

Jan Otto zeigte sich zuversichtlich: „Ich schätze Jure Mikolčić, weil er anders als manche andere Akteure in der Industrie mit offenen Karten spielt. Er und die anderen Stadler-Chefs waren während der Betriebsversammlung sehr deutlich. Danach wussten die Kollegen: Wenn wir uns nicht bewegen, könnten einige von uns den Job verlieren.“

Dass das Schweizer Unternehmen auf Herausforderungen wie Lieferkettenprobleme und gestiegene Löhne reagieren muss, kann der Gewerkschafter verstehen. „Lieferkettenprobleme, die während der Corona-Pandemie und nach dem russischen Angriff auf die Ukraine entstanden sind, belasten die gesamte deutsche Wirtschaft.“ Bei Stadler könnten auch heute noch monatelang Teile nicht beschafft werden, manchmal seien es nur Schrauben.

Jan Otto, Erster Bevollmächtigter IG Metall Berlin, kämpft für den Erhalt von Standort und Arbeitsplätzen bei Stadler in Pankow.
Jan Otto, Erster Bevollmächtigter IG Metall Berlin, kämpft für den Erhalt von Standort und Arbeitsplätzen bei Stadler in Pankow.Christoph Soeder/dpa

Ein Dilemma wie in Görlitz darf sich nicht wiederholen

Ein Dilemma wie bei Bombardier/ Alstom werde der IG Metall kein zweites Mal passieren, erklärt Jan Otto der Berliner Zeitung. „Dort haben wir schmerzlich erlebt: Sobald erst einmal der Abbau von Arbeitsplätzen zugelassen wird, geht der Abbau danach immer weiter – so weit wie in Görlitz, wo Alstom 2026 die Produktion einstellt. Wenn wir solche Entwicklungen zulassen, können wir sie nicht mehr einfangen. Oder anders formuliert: Wenn ein Unternehmen die Fertigungstiefe zu sehr verringert, ist es irgendwann damit vorbei. Was in Görlitz passiert, ist jammerschade. Das darf uns nicht noch einmal passieren.“

Bei Stadler habe man eine tolle Belegschaft, die wolle man halten, so Otto. Doch beide Seiten müssten bereit sein, tief in die Prozesse zu gehen – damit Stadler nachhaltig Kosten sparen kann.

Einbußen beim Lohn sieht der Gewerkschafter dabei eher skeptisch: „Bei Stadler haben wir bereits eine Absenkung um fünf Prozent im Vergleich zum Flächentarifvertrag, und es wird dort schon drei Stunden pro Woche länger gearbeitet.“ Fachkräfte hält man nicht, indem man noch weniger zahlt.

Stadler ist ausgelastet ohne Ende

„Die Auftragslage ist sehr gut, mehr als 1700 Beschäftigte arbeiten an den Standorten Berlin-Pankow, Hennigsdorf und Velten. Stadler ist ausgelastet ohne Ende.“

Deutschland braucht eine nationale Strategie

„Was mir ebenfalls wichtig ist: Hier geht es nicht nur um ein regionales Problem“, sagt Otto. „Es geht um die Zukunft eines ganzen Industriezweigs. In der deutschen Schienenfahrzeugindustrie gibt es nur noch drei Player, die relevant sind: Siemens Mobility, Stadler und Alstom. Die Lage ist dramatisch. Von der hohen Zahl an Arbeitsplätzen in der Produktion, die wir noch vor wenigen Jahrzehnten hatten, ist nicht mehr viel übriggeblieben – vor allem nicht bei Alstom. Dort ist es immer weiter bergab gegangen.“

Was Deutschland brauche, sei eine „nationale Strategie. Wenn wir nun auch bei Stadler einen Schrumpfkurs zulassen, dann müssen wir bald sagen: Unsere Züge kommen von überall her – aber nicht mehr aus Deutschland, sondern aus China oder anderen Ländern“, warnte Otto. ■