Für die BVG-Beschäftigten gibt es mehr Lohn, Streiks sind kein Thema mehr. So dachten es sich die Berliner jedenfalls, als sich vergangenen Donnerstag Verdi und die Arbeitgeberseite endgültig auf einen Tarifabschluss bei den Verkehrsbetrieben einigten. Doch hinter den Kulissen wird gerade erneut in der Belegschaft abgestimmt. Fast zwei Wochen lang müssen sich vor allem die Verdi-Mitglieder unter den Bus- und Bahnfahrern entscheiden, ob sie die Lohnerhöhung nehmen oder weiter streiken wollen.
Alles sieht bisher nach Friede, Freude, Eierkuchen aus. Die Vertreter der Arbeitgeberseite und Verdi zeigten sich zumindest nach Außen erfreut über die endgültige Tarifeinigung, die seit dem 7. April vorliegt.
Der Monatslohn der BVG-Fahrer soll sich inklusive aller Schichtzulagen um 585 Euro erhöhen. Bei den Mitarbeitern, die etwa in der Verwaltung tätig sind, steigt das Monatsgehalt um 430 Euro. So weit, so gut. Die BVG-Mitarbeiter freuen sich über mehr Lohn und wir Berliner darüber, dass es in den nächsten zwei Jahren keine Streiks gibt.
Doch so einfach ist das alles nicht. Denn über den vorliegenden ausgehandelten Tarifabschluss müssen erst einmal die Verdi-Mitglieder bei der BVG abstimmen. Bis zum 28. April haben sie Zeit.
Warum die Abstimmung diesmal so lange dauert
Warum das nun zwei Wochen lang dauert? Weil das Prozedere diesmal keine Mitarbeiter-Befragung wie bei den ersten Tarifrunden ist, wo die Belegschaft etwa zwei Tage darüber diskutierte und entschied, ob man das Angebot der Arbeitgeber annimmt oder mittels Warnstreiks ein höheres Angebot herausfordern will. Am Ende wurde bekanntlich gestreikt.
„Doch dieses Mal hat das Ganze das Ausmaß einer Urabstimmung“, sagt der Berliner Verdi-Sprecher Kalle Kunkel dem KURIER. Schließlich habe man ja unter den 16.600 BVGlern so „einige Tausende Gewerkschaftsmitglieder, die nun die Wahl haben, wie man mit dem ausgehandelten Ergebnis umgeht“.

In der Tat läuft das alles auch wie bei einer Urabstimmung ab. Es gehen auf den Betriebshöfen und in der Verwaltung wieder die „Wahlurnen“ um, in denen das Votum der die Verdi-Mitglieder bei der BVG eingesammelt wird. Am 28. April oder sogar ein Tag später soll das Ergebnis bekanntgegeben werden.
Die Verdi-Mitglieder haben jetzt die Qual der Wahl: Sie können nun das angebotene Geld nehmen, dass der BVG jährlich 140 Millionen Euro Personalmehrkosten bedeutet. Oder sie lehnen den Tarifabschluss ab „und sprechen sich damit für einen unbefristeten Erzwingungsstreik aus“, sagt Verdi-Sprecher Kunkel.
Mehr Lohn oder Dauerstreik: Die Verdi-Mitglieder bei der BVG haben Wahl
Gemeint ist damit ein Dauerstreik bei der BVG. Vor dem fürchten sich nicht nur die Fahrgäste, weil dann der öffentliche Nahverkehr auf unbestimmte Zeit im Chaos versinken könnte. Auch für die BVG-Chefetage und dem Senat wäre das ein Desaster. Denn damit müsse man erneut mit Verdi verhandeln. Der ganze bisherige Verhandlungsstress wäre umsonst gewesen.
Nun, die Verdi-Mitglieder bei der BVG wissen, worum es geht. Daher nimmt man sich bei dieser „Urabstimmung“ die nötige Zeit. Seit der Tarifeinigung wird unter den Mitgliedern das Ergebnis „heiß diskutiert“, heißt es bei Verdi. Das Angebot gilt theoretisch als angenommen, wenn sich 25 Prozent der Gewerkschaftler dafür aussprechen.
Auf der anderen Seite bedeutet dies aber auch, dass 75 Prozent das Angebot ablehnen und streiken wollen. Diese Mehrheit reicht dann auch, um einen Dauerstreik beginnen zu können.
Bei der Urabstimmung während der Schlichtung hatten sich sogar 95,4 Prozent für einen Erzwingungsstreik ausgesprochen. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass es bei dieser Abstimmung auch zu einem solchen Ergebnis kommen könnte.
Denn viele BVG-Fahrer sind schon enttäuscht, dass es am Ende nicht zu den 750 Euro mehr Monatsgehalt plus Zulagen gekommen ist, die Verdi eigentlich gefordert hatte. So manch einer bezeichnet daher den Kompromiss als einen „schlechten Witz“, den die Gewerkschaft ausgehandelt hat.
Sollten jedoch 25 Prozent der Mitglieder (wie notwendig) bis zum 28. April dem ausgehandelten Tarifabschluss zustimmen und 75 Prozent dagegen sein, „wird die Verdi-Tarifkommission final entscheiden“, ob man dem Tarifabschluss zustimmt oder in einen Dauerstreik geht, wie Verdi-Sprecher Kunkel sagt.
Eigentlich müsste klar sein, wofür sich das Gremium entscheiden könnte. Denn die Verdi-Tarifkommission empfahl bereits nach der Einigung, dass die Verdi-Mitglieder den ausgehandelten Tarifabschluss annehmen sollten.
Übrigens: Auch bei der BVG-Seite muss ein Gremium dem Tarifabschluss noch zustimmen. Das ist die sogenannte Gewährträgerversammlung. Darin sitzen Vertreter der Senatsverwaltungen für Finanzen, Wirtschaft und Verkehr. Für sie dürfte es ein Knackpunkt sein, woher die jährlichen 140 Millionen Euro Personalmehrkosten für das Landesunternehmen genommen werden sollen. ■