Charlottenburg weiträumig umfahren

Update: Eine Stadt verliert die Nerven: Szenen aus dem A 100-Stau

Die Sperrung der Ringbahnbrücke hat eine der wichtigsten Verkehrsadern der Stadt zerlegt. Die Folgen sind drastisch. 200 000 Autofahrer nutzten die Strecke bisher täglich. Ab Montag soll es zumindest wieder eine Spur in Richtung Norden geben.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Stau auf dem Kaiserdamm. Stoßstange an Stoßstangen stehen die Autos, in den Nebenstraßen geht nix mehr.
Stau auf dem Kaiserdamm. Stoßstange an Stoßstangen stehen die Autos, in den Nebenstraßen geht nix mehr.Markus Wächter / Berliner Kurier

In den Kiezen rund um den Funkturm bietet sich ein Bild des Schreckens: Stoßstange an Stoßstange stehen Autofahrer im Stau. Der Bezirk lässt die Zufahrten zu den Wohnvierteln per Schild abriegeln, Polizisten versuchen vergeblich, System ins Chaos zu bringen.

Über den Spandauer Damm ertönt ein Hupkonzert. Die Sperrung der Ringbahnbrücke am ICC in Charlottenburg sorgt schon an Tag eins für katastrophale Szenen. Erst Mitte kommender Woche soll ein Konzept zur Umfahrung der Baustelle präsentiert werden. Es kann Jahre dauern, bis der Verkehr am Dreieck Funkturm wieder normal rollt. Immerhin: Zum Start des Berufsverkehrs am Montagmorgen soll es auf der Stadtautobahn A100 ab Dreieck Funkturm wieder eine Fahrspur in Richtung Norden geben. Diese führt dann über die Gegenfahrbahn. In Fahrtrichtung Neukölln sind dann deshalb nur noch zwei statt drei Spuren befahrbar, teilte die zuständige Autobahn-Gesellschaft mit.

Suche nach Alternativen im vollen Gange

André sitzt in seinem weißen Transporter vor einem Autohaus in der Nähe der Messe. „Dass hier auch die nächsten zwei Jahre alles zu ist, davon halte ich gar nichts“, sagt er Reportern der Berliner Zeitung. „Einfach alles dicht machen, ohne eine Umleitung einzurichten? Das geht doch nicht. Hier ist doch eh schon alles voller Baustellen, und man kommt auch so kaum vom Fleck.“

Andere überlegen sich schon Alternativen: „Wenn es so weitergeht, steige ich auf die Bahn um“, sagt der 20-jährige Tim und rollt im Stau ein paar Meter weiter in Richtung Pankow.

Alle Seitenstraßen rund um den Kaiserdamm, das Klausnerplatzviertel in Charlottenburg, alles, was als Umfahrung herhalten könnte, ist auch komplett dicht. Alles blockiert, kein Durchkommen. Stop-and-Go, allerorten. „Sonst ist hier nie so viel Verkehr“, erzählt ein Anwohner in der Soorstraße in der Nähe des Kaiserdamms. „Eine Katastrophe. Alle brauchen jetzt viel länger.“

Tim muss regelmäßig nach Pankow, bei einer länger währenden Sperrung will er auf die Bahn umsteigen.
Tim muss regelmäßig nach Pankow, bei einer länger währenden Sperrung will er auf die Bahn umsteigen.Markus Wächter / Berliner Kurier

Anwohner hilflos angesichts der Blechlawine

Der  Bezirk hatte, nachdem sich die erste Blechlawine durch angrenzende Kieze wälzte angekündigt, „im Rahmen der kurzfristigen Gefahrenabwehr“ die Einfahrten des Umleitungsverkehrs von der Autobahn in die Wohngebiete zu verhindern: am Klausenerplatz-Kiez, am Kiez nördlich des Kaiserdamms an der Soor- und Meerscheidtstraße sowie im Kiez am Tegeler Weg. Die Durchfahrt-Verboten-Schilder sollen nicht für die Anwohner gelten. Doch wer will das kontrollieren? Auch bei den Anwohnern in den beschaulichen Straßen liegen die Nerven blank. „Wir armen Schweine, wir Anwohner hier“, klagt eine ältere Frau den Polizisten. „Das ist eigentlich eine verkehrsberuhigte Straße.“

Pia von Meyenburg (79) lebt in der Christstraße, Reportern des Tagesspiegels sagt sie: „Seit heute früh fahren Autos hier durch, die Motoren laufen ununterbrochen. Ich kann mein Fenster den ganzen Tag nicht mehr öffnen. Das ist absolut kein Zustand. Wir Anwohner werden vergast! Und das soll zwei Jahre lang so gehen. Da sterbe ich ja von den Abgasen.“

Nicht selten entlädt sich die Wut der Menschen bei den Polizisten, die auch nichts weiter tun können, als Präsenz zu zeigen. „Gut, dass die Polizei wenigstens die Kreuzung freihält und ein bisschen Spannung rausnimmt“, sagt einer. „Es dauert ja nicht lange, bis die Straßenwut aufkommt und Leute anfangen, sich gegenseitig verbal zu attackieren. Gut, dass die Polizei Präsenz zeigt, auch wenn sie ohnmächtig ist.“

Handwerker, Pflegedienste, Kurierfahrer alle kommen zu spät

Ein Vater mit seiner kleinen Tochter steht schon seit zwei Stunden im Stau, Kurierfahrer kommen nicht weiter. Ganz besonders dramatisch ist es, wenn der Pflegedienst wegen des Horror-Staus nicht zu seinen Kunden kommt. Bettlägerige, Alte, Menschen, die auf ihre Medikamente warten, sie alle sind von der plötzlichen Sperrung kalt erwischt worden.

Verstopfte Nebenstraßen in Charlottenburg. Die Sperrung der Ringbahnbrücke über der A100 fordert gute Nerven.
Verstopfte Nebenstraßen in Charlottenburg. Die Sperrung der Ringbahnbrücke über der A100 fordert gute Nerven.Markus Wächter / Berliner Kurier

Handwerker schaffen es nicht zu ihren Terminen, wohl dem, der in diesem Chaos keinen Rettungsarzt benötigt.  In Richtung Spandauer Damm geht am Vormittag fast nichts mehr. Pkw und Lastwagen stehen zum Teil mehr als 20 Minuten lang an derselben Stelle, bis sie im Schritttempo ein paar Meter weiterkommen.

Nur wenige können der Sperrung, wie Paula, etwas abgewinnen: Sie ist froh, dass endlich saniert wird: „Da hat schon alles gegammelt“, sagt sie. „Die war in fürchterlichem Zustand. Ich hatte immer Angst, dass sie zusammenkracht, wenn ich auf der Brücke im Stau stand.“ Sie fahre die Strecke jeden Tag. „Ich kenne auf der Brücke jede Delle und jede Ritze. Es war an der Zeit, die ganze A100 ist an der Stelle am Arsch.“ Dafür, dass die Brücke renoviert wird, suche sie sich gerne eine Ausweichroute.

Auch am Freitagmorgen zeichnet sich das gleiche Bild ab: Fahrer und Fahrerinnen müssten in Richtung Norden etwa 20 Minuten mehr einplanen - mit steigender Tendenz, teilte der Verkehrsinformationsdienst mit. Am Freitagmorgen laufe der Verkehr an dieser Stelle am Autobahndreieck Funkturm normalerweise störungsfrei. Am Nachmittag könnte sich die Lage noch zuspitzen, wenn nicht nur der Berufsverkehr, sondern auch Berliner, die ins Wochenende fahren wollen, auf den Straßen unterwegs sind.

Wir wollen wissen: Wie heftig ist der Stau wirklich? Und hat die Politik das Verkehrschaos zu verantworten – was glauben Sie? Bitte schreiben Sie uns an:  leser-bk@berlinerverlag.com  oder schicken Sie auch ein Video.